Eigentlich wäre die Frage der Unabhängigkeit Kataloniens eine interessante und schwierige. Auf der einen Seite ist da der Wunsch vieler Einwohner und das Referendumsergebnis. Auf der anderen ist eine Abspaltung in der spanischen Verfassung nicht vorgesehen, das Referendum selbst lief chaotisch ab, und die Mehrheit der Spanier ist gegen die Abspaltung. Auch wirtschaftlich ist es wohl problematisch, für beide Seiten. Es geht also um große Fragen, wie wann Demokratie eine unzulässige Diktatur der Mehrheit ist und welche Rechte eine Nation hat, ja, wann eine Verfassung gegen Menschenrechte stehen darf, und ob die überhaupt verletzt waren. Auch welche Rolle die EU einnimmt ist interessant, ob es ihr um Demokratie (und wenn ja, welche) oder rein um Stabilität geht.
Doch all das ist unwichtig geworden, und daran ist alleine Madrid schuld. Die Polizeigewalt gegen die Teilnehmer des Referendums war unrechtmäßig und einer Demokratie unwürdig, dagegen sehr passend zum Bild einer im Kern faschistischen und noch in der Diktatur verhafteten Zentralregierung, welche die Wünsche der Autonomieregionen seit Jahrzehnten ignoriert. Und mit der versuchten Entmachtung nach §155 der Autonomieregierung geht es dann nicht mehr um etwas, was dem Bild nach faschistisch ist und einer Diktatur entstammt, sondern ganz tatsächlich um faschistische Überbleibsel der spanischen Diktatur. Am schlimmsten ist: Mit dieser Gewaltausübung ist dieser Konflikt auf einem ganz üblen Weg, Madrid scheint sich von Herzen einen Bürgerkrieg mitten in Europa zu wünschen.
Wenn die Regierung Spaniens besonnen und klug gehandelt hätte, wären die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens wahrscheinlich irrig und wären verpufft. Doch durch die vollständige Inkompetenz Madrids ist die Unabhängigkeit Kataloniens heute keine Frage mehr, in der verschiedene Positionen verständlich sind; sondern sie ist unbedingte Notwendigkeit für ein freiheitliches, stabiles und demokratisches Europa.