Tyranny - Noch ein gutes RPG, diesmal in böse
Friday, 1. February 2019
Tyranny aus dem Caffeine-Humblebundle ist Pillars of Eternity wirklich ähnlich. Wie PoE ist es ein Rollenspiel, das den klassischen Vertretern des Genres wie Baldur's Gate 2 nacheifert. Tyranny aber hat zwei Besonderheiten: Ersten ist man in der Ausgangsposition Rechtsprecher eines bösen Overlords, zweitens gibt es viele Entscheidungen, die auch tatsächlich den Spielverlauf ändern. Die betreffen vor allem die Parteien, von denen es einen ganzen Haufen gibt. Mit den zwei großen bösen Armeen kann in der Handlung gegen die jeweils andere agiert werden. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit gegen beide zu rebellieren – aber klassisch den Guten zu spielen erschien mir zumindest für den ersten Spieldurchlauf witzlos. So viele Entscheidungen in einem etwas anderen Szenario zu haben ist klasse, denn dadurch wird das Rollenspiel tatsächlich zu einem Rollenspiel, in dem die gewählte Rolle getestet und durchgezogen werden kann.
Es gibt wieder Fähigkeiten, die in Gesprächen und der Umgebung eingesetzt werden. Im Grunde sind es nur drei: Lore, Athletik und Subterfuge. Weil die Balance verkackt wurde ist das aber leider anspruchslos. Nur ganz am Anfang gab es eine Situation, in der mein Charakter nicht genug Punkte in Athletik hatte, danach passte es das ganze Spiel hindurch in wirklich jeder Situation, immer. Immerhin sind in Gesprächen die so bewachten Optionen gar nicht immer die beste Wahl. Und es gibt auch noch den eigenen gewählten Charakterhintergrund, die Entscheidungen im Intro und Spielverlauf sowie die Meinung der Fraktionen und einzelner wichtiger Charaktere. All das hat in Gesprächen viele Auswirkungen und ermöglicht ebenfalls bestimmte Antworten. Und immer reagieren die Begleiter auf Entscheidungen mit Veränderungen in ihrer Loyalität mir gegenüber, und auch wenn eine Entscheidung den Zorn meines Arbeitgebers erweckt teilt das Spiel mir das mit. Immerhin ist es ja meine Aufgabe, das Gesetz eines rechtschaffen bösen Herrschers durchzusetzen. All das vorherzusehen und für mich akzeptable Lösungen zu finden wird durchaus komplex.
Die Gruppe fasst vier Recken, es gibt aber sechs Begleiter im Spiel. Da die ihren eigenen Charakter haben und fleißig das Geschehen kommentieren ist auch da viel Wiederspielwert. Denn in meinem Spiel wollte ich zwischen den Begleitern nicht hin- und herwechseln, zu gut funktionierte meine Gruppe mit den drei ersten Begleitern: dem Disfavored-Ritter Barik als Tank, Verve aus dem Scarlet Chorus als Schadensausteilerin, der Gelehrte Lantry war mein Magier und Heiler. Mein eigener Charakter war auf Wurfwaffen und Feuermagie spezialisiert. In D&D wäre das noch eine Dual-Klasse gewesen, hier geht diese Kombination problemlos regulär. Die fehlende Spezialisierung sollte Nachteile haben, aber die gab es nicht. Die Kämpfe nach dem ersten Akt waren eher auf der einfachen Seite, und dass die Fähigkeitsprüfungen kein Problem waren erwähnte ich ja schon.
Mir hat das Spiel insgesamt sehr gut gefallen. Ja, es gibt Schwächen: Der letzte Akt ist zu kurz, statt Portraitphotos in Gesprächen Charaktermodelle zu zeigen sieht richtig schlecht aus, die Begleiter haben keine eigenen Quests, mehr Gespräche hätten vertont und die Kämpfe taktischer sein sollen, die Story das Klischee "Du bist der Auserwählte" vermeiden können. Aber trotz all dem macht das Rollenspiel dank seinen Entscheidungen und dem ungewöhnlichem Szenario sehr viel Spaß. Tyranny saugt den Spieler in seine ganz eigene Welt, die des Overlord Kyros, samt magischen Edikten und einer Invasion, die ich gewinnen will und in der meine Entscheidungen schon vor dem Outro riesige Konsequenzen hatten. Und auch wenn mich das Auserwählt-Sein als Klischee stört, ist das mit der wachsenden eigenen Macht verbundene Fortschrittsgefühl in kaum einem RPG so fesselnd umgesetzt worden.
Wie schade, dass die Entwickler nicht noch ein paar Monate mehr in das Spiel investiert haben. Mit etwas mehr Feinschliff, mehr Inhalten rund um die Begleiter, sinnstiftenden Inhalten für das Edikt-System und der eigenen Behausung in dem nahezu fehlenden dritten Akt hätte Tyranny eines der ganz großen Vertreter seiner Genres sein können. Aber auch in diesem Aspekt ähnelt es eben Pillars of Eternity: Tyranny ist ziemlich toll, aber es könnte so viel besser sein. Mit all dem verschenkten Potential erreicht es dann leider nicht mehr die Klasse eines Baldur's Gate 2 oder Fallout 2.
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