Auf Hacker News tauchen immer wieder Pro-Atomkraftartikel auf, mich nervt das jedes mal.
Die Diskussionen laufen immer sehr ähnlich ab, die gleichen Argumente werden ausgetauscht, viele davon falsch. HN hat oft sehr interessante Artikel auf der Startseite und auch häufig gute Kommentare, aber bei Atomkraft sind die meist aus den USA stammenden Nutzer erschreckend technik- und systemgläubig. Die Behauptungen sind:
"Atomkraft ist sicherer als andere Energiequellen"
Was meinen sie mit sicherer? Wenn Atomkraftgegner die Sicherheit von Atomkraftwerken kritisieren geschieht das auf der Grundlage des Vernichtungspotentials eines Super-GAUs. Die bekannten Katastrophen (Tschernobyl, Fukushima, wenn US-lastig wird auch oft Three Miles genannnt) zeigen, dass in menschlicher Hand diese Technik nicht sicher eingesetzt werden kann, weil irgendwer immer irgendwann Sicherheitsmaßnahmen ignoriert. So hat Tschernobyl eine 30-km Zone unbewohnbar gemacht.
Die Befürworter ignorieren das Potential und brechen es auf eingetretene Todesfälle herunter. Dabei werden gerne minimale Todeszahlen für die Katastrophen angenommen, Tschernobyl z.B. als 30 direkte Todesfälle gezählt. Zitiert werden dann aus der Luft gegriffene Statistiken, nach denen Atomkraft viel weniger Menschen töte. Die hübschgemachte Seite ourwoldindata listet zum Beispiel diese Zahlen für deaths per terawatt-hour:
Kohle
|
24.62
|
Gas
|
2.82
|
Atomkraft
|
0.074
|
Wind
|
0.035
|
Es gibt andere Varianten dieser Zahlen in denen dann Nuklearenergie sogar sicherer als regenerative Energien dasteht.
Gegenstrategien:
- Dieses Aufrechnen von Menschenleben ist widerlich.
- Die Zahlen sind falsch. Ein Greenpeace-Artikel geht darauf ein.
- Bei Sicherheit geht es nicht nur darum was eingetreten ist, sondern um das Gefährdungspotential eines Super-GAUs. Das Beschränken auf Betriebstodeszahlen (selbst wenn bislang eingetreten Katastrophen eingerechnet werden) verzerrt den Sicherheitsbegriff zugunsten von Atomkraft.
- Wir haben keins und können kein sicheres Endlager für Atommüll haben. Das Gefährungspotential durch den bleibt uns Jahrhunderte erhalten.
"Der Atommüll ist kein Problem, den lagern wir sicher ein oder produzieren damit Energie"
Technik- und Systemgläubigkeit in trauter Zweisamkeit.
Das sichere Einlagern schaffen wir nicht. Es kann gar nicht gehen: Wir müssten den Müll so sicher weglagern, dass auch lange nach dem Zusammenbruch unserer Zivilisation jeder verstehen würde, dass das Atommülllager nicht betreten werden sollte. Ja, es müsste unmöglich sein. Doch die dafür nötige Architektur und Kommunikationstechnik haben wir nicht.
Schon jetzt sind wir nicht in der Lage, keine Unfälle in Atommülllagern zu produzieren. So wurden in Deutschland im gescheiterten Lager Schachtanlage Asse tropfende und rostende Fässe voller Atommüll vergraben, die dann in Kontakt mit Lauge kamen. Das Lager war daraufhin mit radioaktiver Lauge versetzt und wurde unbrauchbar (ich werde hier öfter zur FAZ linken, denn sie ist der Atomkraftgegnerschaft unverdächtig). Für ein US-lastigeres Beispiel eignet sich Hanford. Aktiv im kalten Krieg, währenddessen wurde fröhlich Strahlung in die Luft und den Columbia River geleitet, war die USA auch später nicht in der Lage den Müll zu kontrollieren:
DOE later found water intruding into at least 14 single-shell tanks and that one of them had been leaking about 640 US gallons (2,400 l; 530 imp gal) per year into the ground since about 2010. In 2012, DOE discovered a leak also from a double-shell tank caused by construction flaws and corrosion in the bottom, and that 12 double-shell tanks have similar construction flaws. Since then, the DOE changed to monitoring single-shell tanks monthly and double-shell tanks every three years, and also changed monitoring methods. In March 2014, the DOE announced further delays in the construction of the Waste Treatment Plant, which will affect the schedule for removing waste from the tanks. Intermittent discoveries of undocumented contamination have slowed the pace and raised the cost of cleanup.
Aber wenn wir nur endlich die Technik einsetzen würden, um den Müll wiederaufzuarbeiten und so zu entschärfen! Doch die gibt es nicht. Die Technik entpuppte sich als Sackgasse:
Nicht nur das bei der Wiederaufarbeitung anfallende Plutonium, auch die Emissionen, und die Gefahrgut-Transporte der aus der Wiederaufarbeitung zurückzuführenden radioaktiven Abfälle führten zu steigender Kritik an der Wiederaufarbeitung. Unregelmäßigkeiten in den produktbegleitenden Unterlagen und Dokumentationen, insbesondere bei der Verarbeitung des aus der Wiederaufarbeitung zurückgewonnenen Plutoniums in der britischen MOX-Brennelementefabrik in Sellafield, ließen das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Betreiber sinken.
Anders: Es bliebe immer noch Müll über, es entstehen Emissionen und der nötige Transport ist kritsch. Zudem - Thema Systemvertrauen - ist zu ungewiss, wo das entstehende gefährliche Plutonium landet.
"Atomkraft produziert kein CO2, sie wäre gut gegen den Klimawandel"
Das Argument ist nicht ganz verkehrt. Verglichen mit Öl, Kohle und Gas hat Atomkraft wohl sogar dann eine bessere CO₂-Bilanz, wenn man versucht den gesamten Lebenszyklus eines AKWs zu betrachten.
2014 einigte sich das IPCC, also das Klimawandelpanel, auf diese Zahlen für den CO₂-Ausstoß (Median) pro KWh:
Kohle
|
920
|
Gas
|
490
|
Atomkraft
|
12
|
Wind
|
11
|
Gegenstrategien:
- Diese Zahlen sind nicht unumstritten. In Life Cycle Greenhouse Gas Emissions of Nuclear Electricity Generation, was zu ihrer Auswahl benutzt wurde, wird auf ihre Unsicherheit hingewiesen. Zum Beispiel wenn Uranium knapp wird und schwieriger abzubauen erhöht sich dieser Aufwand und damit auch der CO₂-Ausstoß. Es wird Aufwand für die Endlagerung geschätzt, wenn der aber aufgrund ihrer ersichtlichen Unmöglichkeit immer größer wird sind die Zahlen ebenfalls falsch.
-
Es geht ja eben nicht nur um den CO₂-Ausstoß, sondern um den radioaktiven Abfall.
"Aber Kohleenergie ist schlecht!"
Ja. Kohleenergie ist scheiße, sie produziert Unmengen an CO₂ und schleudert Radioaktivität in ein riesiges Gebiet um das Kraftwerk herum. Dazu kommt die Umweltzerstörung durch den Kohleabbau.
Aber sie hat immerhin kein Gefährdungspotential eines Super-GAUs. Und: Kein Atomkraftgegner wollte Kohleenergie. Sie wird von konservativen Politikern eingesetzt, die gegen ihre eigene Überzeugung die AKWs abschalten mussten und eine möglichst ähnlich aussehende Lösung suchten, sodass weiterhin die Energiefirmen an wenigen Standorten große Kraftwerke betreiben können. Das geht Hand in Hand mit der Verweigerung gegen einen Ausbau der Nord-Süd-Stromtrasse, der Umlagerung der Kosten der Energiewende auf den Verbraucher (per EEG-Umlage), dem Ende der Subventionen von grüner Energie und der effektiven Blockade des Baus weiterer Windräder durch Abstandsregelungen.
Dass Kohleenergie Mist ist macht Atomenergie aber nicht besser. Die gewünschte Alternative ist regenerative Energie.
Immerhin: Atomkraft verliert
Auch wenn es frustrierend ist, wenn so viele immer noch Atomkraft gut finden: Es ist irrelevant. Kohleenergie wird schon deswegen jetzt beendet, weil sie im Wettbewerb mit Ökostrom viel zu teuer ist. Atomkraftwerke sind irre teuer, sie rechnen sich für die Betreiber nur durch die massiven Subventionen. Es ist absehbar – nein, beschlossen – dass die Betreiberfirmen auch bei ihrem Abbau subventioniert werden, mindestens indem der Staat die Verwantwortung für den Atommüll übernimmt. Aber diese Korruption ist der letzte Akt im Kapitel aktiver Atomkraftwerke. Trotz ihr wird die Marktkraft des günstigen Ökostroms auf kurz oder lang zum Abbau weiterer Atomkraftwerke auch außerhalb Deutschlands führen. Völlig egal, welche Argumente in Onlinediskussionen wiederholt werden.
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