Dass Pillars of Eternity mich dann doch ein bisschen enttäuscht hat liegt sicher am gewaltig hohen Maßstab, der an ein solches Rollenspiel angelegt werden muss. Denn wenn man es gegen die Genregrößen misst erreicht es diese eben doch nicht ganz. Es ist weder so groß noch so episch noch mit so interessanten Charakteren wie Baldur's Gate 2 (besonders samt dessen Addon), vor allem aber sind die Kämpfe weniger interessant, dementsprechend der Schwierigkeitsgrad nicht ganz passend. Und sicher: Es wird so auch an einem Spiel gemessen, das in der Nostalgie wahrscheinlich etwas verklärt wird.
Klassische Qualitäten
Ganz sicher ist PoE kein schlechtes RPG! Das würde die Einleitung missverstehen. Denn so vieles macht das Spiel gut, einiges auch besser als die Klassiker. Besondere Stärke ist das Erschaffen der Spielwelt: Hier werden so viel Hintergrundinformationen und Handlungselemente gut in die Story eingebaut, dass ein lebendiges Universum entsteht, in dem auch deutlich das Potential für neue Geschichten zu sehen ist. Das überfordert am Anfang, aber das D&D-Universum überforderte mindestens genauso. Und tatsächlich ist dieses Überfordern doch genau der Mechanismus, durch den bei der Abarbeitung des Informationsoverloads in den Köpfen der Spieler die Spielwelt lebendig wird.
Wenn man dann als Spieler in dieser neuen Welt interagieren kann, die sich langsam füllt, in der man von Anfang an eine wichtige Rolle zu spielen scheint, dann erreicht PoE genau den gewünschten Effekt. Das ist eben nochmal eine andere Spielerfahrungs als bei den für sich genommen hervorragenden Shadowun-RPGs. Bei mir war das besonders im zweiten Kapitel in der Stadt deutlich, als Neben- und Hauptquests im Übermaß anstanden und die Handlung mich richtig einfing. Dann laufen die langsam stärker werdenden Spielfiguren auch noch durch das, was früher immer als handgezeichnete Hintergründe bezeichnet wurde, durch die PoE tatsächlich mindestens so toll aussieht wie es Baldur's Gate 2 eben auch heute noch tut - denn anders als die frühen 3D-Spiele altert diese Ästhetik ja nicht. Die Parallelen sind dann unübersehbar, tatsächlich visuell.
Wie auch im Vorbild gibt es eine Heimatbasis, die verwaltet werden will. Es ist hier nicht je nach Klasse eine andere, sondern immer eine Burg. Dieser Teil des Spiels ist in meinen Augen ein Punkt, in dem PoE klar alle Vorgänger übertrifft. Um die Burg gibt es Nebenquests, es kommen Besucher, sie kann ausgebaut werden, und im Keller gibt es einen ziemlich langen und schweren Dungeon. Das ist zusammengenommen viel mehr, als sonst mit solchen Spielerbehausungen angefangen werden kann. Wobei da trotzdem natürlich immer noch mehr ginge.
Bei den Klassen, Rassen und Fähigkeiten wirkt das Spiel dagegen völlig komplett. Dabei sind mir hochwillkommene unklassische Wahlmöglichkeiten, wie die z.B. flammenverzierten Götterähnlichen. Und die Klassen sind ausgearbeitet genug, um einige unterschiedliche taktische und Ausbau-Möglichkeiten zur Hand zu haben. So gibt es eben doch einen Unterschied zwischen einem defensiven Kämpfer mit Schild, der Gegner binden kann, und dem kamikazehaften Mönch, der mit bloßen Händen diese Gegner dann weghaut; obwohl beide Nahkämpfer ohne Magie sind. Der Magier könnte Schaden aus der Ferne verursachen, sich selbst oder andere aufpushen, oder Gegnern indirekt durch Flüche schaden. Oder man nutzt direkt die andere Magierklasse, die Ciphers, deren Sprüche keine Rast brauchen, sondern sich generierende Fokuspunkte verbrauchen. Genauso gibt es zur weiteren Ausgestaltung Druiden und Ranger, Priester und Barden. Jeder Charakter hat eine Herkunft, sowohl Tätigkeit als auch einen Stand, was dann im Spiel immer mal wieder referenziert wird. Das alles macht die Charaktererschaffung zu einem Highlight.
Einige Macken
Wo PoE weniger überzeugt sind 1. die Begleiter, besonders bei deren Missionen, 2, die Kämpfe, besonders durch das Magiesystem, 3. bei den Ausrüstungsgegenständen, und 4. schlicht beim Umfang, was sich negativ auf die Hauptgeschichte auswirkt.
Die Begleiter sind an sich nicht schlecht gemacht. Sie kommentieren die Handlung, reden miteinander, sind ordentlich unterschiedlich, gut vertont und haben eine Hintergrundgeschichte. Aber ihre spezifische Mission, die sie natürlich auch alle haben, sind ziemlich klein und auswirkungslos. In Baldur's Gate 2 konnte z.B. der Paladin noch seinen Glauben verlieren und so Ausrichtung, Fähigkeiten und Rüstung wechseln. Das beeinflusste das ganze Spiel, und genauso galt das für alle anderen Begleiter. Bei PoE dagegen wirken die Begleitermissionen wie angetackert. Da wird dann zwar nochmal drüber geredet und es beeinflusst sicher das Outro, aber nach dem Beenden der Missionen passiert erstmal... nichts. Es fehlt an Tiefe. Dass es keine Romanzen gibt finde ich eigentlich nicht schlimm, aber es passt eben auch zu dem Eindruck, dass die Begleiter nicht fertig wurden.
Tiefe fehlt auch bei den Kämpfen (ich verrate schonmal: die Überleitung wäre bei allen Kritikpunkten passend). Tiefe im Kampfsystem kommt normalerweise durch die Fähigkeiten und Zauber, und wenn Kämpfer davon wenige haben sind es die Zauberer und Priester, die Kämpfe interessant machen. In manchen Kampfsystemen sind auch normale Kämpfer ziemlich taktisch einzusetzen, aber in klassischen CRPGs ist das fast nie so gewesen. So ist es auch bei PoE, obwohl da ein paar Ansätze drin sind um da gegenzusteuern. So haben alle Klassen aktive Fähigkeiten, wodurch Kämpfer nicht immer nur dumpf draufhauen, und das oben schon erwähnte Binden der Gegner ermöglicht es, die Gruppenmitglieder sinnvoll zu positionieren und Fernkämpfer zu schützen.
Wo das aber alles versagt ist das Magiesystem. Normalerweise werden in hochstufigen Kämpfen Magier zur großen Gefahr, weil sie sich gegen Angriffe immun machen können, sie gleichzeitig viel Schaden verursachen und Statuseffekte auslösen können. Das passiert in PoE stellenweise, das Dominieren und Paralysieren mancher Gegnertypen ist gefährlich. Was aber nie passiert sind die Magierduelle, in denen auf der einen Seite Schutzbarrieren aufgebaut werden, die der andere Zauberer oder ein darauf speziell ausgerichteter Kämpfer zu durchbrechen sucht. Zugegeben, das war damals nicht immer spaßig und sicher nicht einfach zugänglich, aber ohne diese Komponente werden die Kämpfe irgendwann reizlos. Sie sind dann entweder zu leicht oder zu schwer, aber nur noch schwer zu beeinflussen. Und das passiert hier, sie werden - mit einer Ausnahme - zu leicht, wodurch dann auch Buffen wegfällt.
Ist nicht das Sammeln der magischen Ausrüstungsgegenstände ein großer Teil der alten RPGs gewesen? In PoE scheitert das besonders bei den Waffen. Da wurde sich zwar Mühe mit den Hintergrundgeschichten gegeben, aber die magischen Eigenschaften folgen immer dem gleichen Schema, nur wenig sticht heraus. Auch wird die Qualität nur grob unterteilt, wodurch dann schnell eine gute Waffe nicht mehr ersetzt werden muss. Weil die neue eben nicht mehr +1 vs +4 ist, sondern genau die gleiche Klasse hat, und nur leicht andere Nebeneffekte. Bei Handschuhen und Ringen funktioniert das etwas besser, weil da mehr klassenspezifisches dabei ist, aber ich vermisste auch da Auswahl und originelle Effekte, und insgesamt mehr Qualitätsunterschiede.
Beim letzten Kritikpunkt, beim Umfang, kann man sicher anderer Meinung sein. Aber meiner Meinung nach fehlt hier einfach etwas. Pillars of Eternity versucht eine große epische Geschichte um Seelen, Götter und vergangene Leben zu erzählen, noch ein bisschen Rache ist darin - und gleichzeitig die Möglichkeit, durch die eigenen Antworten den Hintergrund etwas zu verändern. Das ist für ein CRPG eine zeitintensive Aufgabe, in der mit viel Mühe die Welt und die Charaktere aufgebaut werden müssen. Und trotzdem war ich bei Erledigung fast aller Nebenquests nach 45 Stunden durch. Das ist viel für ein Spiel, aber für diese Aufgabe bei den gewählten Erzählmitteln eben nicht genug. In den Vorbildern erstreckte sich eine Geschichte ähnlicher Kategorie ja auch über zwei Spiele, eine Erweiterung und deutlich über 100 Stunden Spielzeit. Da spürt man besonders, dass gerade der finale dritte Akt besonders knapp gehalten ist.
Es kommen ein paar Balancingprobleme dazu. Der Dungeon unter der Spielerburg ist zu dem Zeitpunkt seiner Entdeckung sehr viel schwerer als die anderen Gebiete des Spielabschnittes, obwohl im Dungeon ein paar Levelschranken eingebaut sind. Dann aber gibt es zur Krönung noch den schwersten Gegner im ganzen Spiel als Dungeonsendgegner, gegen den meine Gruppe schlicht keine Chance hatte, obwohl sie sich sonst relativ problemlos durch das ganze Spiel schnetzelte. Auch unschön fand ich die Abfrage zu Beginn des dritten Akts, dass die Gruppe relativ hochlevelig sei und ob man die Gegner mitskalieren lassen wolle. Zum einen ist diese nicht rückgängig machbare Frage nicht entscheidbar: Woher soll ich als Spieler zu dem Zeitpunkt wissen, wie stark die zukünftigen Gegner sein werden? Aber das Problem ist mehr noch: Warum gibt es so viele Quests und Gegner in den vorherigen Akten, dass die Gruppe überhaupt übermächtig werden kann? Das müsste doch direkt unmöglich gemacht, die Gegner im Endteil entsprechend stark gemacht werden.
Ein positives Fazit
Trotzdem ist Pillars of Eternity ein gutes Spiel, das sich viel gutes von sehr guten Vorbildern abschaut. Manche Karten wirken gar direkt aus Athkatla übernommen, manche Quests hat man so ähnlich auch schon mal gesehen. Aber das alles fand ich positiv, es ist liebevoll aus altehrwürdigen Vorgängern übernommen, keine platte Kopie moderner Konkurrenten. Dazu kommen gute Komfortfunktionen, wie die Zeitbeschleunigung.
Es ist dann wohl Budget und Kickstarter-Entwicklungsmodell geschuldet, dass es dem Rollenspiel dann doch in den oben gelisteten Punkten an Tiefe fehlt. Müsste ich PoE bewerten, es stünde bei mir irgendwo zwischen seinen klaren Vorbildern, den beiden Baldur's Gates - es ist besser und umfangreicher als der erste Teil, aber nicht so gut wie der Zweite.
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