Die Terrorserie der NSU und das Versagen des Staates dabei und danach ist eines dieser Geschehnisse, die später in der historischen Betrachtung höchstwahrscheinlich als ungeheuer wichtig empfunden werden, heute aber nicht in vollem Umfang die Aufmerksamkeitsschwelle durchbrechen. Das ist bedenklich. Ich will festhalten, was man bisher meint zu wissen (und breche dafür meine Regel, nicht auf normale Verlagsprodukte zu verlinken).
Der Terror der Nazis
Der Terrororganisation gehörten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an, vermutet werden bis zu 20 Unterstützer. Die drei waren bekannte Neonazis, die schon in den 90ern an Naziaktionen im Umfeld der NPD wie dem Gedenken an den Tod von Rudolf Hess teilnahmen und Mitglied neonazistischer Organisationen wie dem Thüringer Heimatschutz waren.
1998 durchsuchte die Polizei eine Garage in Jena und fand dabei eine Bombenwerkstatt. Daraufhin tauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ab. Sprengstoff spielt auch später noch eine Rolle, die Bombenwerkstatt im Hinterkopf behalten. Es ist zu vermuten, dass der Verfassungsschutz wusste, wo mindestens Zschäpe sich aufhielt, dieses Untertauchen war also eigentlich nur bedingt effektiv.
Wann genau die Mordserie anfing ist unklar. Möglicherweise schon 1999 mit einer Granatenexplosion. Die eigentliche Mordserie war das Erschießen von mindestens neun "Kleinunternehmern mit türkischem Migrationshintergrund", wie Wikipedia schreibt, in einem Zeitraum von 2000 bis 2006. Wegen diesem Opferprofil wurden die Morde in der deutschen Presse als "Döner-Morde" euphemisiert - nicht nur von Bild, auch vom Spiegel und anderen vermeintlich respektablen Zeitungen.
Am 4. November 2011 überfielen Mundlos und Böhnhardt eine Bank und flüchteten in einem Wohnmobil, das von Zeugen gesehen wurde. In der folgenden Polizeifahndung wurde das Wohnmobil gefunden. Mundlos und Böhnhardt töteten sich vor dem Zugriff und zündeten gleichzeitig das Wohnmobil an. In dem Fahrzeug fand man unter anderem die Dienstwaffe einer 2007 in Heilbronn getöteten Polizisten. Diese Verbindung ist unklar. Wurde sie von den Terroristen erschossen, kannte sie sie? Bekannt ist auf jeden Fall, dass Kollegen von ihr Mitglied im Ku-Klux-Klan waren. Diese Polizisten sind natürlich noch heute beschäftigt.
Kurz darauf explodiert in Zwickau ein Wohnhaus, das die Terroristen drei bis vier Jahre als Unterschlupf genutzt hatten. Zschäpe wird kurz vorher noch dort gesehen, sie stellt sich die Woche darauf der Polizei.
Das Versagen der Behörden
Dass die Behörden versagt haben ist unbestreitbar. Jahrelang ziehen Terroristen durch das Land und ermorden Menschen ohne auch nur ansatzweise erwischt zu werden. Doch erwischt werden die Terroristen nur durch einen zufälligen Fahndungserfolg nach einem Fehler der Nazis, dem hoch-riskanten Banküberfall. Absolut erschreckend ist jedoch, wie und in welchem Ausmaß die Polizeibehörden während der Terrorserie versagt haben, und mit welcher Staat-im-Staate-Mentalität der Verfassungsschutz nachträglich die Ermittlungen torpediert.
Während der Mordserie wurden mehrere Sonderkommissionen gebildet, die vermeintlich die Morde untersuchten, in Wirklichkeit aber blind am tatsächlichen Geschehen vorbeischauten. Da wäre zuerst die Sonderkommission Halbmond der Kripo Nürnberg, die mit LKA und Polizeipräsidium München zusammenarbeitete. Ihre den Medien vermittelte Fahndungsrichtung waren Drogengeschäfte, weil einer der Opfer 1996 - also zehn Jahre vorher - Drogen von Holland nach Deutschland geschmuggelt habe. Die Sonderkommission hieß übrigens Halbmond, weil die Presse von einer Türken- oder Halbmond-Mafia berichtete, in die die Opfer verwickelt seien. Aus Opfern wurde Tätern.
Der offensichtliche rechtsextreme Hintergrund der Morde wurde zuerst nicht erkannt. Ab 2005 verstärkte die nächste Sonderkommission, SoKo Bosporus, diese Ermittlungsrichtung noch hin zu vermeintlichen Verbindungen in die organisierte Kriminalität. Natürlich wurde dazu nie belastbares gefunden, diese Verbindung existierte ja nicht.
2006 wurde dann erstmals zusammen mit einem Profiler eine rassistisches Mordmotiv angenommen. Die Soko wurde angeblich aber nie über die drei untergetauchten Neonazis - die gut in dieses Profil gepasst hätten - informiert, es kamen keine Hinweise aus Thüringen.
Zusätzlich zu diesem Polizeiversagen kommt das Versagen des Verfassungschutzes. Mehrfach wurden Akten vernichtet, die bei der Aufklärung hätten helfen könnte. Der bekannteste Vorfall ist die Aktenvernichtung des Thüringer Verfassungsschutzes. Edathy, der Untersuchungsausschussleiter, fasste den Vorfall so zusammen:
Sie sind aufgefordert worden, Akten zu suchen, sie haben Akten gefunden, und sie haben die Akten vernichtet
Weitere Akten wurden auf Anordnung des Bundesinnenminiseriums Tage nach dem Auffliegen der Terrororganisation vernichtet. Beruhigend der Hinweis, dass dabei keine Informationen über die drei Terroristen vernichtet worden seien.
Dazu kommt die Aktenvernichtung des Militärgeheimdienstes, der in den 90ern Mundlos anwerben wollte, die Akten darüber aber vernichtete. Von ihnen sind jedoch Kopien aufgetaucht, von denen der MAD angeblich nichts wusste. Das ist glaubhaft, denn eine teilweise Aktenvernichtung wäre sinnlos, die Akten wären entweder auch oder gar nicht vernichtet worden.
Die Aktenvernichtungen passt zu der Blindheit, die der NSU das Weitermorden ermöglichte. Und sie passt zu dem Verdacht, dass ein Verfassungsschützer in die Morde verwickelt sei. Generell bleibt unerklärlich, wie eine rechten Szene, die so stark vom Verfassungsschutz unterwandert ist, dass ein Verbotsantrag der NPD an dieser Unterwanderung und der dadurch unmöglichen Trennung zwischen originären Aktionen und Aktionen des Verfassungsschutzes scheitert, im geheimen eine Terrorzelle bilden und unterstützen kann. Und das jahrelang. Und richtig: Der Verfassungsschutz wusste ja auch, wie oben erwähnt und verlinkt, zumindest zeitweise, wo die Terroristen sich aufhielten.
Jüngste Entwicklung
Derzeit läuft ein Untersuchungsausschuss. Viele der Erkenntnisse über die Terrororganisation NSU sind in diesem Ausschuss zu verdanken und auch viele Einblicke, wie Beamten und Behörden gegen eine aufklärende Untersuchung mauern. Und was passiert? Sebastian Edathy, Leiter des Untersuchungssauschusse, wird Ziel eines Sprengstoffanschlages über den kaum berichtet wird:
Edathy schrieb auf seiner Facebook-Seite, die Polizei gehe von einem Sprengsatz aus. Dies bestätigte der Polizeisprecher nicht. Noch sei völlig unklar, wodurch die Explosion ausgelöst wurde. Der Vorfall ereignete sich im Kreis Schaumburg, der in Niedersachsen als eine der Hochburgen der rechtsextremen Szene gilt. Auch der mutmaßlichen Terrorhelfer Holger G. lebte dort bis zu seiner Festnahme.
Diesen erneuten Anschlag nicht als Zeichen einer gefährlichen militanten rechtsextremen Terrorszene zu werten ist zynisch ähnlich zu der Blindheit, mit der die Morde vorher nicht mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wurden.
Fraglich bleibt, warum die Terroristen mit Explosionen und Feuer ihre Spuren verwischten, sich jedoch gleichzeitig selbst umbrachten und der Polizei stellten. Zusammen mit dem Verhalten des Verfassungsschutzes ergibt das nur zu leicht den Eindruck, dass noch weitere und höhere Stellen noch tiefer in diese Terrorserie verwickelt waren.
onli blogging am : NSU: Im Kampf gegen die Elemente
Vorschau anzeigen