Die Faz stellt die Frage, ob Deutschland überhaupt souverän ist (via). Und tatsächlich ist das eine berechtigte Frage:
Wolfgang Lieb, in den neunziger Jahren Regierungssprecher im Kabinett von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau, hat vor wenigen Tagen „die Gretchenfrage“ gestellt: Ist das Grundgesetz nur Dispositionsmasse eines wie auch immer gearteten Besatzungsrechts? Gilt der Ausnahmezustand, ohne dass wir es wissen? Und kann es angehen, dass der BND einem ausländischen Geheimdienst dabei hilft, unsere Grundrechte zu brechen? Solche Fragen werden von bedingt abwehrbereiten Politikern gern als Hysterie, paranoider Wahn oder Alarmismus abgetan. Aber sie erreichen ein Publikum auch außerhalb der kleinen Filter-Bubble, und sie führen zum Kern des Problems.
Wobei es um mehr als um Souveränität geht. Was würde ein souveräner deutscher Staat helfen, der einfach beschließt, mit den USA zu koopieren und die ganze Welt völkerrechtswidrig zu belauschen?
Leider gibt der Artikel keine Antwort, aber wie soll er die auch geben. Von den geheimen Unterwerfungsverträgen, die selbst Brandt unterschrieben haben soll, haben wir erst vor kurzem erfahren. Würden sie noch gelten wüssten wir es nicht.
Zeit für einen duck-test: Wie würde sich ein souveräner deutscher Staat verhalten, der dem Grundgesetz verpflichtet ist? Gleichzeitig kann man dies als politische Forderungen an die Regierung verstehen:
- Zuerst würde heftig gegen Projekte wie PRISM protestiert werden, mindestens würde der US-Botschafter ins Kanzleramt berufen werden. In Wirklichkeit war der Protest kleinlaut und unterwürfig.
- Bei weiterer Weigerung der USA, mit der Spionage aufzuhören (wie geschehen) müssten alte Verträge aufgekündigt werden. Derzeit schickt Deutschland (und die EU) Bank- und Flugdaten in die USA, das muss aufhören. Das Abkommen vom 28. April 2002 zur Zusammenarbeit mit der NSA muss ebenfalls gekündigt werden.
- Die Abhörstützpunkte der NSA in Deutschland müssen geräumt werden. Es ist doch absolut absurd, sich über Spionage durch die USA zu beschweren und ihnen gleichzeitig Abhörzentralen im eigenen Land zuzugestehen.
- Der BND muss zurechtgestutzt werden. Ein Geheimdienst, der mit einer ausländischen Macht kooperiert um die Rechte aller deutscher Bürger zu verletzen ist kein Geheimdienst, der existieren darf. Entweder muss er reformiert (und dabei gesäubert und verkleinert) oder völlig zerschlagen werden.
In dem Faz-Artikel wird die Infragestellung der Westorientierung als Fehler bezeichnet, der souverän korrigiert werden müsse. Doch ganz im Gegenteil ist es genau diese Frage, die sich stellt: Warum betrachtet Deutschland die USA als einen Verbündeten, wenn die USA Deutschland ausspionieren, hier Militärbasen kontrollieren, Gefangene foltern, Guantanamo betreiben, 2% der eigenen Bevölkerung in Gefängnisse stecken, völkerrechtswidrige Kriege führen, Zivilisten und angebliche Terroristen ohne Gerichtsurteil (durch Drohnen) töten, europäische Bürger entführen und foltern?
Die USA ist inzwischen ein Staat vor dem wir uns fürchten müssen. Demzufolge sollte gleichzeitig mit der Durchführung der oberen Forderungen natürlich die Allianz mit ihnen in Frage gestellt werden: Aufkündigung von Kooperationsverträgen, Austritt aus der NATO - in der Deutschland aufgrund des Grundgesetzes sowieso nicht sein dürfte, verbietet dieses doch die Angriffskriege, die von der NATO inzwischen explizit erlaubt werden - und Räumung der verbliebenen US-Militärbasen in Deutschland erscheinen mir als absolut notwendig und gerechtfertigt.
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