Deus Ex: Mankind Divided ist besser als erwartet
Tuesday, 14. August 2018
Es dauerte lange, bis ich Mankind Divided spielen konnte. Erst war es mir zu teuer, dann lief es nicht auf meinem System – der Linux-Port hat eine SSE-Abhängigkeit, die Phenoms disqualifiziert. Ich war aber auch gar nicht zu sehr an dem Spiel interessiert: Zu kontrovers war der Launch mit seinen schlecht gemachten Abzocker-DLCs, aber auch die Kritik an Story und Spieldesign war nicht gerade einladend.
Das letzte Deus Ex ist aber doch ein gutes Spiel geworden.
Sicher, es hat einige Macken, und ich werde mit ihnen anfangen. Viele der Grundprobleme waren schon in Human Revolution, treten aber im neuen Teil voll zutage. Da wäre zum Beispiel die Hintergrundstory. In Human Revolution war der Spalt in der Gesellschaft noch halbwegs nachvollziehbar, aber vor allem die Begeisterung für Augmentierungen war unrealistisch. Kann sich jemand wirklich vorstellen, dass in zehn Jahren große Teile der Gesellschaft sich freiwillig Arme und Beine abhacken und mit mechanischen Geräten ersetzen? Und dann noch für immer von einer teuren Droge abhängig sind? In Mankind Divided ist die Stimmung gegen Augmentierungen gekippt und dieser Aspekt des Spielweltuniversums ausgeblendet, stattdessen ist die Gesellschaft noch gespaltener. Das wird übertrieben, das Verhältnis der Gesellschaft zu Augmentierten ist so offensichtlich eine Analogie für Rassismus, samt Apartheid und Segregation, dass es nur in ganz wenigen Momenten realistisch wirkt. Warum machen die neue Spiele das so viel schlechter als der erste Teil mit seinen einfachen und doch schlüssigen Verschwörungstheorien?
Es hakt auch etwas an der Spielerführung. Mankind Divided spielt zum größten Teil in Prag. Die Stadt ist in Sektoren aufgeteilt, verbunden mit der Metro, mit ziemlich langen Ladezeiten. Eigentlich ist Prag gut gemacht: Mehr noch als in den Stadt-Hubs des Vorgängers sind hier viele Nebenquests, Händler und Geschehnisse verteilt. Der Spieler sollte also viel Zeit damit verbringen, all das zu entdecken. Stattdessen aber drängt das Spiel über die Hauptstory dazu, genau das eben nicht zu tun, sondern schnellstmöglich die Verschwörung aufzudecken. Gerade am Anfang überfordert das völlig, wenn erst die Augmentierungen nicht funktionieren, dann korrupte Polizisten den Hintereingang zum Reperaturort blockieren und so die Erledigung eines Nebenquests erzwingen, und gleichzeitig Miller – der neue Chef – über das Interlink mehrfach befiehlt endlich auf der Arbeit aufzutauchen. Er hört dann zwar mit einem "Okay, komm wenn du kannst" damit auf, aber eine richtige Atempause um den Nebenquests zu folgen gibt das Spiel nicht. Die muss der Spieler sich nehmen und dafür negative Konsequenzen befürchten.
Außerdem sind viele Aspekte der Story sind völlig vorhersehbar. Natürlich stimmt mit der Psychologin was nicht, deren Charaktermodell besonders hübsch ist und die einfach zu nett mit Jensen redet. Immerhin merkt der das zwischendurch selbst. Aber warum kann ich dann das nächste Gespräch mit ihr nicht entsprechend schroff führen, sie abweisen und ignorieren?
Nebenbei: Die Psychologin ist vor allem deshalb wahrnehmbar hübsch, weil viele andere Personen komisch aussehen. Die Gesichter auch, aber vor allem die Körperformen. Besonders bei leichtbekleideten Frauen ist auffällig, dass da mit den Brüsten und der ganzen Körperform etwas nicht stimmt. Davon abgesehen ist die Grafik gut, aber das Spiel fordert viel zu viel Leistung von Prozessor und Grafikkarte. So gut ist die Grafik dann doch nicht, zumindest nicht auf den Einstellungen die mein System schafft. Witcher und Human Revolution (unter Windows zumindest) machten das besser.
Nochmal zur Vorhersehbarkeit. Es gibt einen Nebenquest, in dem eine Frau ermordet und ihre Augmentierungen entfernt wurden. Nach zwei Minuten mit der Zeugin sage ich mir "Mit der stimmt was nicht, sie ist sicher der Mörder." Direkt danach wird ein Serienmörder mit Augmentierungen ins Spiel gebracht, der aber im Gefängnis gestorben ist. "Über Augmentierungen lebt der Mörder in der vermeintlichen Zeugin weiter", sage ich mir. Natürlich war es dann auch praktisch genau so. Manchmal kann so etwas okay sein, wenn der Spieler dann auch entsprechend der Offensichtlichkeit handeln kann, man denke an den bombenlegenden Mechaniker im ersten Deus Ex. Hier aber musste dann noch Unmengen erledigt werden: Eine Polizeistation durchsuchen (samt verräterischen Emails der psychisch instabilen Frau, die unkommentiert bleiben), zwei andere Verdächtige entlasten, den Quest erstmal abhaken, dann später ihre Wohnung durchsuchen, mit einem an den Experimenten beteiligten Psychologen reden, in die Kanalisation steigen und dann den Quest auf einem von drei verschiedenen Wegen beenden. All das, obwohl nach zwei Minuten die Sache völlig klar war.
Es hilft auch nicht, wenn im Ladebildschirm mir Eigenschaften von Personen verraten werden, die erst kurz darauf in der Handlung eine wichtige Rolle spielen werden, und diese Eigenschaft offensichtlich eine Überraschung sein sollte. So passiert beispielsweise bei der Identität der Mutter des Maschinengott-Kultes.
Und doch hat mir Mankind Divided viel Spaß gemacht. Vor allem liegt das an den vielen Lösungsmöglichkeiten. Das macht es eigentlich noch besser als die beiden Vorgänger (und auch besser als der Konsolenfork Invisible War). Schleichend, hackend, schießend, durch Gespräche – die Quests lassen wirklich immer viele Lösungsmöglichkeiten zu. Die Spielwelt ist hervorragend darauf ausgelegt, alle möglichen Spielstile und aktivierten Augmentierungen zu unterstützen, ohne dass die alternativen Wege zu künstlich platziert wirken. Nichtmal die Bosskämpfe ändern daran etwas, denn sie können alle ohne tödliche Gewalt gelöst, alle sogar umgangen werden. So war direkt mein erster Spieldurchlauf pazifistisch. Mankind Divided ist das erste Deus Ex, das diese Spielstilfreiheit direkt richtig macht!
Adam Jensen hat eine Reihe neuer möglicher Augmentierungen. Ich fand sie teilweise etwas redundant: Jetzt gibt es eben zwei Schilde, und mehrere Möglichkeiten ohne Waffen aus der Ferne Gegner auszuschalten. Aber es sind auch ein paar nette Ideen darunter, wie der Dash. Insgesamt fand ich die Augmentierungen wieder ziemlich cool, sie geben durch die gute Unterstützung des Leveldesigns dem Spieler irre viele Möglichkeiten. Gerade im Vergleich zum ersten Teil hat sich die Serie hier sehr gut entwickelt, als viele der Augmentierungen noch nutzlos waren. Und so schafft es das Spiel wunderbar, dass der Spieler langsam immer mächtiger wird – sogar wenn man wie in meinem Fall gar nicht kämpft.
Mir hat auch die Hauptstory gefallen. Trotz den oben erwähnten Plausibilitätsproblemen des Szenarios ist die Geschichte selbst spannend, die Verschwörung mysteriös und fesselnd genug. Besonders die Rolle Jensens in TF29 und seine Verbindung zum Juggernaut-Kollektiv ist interessant und passt wunderbar zu Deus Ex. Der Kniff im Abspann lässt da auch für den Nachfolger hoffen, auf dass der große Storyrahmen noch richtig spannend wird. Ich hatte auch kein Problem mit dem Punkt, an dem das Spiel aufhört. Vielen ist wohl das Ende übel aufgestoßen, denn anders als in den Vorgängern gibt es bei Mankind Divided noch einige klar gestellte, aber ungelöste Fragen. Doch ich fand das okay, denn die erlebte Story ist eine komplette Geschichte mit spannendem Anfang und zufriedenstellendem Ende. Dass da offensichtlich noch mehr kommen soll verleidet mir das nicht. Das würde ich vielleicht etwas anders sehen wenn es wirklich keinen Nachfolger geben sollte, aber diese Gerüchte waren glücklicherweise wohl falsch – eigentlich offensichtlich, wer würde so doof sein und eine so beliebte und auch kommerziell erfolgreiche Spieleserie nicht weiterführen wollen.
Technisch bin ich mit der Linuxversion nicht ganz zufrieden. Es ist zwar an sich schon toll, dass ein solches AAA-Spiel unter Linux läuft. Ohne Grafikfehler, ohne Pulseaudio-Abhängigkeit, mit funktionierendem Sound. Aber dass es mit Phenoms nicht startet ist eigentlich inakzeptabel, diese alten 6-Kern-Prozessoren sind gerade in Spielen kaum schwächer als die FX-Prozessoren, die ja durchaus unterstützt werden. Ich hatte gelegentlich Abstürze, manchmal frierte das Bild ein. Alle Ladezeiten sind zu lang, besonders der erste Start, aber auch das Wechseln des Stadtgebietes per Metro (und dabei war es schon auf einer schnellen SSD installiert). Die FPS könnten besser sein. Meine Hardware ist wohl etwas zu alt für das Spiel, das muss ich akzeptieren, finde aber, dass dafür die Grafik nicht ausreichend gut aussieht. Wahrscheinlich haben die Entwickler hier einfach kompliziertere und vollgepacktere große Gebiete umgesetzt, die in Human Revolution so noch nicht möglich waren – wobei die höheren Einstellungen doch wirklich deutlich besser aussehen als der Vorgänger, der das nur mit seinem Goldschleier etwas kaschierte.
Mankind Divided ist ein gutes Deus Ex geworden. Viele Handlungsmöglichkeiten, gute Story, interessante Charaktere. Ich habe es jetzt nochmal angespielt und muss sagen, dass auch der Shooter-Teil des Spiels gut geworden ist, den ich ja in meinem ersten Stealth-Durchlauf nicht erlebt habe. Natürlich kann es den ersten Teil nicht erreichen, und es hat nicht alle Stärken seines direkten Vorgängers, wie den einzigartigen visuellen Stil. Aber es hat seine eigenen Stärken, zu denen ich sogar die Handlung zählen würde, auf jeden Fall aber die Auflistung der Konsequenzen der eigenen Entscheidungen am Ende, die Unterstützung verschiedener Spielstile, das vollgepackte Prag mit seinen Nebenquests. Am Ende überzeugte mich besonders die finale Mission, die im Grunde Jensen als klassischen Geheimagenten einsetzt, was hervorragend zu Deus Ex passt und doch noch nie in der Serie umgesetzt wurde.
Mankind Divided bietet Fans der Serie also richtig viel. Du solltest es spielen.
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