1.
Dass heute noch, Wochen nach dem Anfang der Vorsorgungskrise, kein Toilettenpapier in den Supermärkten vorhanden ist zeigt ein Systemversagen. Es ist höchst bedenklich: Bedürfnisse besser zu befriedigen als alle anderen Systeme war immer das große Plus des Kapitalismus. Aber in der jetzigen Form reicht es nichtmal fürs saubere Kacken. Ob verstaatlichte Produktion oder Verteilung der Güter: Auf einmal sehen extremste antikapitalistische Maßnahmen vernünftig aus. Das ist ein historischer Moment, manifestiert im gewöhnlichsten der Konsumgüter.
2.
Stefan Sasse scheibt in Wie Weltordnungen sterben über das Ende der liberalen Nachkriegs-Weltordnung:
Und nun zu Corona. Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der die Nationalstaaten sich ihre Souveränität, die noch in der Brexit-Debatte (auch von mir) als Anachronismus gehandelt wurde, wieder zurücknahmen, die Flüsse von Menschen, Kapital und Waren zwischen den Grenzen zum Erliegen brachten und Vertragswerke von den WTO-Regeln bis zu Maastricht einfach ignorierten, dürfte nicht nur unter der Knute des IWF leidende Entwicklungsländer oder die Bevölkerung Athens überrascht haben. Es ist gerade die Selbstverständlichkeit, mit der das Abtreten all dieser Regeln hingenommen wurde, die ein Alarmzeichen sein sollte.
Und auch wenn ich befürchte, dass er Recht hat und wir keinesfalls den Schwanengesang des Kapitalismus erleben: Der Versuch, überaggressive globalkapitalistische Handelsabkommen durchzusetzen ist auch ein großer Teil dieser Entwicklungen. ACTA und TTIP zeigten überdeutlich, dass im jetzt sterbenden System wichtigste Nationalstaatsbefugnisse bedroht waren. Mit ihren Inhalten wie mit dem Versuch, sie außerparlamentarisch durchzudrücken. Die Retrospektive macht die Richtigkeit der Kritik nochmal überdeutlich: Dass mit TTIP US-Schrottprodukte auf europäische Märkte gespült worden wären bekommt doch nochmal besondere Brisanz wenn Krisen wie die momentane zeigen, wie wichtig Produktions- und Hygienestandards sind. Und auch die Bedeutung autarker Produktionslinien wird deutlich, wenn globale Versorgungsketten zusammenbrechen. Autarke Systeme jedoch stehen im direkten Konflikt mit der Intention solcher Handelsabkommen, die allerdings die Essenz der bisherigen Weltordnung waren.
Noch dazu gäbe es mit TTIP jetzt übernationale Schiedsgerichte, die gegen Firmen und Staaten vorgehen würden, die auf den Coronavirus reagieren. Auch deshalb, weil die Neoliberalen maßlos überzogen haben, gehen jetzt kritiklos die Grenzschranken runter.
Auch wenn Faschisten wie Trump aufgrund höchstmöglicher Unfähigkeit von der Krise nicht profitieren - senil, diktatorisch und komplett der Realität entrückt kann auch ein Möchtegernalleinherrscher nicht angemessen auf eine Krise reagieren -: Dieser Grundkonflikt zwischen Allmachtsanspruch des Globalkapitalsmus und seiner jetzt besonders deutlich werdenden Missachtung nationaler Interessen (wie Autarkie, Lohnsteigerungen, Wohlstandsgewinn, funktionierenden Sozialsystemen) wird ein großes Problem für Politiker bleiben, die Globalismus als Heilmittel predigen - ob das nun eine Clinton, ein Biden, Macron oder ein Merz ist. Wenn wegen ihrer Kernidelogie Menschen in unterfinanzierten Krankenhäusern verrecken und in vielen Ländern so viele trotz Virus arbeiten gehen müssen und sich und andere deswegen anstecken; weil sie sonst verhungern würden, dann ist das definitiv kein gutes Propagandamaterial für die Globalisierer. Wenn das nicht den Linken nützt wird es mittelfristig doch den Nazis zugute kommen.
3.
Der Konflikt ums Sitzen auf Parkbänken ist nicht belanglos und nicht zu verharmlosen. Zu verbieten, alleine in Parks zu gehen und dort die Sonne zu genießen, ist absurd. Daran festzuhalten ist absurder.
Die uns allen auferlegten Beschränkungen sind massiv, das Demonstrationsverbot grundgesetzwidrig. Das scheint derzeit egal – denn es ist egal, solange alle Seiten überzeugt sind, dass derzeit von allen ehrlich das bestmögliche versucht wird und temporäre Überschreitungen der Rechtsordnung nötig sind, um den Virus unter Kontrolle zu bekommen. So abgedroschen das klingen mag: Es ist ein ganz frischer Gesellschaftsvertrag. Und damit ein hochheikler Balanceakt. Der direkt zu kippen droht, wenn von Seiten der Staatsmacht offensichtlich unsinnige Maßnahmen durchgesetzt werden, wenn die einzige Rechtfertigung weil sie es kann und du hast zu gehorchen ist.
Wenn sich daran die Gesellschaft erzürnt ist das keine überzogene schildbürgerhafte Debatte, nicht Ausdruck deutscher Verantwortungslosigkeit, sondern Erfüllen einer wichtigsten Alarmfunktion. Da drohte der fragile Zusammenhalt zu kippen. Und auch hier ist ein ganz gewöhnliches Objekt plötzlich von womöglich historischer Wichtigkeit, setzt sich die Parkbank zum Klopapier.