Wer die aktuellen Berichte über den Betrug bei Wirecard liest, wie in diesem Artikel auf ZEIT ONLINE, bekommt folgendes Bild vermittelt: 1,9 Milliarden Euro fehlen, der Gründer ist zurückgetreten, die Aktie ist am Boden, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Soweit, so schlimm, so normal. Dass im Finanzsektor betrogen wird ist alltäglich, ein illegitimer Bonus hier, ein paar faule Kredite da, ein bisschen Milliarden des Staates stehlen per Cum-Ex dort. Und der Staat ist ja jetzt per Staatsanwaltschaft München aktiv, alles wird gut.
Doch bei Wirecard geht es um viel mehr als nur das Fehlverhalten eines Unternehmens und der Staat war schon lange aktiv. Um Wirecard zu schützen.
Denn die Betrugsvorwürfe gegen Wirecard sind keinesfalls neu. Ihr großes Finale war Anfang 2019 ein Artikel in der FT, in der die Zeitung dem Unternehmen Betrug vorwurf. Die Bilanzsumme in Asien sei künstlich aufgebläht worden. Dann passierten drei Dinge:
- Die BaFin stellte Strafanzeige gegen die FT wegen Kursmanipulation.
- Die Münchner(!) Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Dan McCrum als FT-Journalisten, ebenfalls wegen Marktmanipulation.
- Die BaFin untersagte Leerverkäufe gegen Wirecard, um so den Kurs der Aktie angesichts der Vorwürfe zu schützen.
Die BaFin ist übrigens die dem Finanzministerium unterstellte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Hier wurde also das volle Arsenal des Staates eingesetzt, um einen wichtigen deutschen Aktienwert vor feindlichen Journalisten zu schützen. Dass die Vorwürfe stimmen konnten war offensichtlich keine Option. Nur: Sie stimmten.
Einen Zusammenschrieb davon findet sich zum Beispiel auf Twitter.
Das gäbe es zu berichten. Und noch viel mehr. Zum Beispiel darüber, wie absurd der Betrug ist. Da gibt es seit Jahren Vorwürfe, mindestens seit einem Jahr ganz konkrete, und die ganze Zeit kommt keiner der Prüfer mal auf die Idee, bei den asiatischen Banken nachzufragen ob die zugehörigen Konten überhaupt existieren? Was waren denn das für Prüfer?
Gleichzeitig lief wohl eine massive illegale Kampagne pro Wirecard gegen Shortseller und Journalisten. Dark Basin war angeheuert gegen sie vorzugehen, mit gestohlenen Infos und Falschinformationen. Mehr dazu bei citizenlab. Stimmt das? Wer bezahlte die? Wie tief ist der Sumpf?
Die ZEIT (und jede andere größere deutsche Zeitung) kennt diese Hintergründe. Sie berichtete teilweise damals selbst darüber. Doch in den aktuellen Berichten hat sie das alles praktischerweise vergessen. Das ist das Einmaleins der Manipulation durch Medien: Klare Lügen sind schlecht, das fällt auf, aber selektives Weglassen ist viel effektiver. Es wird seltener entdeckt und wenn, ist es wenigstens nicht strafbar. Hier erlaubt es die Manipulation, den Skandals als einen ganz gewöhnlichen darzustellen. Die Firma ist schuld. Dass Deutschlands Institutionen mindestens massiv versagt haben oder wahrscheinlicher direkt korrupt waren wird durch Weglassen des Kontexts verschleiert. Obwohl es nur ein bis zwei erklärende Sätze brauchen würde.
Ob das nun bewusste Manipulation oder Inkompetenz ist, auf jeden Fall ist es eine Schande.
Edit: Noch mehr Hintergrundinfos dazu wie alt die Vorwürfe sind und wie massiv Wirecard und der Staat gegen Kritiker vorgingen (und wie die Medien in ihrem Sinne berichteten) sowie generell eine interessante Perspektive finden sich in diesem Blogartikel auf valueandopportunity.com.
Update 25.06.2020: Jetzt, da Wirecard Insolvenz angemeldet hat, ist der Damm gebrochen. In einem Kommentar erklärt die Zeit mehr der Hintergründe und benennt manche der Versager. Die BaFin, EY als Prüfer der Vorjahresbilanz sowie Analysten, die den KPMG-Bericht vom April ignorierten.