Wegen Stephenson würde man bei Reamde einen Cyberpunk-Roman erwarten. Doch mit Cyberpunk oder gar Science-Fiction hat Reamde nichts zu tun. Die Handlung spielt in der Jetztzeit, nur dass sich statt World of Warcraft ein anderes MMORPG einer anderen Firma durchgesetzt hat. Eines, das den Goldverkauf legitimiert hat und noch etwas bekannter geworden ist. Doch das ist nur ein Detail, denn eigentlich ist Reamde eine tausendseitige Actiongeschichte mit Entführungen, Gangstern, Geheimagenten und Terroristen, als wegen einer von Spielern gesteuerten Ransomware-Attacke fast zufällig die Nichte des Firmenchefs verschleppt wird.
Typisch ist da nur die lange zusammenhängende Handlung, bei der immer wieder mehrere Stränge parallel verlaufen. Diesmal bleiben die aber viel stärker bei der Haupthandlung als z.B. in Diamond Age. Eine weitere Ähnlichkeit ist, dass es mit dem Spiel so etwas wie einen Cyberspace gibt, der Auswirkungen auf die Echtwelt hat. Die Figuren ähneln auch noch den Cyberpunkfiguren; Wie die Charaktere sympathisch aufgebaut werden und wie sie immer unwahrscheinlich fähig und überdurchschnittlich interessant sind.
Wenn ich jetzt daran denke, wie wenig eigentlich in Reamde passiert, geht das absolut nicht mit der enormen Seitenzahl zusammen. Entsprechend hat es Unmengen an Längen und was erzählt wird ist breit ausgemalt, mit sehr vielen Hintergrundgeschichten sowie technischen Details über die Waffen und bei den Beschreibungen der Handlungsorte. Die Handlung hatte mich zwar irgendwann gepackt und ich wollte den Roman doch fertiglesen, aber so richtig gut fand ich ihn nicht. Die Actionfilm-Verwerfungen, die durch die Ransomware-Attacke ausgelöst werden sind zwar amüsant und kreativ. Aber so ein MMO ist verglichen mit Welten wie der aus Snow Crash eine verdammt schwache Scifikomponente, und da man über solche Spiele so viel weiß lädt sie nur dazu ein, die technischen Fehler des beschriebenen zu analysieren. Ohne diese kreative Komponente jedoch bleibt nur ein detailreicher Thriller über.
Ich finde Reamde zeigt gut, dass viele Details einen Thriller nicht spannender machen. Wäre er 500 Seiten dünner hätte ich ihn wahrscheinlich toll gefunden, so ist es eine überfrachtete Actiongeschichte mit ein paar mittelmäßig spannenden Technikelementen geworden.