Ubuntu Brainstorm war im Kerngedanke ein großartiges Projekt. Die Ideen all der Nutzer anzuzapfen, die täglich Ubuntu benutzen, und durch ein Wahlsystem die Ideen gefiltert an die Entwickler weiterzugeben, ist Participatory Design in Reinform. Es ist aber auch die kleine Form des PD, bei dem die Nutzer als Experten ihrer spezifischen Softwarenutzung gesehen werden, aber abgesehen von diesem ersten Input nicht weiter an der Ausgestaltung ihrer Idee beteiligt sind.
Ubuntu Brainstorm war eine faire Abmachung: Ihr Nutzer gebt uns Entwickler Ideen, und dafür kreisen wir Entwickler ab und an über diese Ideensammlung und implementieren manche der Ideen.
Jono Bacon tut nun so, als sei das untypisch für Open Source. Das funktionierende Modell sei, dass der Nutzer möglichst weit beteiligt ist, am besten selbst Mockups und Patches bereitstellt und so die Integration seiner Idee vorantreibt. In dem Artikel zur Brainstorm-Abschaltung schreibt Bacon auch klar, dass das alternative Modell bei Ubuntu nicht funktionierte. Die Ideen wurden von den Entwicklern ignoriert, und weil die Existenz des Brainstorms die soziale Erwartung hervorgerufen habe, dass die Ideen auch umgesetzt würden (wie überraschend), sei das für die Nutzer frustrierend und insgesamt schädlich gewesen. Er schreibt das so:
Some time ago the Technical Board took a work item to try to solve this problem by regularly curating the most popular items in brainstorm with a commentary around technical feasibility, but the members of the TB unfortunately didn’t have time to fulfill this. As such, brainstorm turned into a big list of random ideas, ranging from the sublime to the ridiculous, and largely ignored by the Ubuntu development process.
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In other words, just because an idea is popular doesn’t necessarily mean it is interesting enough for a developer to want to implement it. Secondly, brainstorm started to garner an unrealistic social expectation that popular ideas would be automatically added to the TODO list of prominent Ubuntu developers, which was never the case.
Das dürfte auch stimmen, seine Schilderung unterschlägt allerdings, dass das Brainstorm-Tool genau für diese nun als unrealistisch bezeichnete Erwartung da war und genau so angekündigt wurde: Als Möglichkeit normaler Nutzer, ihre Ideen einzubringen, über sie abstimmen zu lassen und gute und machbare Ideen von Entwicklern umsetzen zu lassen. So stand das damals beispielsweise in der Ankündigung:
The development team can now take the pulse on the most pressing user issues and propose the ideas as topics at the Ubuntu Development Summits and ultimately as specifications. Ubuntu development is in turn driven by detailed specifications written up in the wiki and tracked as blueprints in Launchpad
Es ist kein Wunder, dass die Nutzung des Tools zurückging, wenn Ideen von den Entwicklern eben nicht aufgegriffen wurden.
Es gibt natürlich Projekte, die nach Bacons vermeintlichem Ideal funktionieren, und es gibt einige wenige Nutzer, die sich tatsächlich so einbringen können. Doch im Großen ist das illusorisch und absurd. Ein Nutzer mit einer guten Ideen muss in einem in meinen Augen idealen Projekt nicht wissen, wie sie umsetzbar ist, er muss ganz sicher keine Mockups designen, er muss nur einen Entwickler finden, der in der Idee Potential sieht und sie für umsetzbar hält. Und bereit ist, das dafür notwendige zu tun. Und genau für diesen ersten Schritt des Nutzers versprach Ubuntu Brainstorm Hilfe - das gleichzeitig auch noch mit verschiedenen Mitteln dabei helfen sollte, Ideen der Nutzer zu strukturieren und sie in eine spezifikationsähnliche Form zu bringen.
Es ist nun nicht so, dass es keine Projekte gibt, die tatsächlich so nutzergetrieben funktionieren. Serendipity z.B. wird seit Jahren so weiterentwickelt. Das Spamblock-Bayes-Plugin kam genau so zustande: Ein Nutzer schlug die Idee vor, kleinerChemiker baute ein entsprechendes Plugin, ich brachte es zum Laufen, vervollständigte es und pflege es seitdem gelegentlich. Und Serendipity ist keine Ausnahme mit diesem Entwicklungsmodell (bei dem natürlich auch die Entwickler eigene Ideen einbringen und eine Beziehung zu der Idee haben müssen), ich sehe so etwas immer wieder. Es ist ab einem gewissen Entwicklungsstadium meinem Eindruck nach eher die Norm als die Ausnahme, dass neue Features aus Nutzerideen entstehen.
Natürlich steht ein solches PD-Tool auch in einem größeren Zusammenhang: In einem Projekt, das ganz bewusst eben nicht PD betreibt, sondern im Großen nur die Ideen der Entwicklung und Projektleitung umsetzt, hat ein solches Tool keinen Wert. Ich sage das ohne Wertung, es geht nicht darum, was Unity, Mir oder Ubuntu Phone taugen. Es geht darum, dass diese Entwicklung des Ubuntu-Projekts nicht aus der Nutzerschaft kam, sondern von oben - und ohne jegliche Einflussmöglichkeit, sogar mit explizit geäußerter Nicht-Beeinflussbarkeit - festgelegt wurde.
Es ist also völlig richtig von Ubuntu, Brainstorm abzuschalten. Es ist etwas schade für mich, weil ich immer mal wieder darauf als Beispiel für PD verwies. Aber es ist für die Nutzer gut, wenn sie nicht länger getäuscht werden, sondern klar ist: Einfach eine gute Idee an die Entwickler weiterzugeben reicht nicht, um sie umsetzen zu lassen, muss vom Nutzer schon mehr kommen. Es heißt auch: Ubuntu hat keine Entwickler, die immer wieder auf den Brainstorm schauen und daraus Ideen umsetzen. Weder gibt es dafür Freiwillige, noch will Canoncial jemanden dafür bezahlen. Diese Art der Nutzerbeteiligung, diese Form von Participatory Design, wird nicht umgesetzt. Die Abmachung gilt nicht mehr.
Diesen Umstand muss man nicht gut finden.
onli blogging am : Jono Bacon zur Abschaltung von Ubuntu Brainstorm
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