Woran scheitern Software-Nutzer wirklich?
Sunday, 6. October 2019
Teil meiner derzeitigen Arbeit ist es, Software zu testen. Weniger, ob sie funktioniert, sondern ob Nutzer mit ihr zurechtkommen. Wenn ein Unternehmen eine neue Lagerverwaltungssoftware einführt könnte es uns beauftragen, zu testen ob die Angestellten im Lager mit dieser Software zurechtkommen. Oft geschieht das dann mit einem Nutzertest, in dem die Testnutzer mehrere typische Aufgaben zu erledigen versuchen.
Wenn die Aufgabe nicht erledigt werden kann, woran scheitern die Leute? Eigentlich nie an sich selbst, der Fehler liegt fast immer bei der Software. Und viele Probleme sind typisch, sie finden sich immer wieder. Hier ist eine Auswahl:
1. Flat Design
Ist dieser Designtrend nicht längst vorbei? Doch trotzdem sehe ich es noch, und alle damit verbundenen Probleme. Das Problem ist das Weglassen von Tiefeninformationen – Flatness eben. Wird das schlecht umgesetzt, sehen Buttons nicht mehr wie Buttons aus, sondern es werden einfach die Symbole, die sonst in den Buttons wären, auf der Oberfläche verteilt.
Doch ein Symbol hat keine Affordance. Ein Button schon. Sieht ein Nutzer einen Button weiß er: Da kann ich draufklicken! Er weiß nicht unbedingt was der Button dann bewirken wird, aber zumindest die Bedienung ist klar. Bei schlecht umgesetztem Flat Design ist nicht klar, welche Symbole angeklickt werden können. Effekt: Der Nutzer sitzt ratlos vor dem Bildschirm und weiß nicht was er tun soll.
Diese Kritik ist so alt wie der Designtrend selbst. Doch sie ist nicht theoretisch, sondern vielfach beobachtete Realität.
2. WTF-Momente
Stell dir vor, du willst ein Bild des Firefox-Logos speichern. Du gehst auf die Webseite, rechtsklickst, wählst Speichern unter, vergibst einen Namen und drückst auf Speichern. Doch mitnichten: Stattdessen taucht eine Meldung auf, "Der Dateiname muss mit Bild oder Textdatei beginnen." Absurd? Ja, ein echter WTF-Moment. In einer ähnlichen Situation innerhalb der getesteten Software weigerten sich die Testnutzer, der Meldung glauben zu schenken. Sie wurde gelesen und ignoriert und nach einer anderen Möglichkeit gesucht, das Element zu speichern. Bis wir eingriffen und erklärten, dass der Meldung wirklich gefolgt werden muss.
Die Nutzer konnten Deutsch, sie hätten die Meldung verstehen können. Aber ihr Inhalt war so abstrus, dass die Nutzer sie instinktiv ignorierten. Bewegt sich Software so völlig außerhalb des Erwartbaren, hören Nutzer auf zu denken und verweigern die Kooperation.
3. Falsche Führung
Eine Liste mit wichtigen Messwerten, ein neuer Wert soll eingetragen werden. Das ist nicht ganz einfach: Ein per Flat Design versteckter Hinzufügen-Knopf am äußersten Rand muss gefunden werden. Was ist einfacher? Einen Listeneintrag anklicken. Wodurch ein neues Formular aufgeht, in dem ein Wert eintragbar ist, der dann aber den alten Messwert überschreibt. Völlig ohne Warnung.
Die Firma hätte massenhaft an Daten verloren. Da die falsche Interaktion einfach war, und die richtige schwieriger.
4. Fehlende Führung
Problematisch ist auch, wenn einfach nicht klar ist wie die Aufgabe zu erledigen ist. Das passiert gerne bei Software, die im Grunde eine Aneinanderreihung von Formularen ist, aber auch wenn etwas erschaffen werden kann. Wie fange ich an? Wo muss ich hin? Besonders wenn die Oberfläche sowieso schon kompliziert ist sollte zumindest das deutlich sein.
5. Einklappbare Elemente
Das verbindet sich manchmal mit Flat Design, ist aber auch ansonsten problematisch. UI-Elemente wegklappen zu können funktioniert nicht. Bei Zusatzinformationen noch angemessen, gibt es manchmal Interfaces, in denen ganze Abschnitte ein- und ausgeklappt werden können. Spart Platz und macht die Software anpassbarer, aber die Orientierung gerade am Anfang sehr viel schwieriger.
So zum Beispiel
Wenn jetzt hier nicht nur weiterer Text folgen würde, sondern ein ganzes Formular, dann wäre das wahrscheinlich verwirrend.
6. Text als Eingabewidget
Ich meine damit diese Formulare, in denen die Eingabefelder als Text angezeigt werden, erst bei Hovern und Anklicken werden sie transformiert. Sehr verwirrend, weil nicht klar wird welche Texte Eingabefelder und welche einfach nur Labels sind. Die Affordances werden verschluckt. Dann muss einzeln gelernt werden, wie das Formular aufgebaut ist, anstatt es auf einen Blick erkennen zu können.
7. Und besonders: Falsche Benennung
Das ist das wirklich große Problem: Nicht die Sprache der Nutzer sprechen. Wenn ich in einer Bahnapp meine Bahntickets suche, schaue ich unter Tickets. Nicht unter Ressourcenbelegungen. Gerade wenn schon bestehende Software abgelöst werden soll oder wenn es feststehende Begrifflichkeiten gibt macht die falsche Sprache die Nutzung von Software sehr schwierig. Das geht dann so weit, dass in manche Programmpunkte nicht hineingeschaut wird, weil es so falsch benannt ist, dass es in den Augen der Nutzer etwas ganz anderes sein muss. Ich würde ja auch nicht unter Kalender nach meinen gekaufen Bahntickets suchen.
Wie gesagt, nur ein Auszug. Es gibt noch eine Reihe typischer Probleme mehr – nicht zurückgehen können zum Beispiel, Übergänge nicht anzeigen, aber auch wenn Software schlicht zu langsam ist. Für mich war es interessant zu sehen wie die Probleme sich ähneln und wie verdammt effektiv es ist, in relativ einfachen Tests echte Nutzer vor die Software zu setzen. Alle diese Benutzungsprobleme lassen sich dann finden. Man muss nur vorher herausfinden, welche Aufgabe mithilfe der Software erledigt werden soll.
Dirks Logbuch am : Linkdump 29/2021
Vorschau anzeigen
onli blogging am : Usability als Prozess in Theorie und Praxis
Vorschau anzeigen