Begleys Reihe über Schmidt hatte ich vor Jahren schonmal gelesen, den dritten Teil angesichts seines Erscheinungsdatums vor nicht zu langer Zeit, aber jetzt nochmal im Original und alle hintereinander.
Der erste und der zweite Teil fließen ineinander. Der dritte unterscheidet sich deutlicher. In allen ist Schmidt ein alter Mann, ein ehemaliger Anwalt. Seine Frau ist gestorben. Seine Tochter Charlotte ist grenzdebil und ihm gegenüber feindlich eingestellt, ihr Ehemann und seine Familie passen dazu. Einen Freundeskreis glaubt er nicht zu haben (es wird angedeutet, dass das nicht stimmt und die Isolation selbstgewählt ist), abgesehen von einem jüdischen Filmemacher, ein Studienfreund.
Spoilerwarnung
Dieses Szenario wird in About Schmidt beschrieben. Trauer, Isolation und Zurückweisung würde ich als die Hauptthemen sehen. Interessant: Schmidt ist kein sympathischer Charakter. Er ist nicht amoralisch, anders als ein dem Buch angehängter Reviewauszug ihn beschreibt. Er betrog seine Frau und sieht darin auch kein echtes Problem, vll ist das damit gemeint, vielmehr aber bewertet er das einfach nach angerichtetem Schaden und Diskretion. Nein, da ist schon eine Moral, aber er hat gleichzeitig immer wieder Kommentare, Gedankengänge und Verhaltensweisen drauf, die ihn zu einem Unsympathen machen. Zum Beispiel wenn er den Mann seiner Tochter verachtet, weil er nur arbeitet und nichtmal versucht Bücher zu lesen, er selbst allerdings in dem Alter auch nur arbeitete und immer noch jedes mal nach drei Seiten seines Buches einschläft. Gleichzeitig ist da aber diese berechtigte Verletztheit, die Ungerechtigkeit der Welt und seiner Familie ihm gegenüber, sein Suchen nach Besserung – als Leser gewinnt er einen dann doch.
Wiederkehrendes Motiv Begleys ist Schmidts frühere Firma, die immer wieder sein Denken bestimmt, Teil seiner Identität, aber auch Ort mehrfachen Verrats (der alte Freund, der ihn rausdrängte; die Pensionsbezüge, die vertragswidrig gekürzt werden sollen).
Stark ist dieses Bild, wie er in seiner Küche sitzt und aus Einsamkeit und Zuneigung gerne Charlotte und ihren Mann im Gästehaus besuchen würde, es aber aus Selbstrespekt und Sturheit nicht tut, weil er ja nicht eingeladen wurde. Und aus dieser Zwickmühle nicht rauskommt.
Zwischendurch lernt er Carrie kennen, eine zwanzigjährige Kellnerin mit …ungewöhnlichem(?) Sexualverhalten. Mit ihr beginnt er gegen Ende einen neuen Lebensabschnitt und entwickelt dabei so etwas wie Unabhängigkeit, eine Existenz außerhalb des familiären Dramas.
Schmidt Delivered erzählt die direkte Folgezeit. Wie prophezeit endet die Beziehung mit Carrie, wenn auch nicht im großen Streit. Seine Tochter durchlebt ein paar Höhen und Tiefen, aber sie bleibt ihm fremd, wobei sie gegen Ende einen Neuanfang vereinbaren. Er gewinnt einen neuen Freund, einen Milliardär. Dieser hat eine Stiftung (angelehnt an George Soros?) und bietet die Leiterrolle Schmidt an. Der zögert erst, ein größerer Diskussionspunkt, nimmt dann aber doch an. So bekommt er einen neuen Lebensinhalt.
Dieser Abschnitt ist so kurz, weil im Grunde im zweiten Roman nicht viel passiert. Das Hauptinteresse hier ist, dass unklar bleibt was passieren wird. Schmidt lernt, er kämpft, mit sich selbst und seiner Vergangenheit, mit seiner Moral und der Amoral seiner missratenen Tochter, mit eigenen Fehlern und Fehlern anderer. Entsprechend ist sein Zögern ob der Leiterrolle ein großes Thema: Was steckt dahinter? Berechtigte Angst vor dem Einfluss des Milliardärs, will der wirklich nur mit ihm spielen wie befürchtet, oder ist da echte Freundschaft? Begley selbst hat einen Gastauftritt als Gast des Milliardärs, als Autor mit ähnlichem Hintergrund, sozial unfähigen Widerling (wenn Begley sich selbst wirklich so sieht erklärt das viel) und einer bald ihm untreuen Ehefrau. Auch dieser Auftritt passt zu der aufgebauten Spannung: Was (welches Grauen) verbirgt sich dahinter? Wie sollten sich Menschen anderen Menschen gegenüber verhalten?
Schmidt nötigt dem Leser insgesamt Respekt ab, wie er die Demütigung des Alters und der Zurückweisungen durch Carrie nicht nur erträgt, sondern in eine positive Beziehung umwandelt. In der Diskussion der kurzen Handlung lernt er, er bessert sich, legt die Grundlage für die Erwachsenwerdung im Finale. Am Ende und nach dem verabredeten Neuanfang mit seiner Tochter klopft er in Paris an eine Haustür; überdeutlich, dass hier mit besagtem Finale ein neuer Lebensabschnitt anfangen wird.
Schmidt Steps Back beginnt mit einer Frau namens Alice, die ihn besuchen kommt – sie wartete hinter der Tür in Paris. Retrospektiv wird dann erzählt, wie es zu dem Besuch kam. Die Handlung umfasst mehr Jahre als die vorherigen Bücher, Schmidt ist deutlich älter. Diese Erzählperspektive macht den Roman anders als die vorherigen, aber auch Schmidt ist gewandelt. Dadurch ändert sich die Wahrnehmung: Vorher war nicht klar, ob die angeheiratete Familie seiner Tochter wirklich so furchtbar war oder Schmidt nicht vielmehr ein Arsch. Jetzt wird deutlich, dass sie bis auf den Vater tatsächlich widerwärtig waren, sie sein Geld stehlen und dafür die gestörte Tochter instrumentalisieren wollten. Dementsprechend eskaliert die Beziehung zu ihr, der Neuanfang scheitert zuerst. Doch nach einer Fehlgeburt landet sie in der Psychatrie, was diese Dynamik aufbricht.
Die Beziehung mit Alice scheitert zunächst ebenfalls, denn im Gegensatz zu seiner Idealisierung (was er mit Frauen immer macht, sie hochzuidealisieren, wenn ein alter Körper ihn nicht zu sehr anekelt – was er erst mit Alice im Greisenalter überwindet) lügt sie ihn mehrmals an, womit er schlecht umgeht. Doch wir wissen ja schon, dass sie am Ende doch zu ihm reist.
Furchtbar: Wie Charlotte stirbt, nachdem sie sich aus ihrer Depression gerissen und von den Manipulatoren befreit hatte und anfing, eine positive Beziehung zu Schmidt und einem neuen Mann aufzubauen. Wobei Begley diese Entwicklung meisterhaft andeutet, indem ihre Annäherung über Katastrophen in den Nachrichten als Gesprächsthema stattfindet. Beim ersten Lesen verpasste ich die Offensichtlichkeit darin, aber es erschafft auch dann eine üble Vorahnung.
Mehr noch als die ersten beiden Romane ist der dritte Teil durch diesen Kniff ein Gesellschaftsroman. Schmidt bekommt die großen Ereignisse der USA mit – der Bombenanschlag in Oklahoma, Clintons Impeachement, Bushs Wahlsieg, 9/11, prophezeit die folgenden Kriege, freut sich über Obamas Wahlsieg (ein großer Schritt im Vergleich zum jüngeren Schmidt aus dem ersten Teil), unwissend über die Katastrophe namens Trump, welche die USA später erleiden wird. In der Reaktion Schmidts auf diese Geschehnisse kommentiert Begley die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft.
Und dann ist da Schmidt selbst. Er sagt es auch: Er sei erwachsen geworden. Und man muss zustimmen. Der Schmidt im dritten Teil ist ein kompletterer Mensch als im ersten. Er löst sozial schwierige Situationen, ohne auf die Führung einer Frau angewiesen zu sein. Er weiß, wann er schweigen muss, wann er Geld geben sollte und wann es besser verweigert wird. Wie erwähnt, sein Rassismus ist verschwunden. Vor allem aber ist da der Gegensatz zum Schmidt vor der Rente, der in einem kaputten Scheinleben vor sich hin arbeitete, unglücklich in der Arbeit, der Ehe, seinen Affären, im Bett und im Sozialen – jetzt aber eine Frau als Erlösung akzeptiert, die sich der Rolle der perfekten Ehefrau und Gastgeberin explizit verweigert. Auch für ihn selbst bedeutet das eine andere Auffassung von Lebenszweck und Glück.
Alle drei Romanen funktionieren gut. Begleys Charaktere sieht man so sonst nicht. Und er beschreibt auf der einen Seite ein Vorzeigeleben, um es dann zu vernichten, indem er die Grausamkeiten und den fehlenden Lebenssinn von Schmidt vor seiner Rente zeigt. Dann aber folgt – auch nicht besser – die Einsamkeit und die Isolation im Alter, verstärkt durch die widerliche Familie seiner Tochter und ihr unmögliches Verhalten. Das ist nachvollziehbar, als Leser fühlt man diese existentiellen Probleme und Ausweglosigkeiten. Und doch gibt es Erlösung. In dem Ganzen ist auch eine Offenheit, eine Klarheit im Denken, die man sonst zu selten findet. Typisch für Begley ist eine eher widerliche Sexualität, die sich durch alle drei Romane zieht. Ob man die akzeptieren kann wird vom Leser abhängen. Auch dieses extrem reiche Leben – keiner hier hat ernsthafte Geldsorgen – wird den wenigsten Lesern bekannt sein, aber Begley porträtiert diese Klasse ja auch und macht damit ihr Denken verständlicher.
Im Nachvollziehbarmachen eigentlich sehr ferner Lebenssituationen liegt Begleys enormes Talent, das in allen drei Schmidt-Romanen voll durchschlägt. Entsprechend großartig und lesenswert sind sie dann auch.
onli blogging am : Begley: Memories of a Marriage
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onli blogging am : Louis Begley – Killer, Come Hither
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