Die alternative fiktive Geschichtsschreibung mit Hearts of Iron IV
Wednesday, 4. August 2021
Hearts of Iron IV hat mich in meinem momentanen Durchlauf sehr damit überrascht, wieviele Möglichkeiten es dem Spieler gibt und wie gut es Spielerentscheidungen aufgreift.
Vorab: Es ist ein Spiel über den zweiten Weltkrieg. An sich ist es ein unappetitliches Thema und es klingt nicht toll, darüber zu schreiben. Ich will mich durch diese Erkenntnis aber nicht selbst zensieren – es ist ein Spiel und mit diesen extremen Situationen zu spielen macht Spaß, was da historisch hinter steckt ist dafür egal. Les diesen Artikel bitte entsprechend.
Polens Verteidigung als Knobelaufgabe
Im letzten Artikel zum Spiel beschrieb ich schon, dass ich mit Polen am Knobeln war. Dabei ist die KI auf historisch gestellt, spielt also Ereignisse von damals nach, was für Polen gar nicht gut ist. Aber das macht es zur interessanten Herausforderung: Mit welcher Entscheidung kann es die historische denkbar ungünstige Lage überstehen? Geht das überhaupt? Ich versuchte es erst mit stumpfer Verteidigung, und (als Anfänger) scheiterte ich gegen die Naziarmeen. Die Fraktion mit den baltischen Staaten half auch nicht, die Staaten haben einfach kaum Armeen. Litauen vor dem Krieg einzunehmen half deutlich mehr, aber es war nicht genug.
Daher warf ich diesmal einen Blick auf die Tschechoslowakei. In meinen Durchgängen davor war die immer vor Kriegsbeginn von Nazideutschland annektiert worden. Die Grenze zu verteidigen band eine der polnischen Armeen, die aber an der Westfront gebraucht würde. Die Armee im Süden kann gewinnen, aber nicht ausreichend schnell, bis dahin ist Warschau gefallen. Also: Der Plan diesmal war, vor dem Überfall auf Polen statt dem neutral bleibenden Litauen dieses ansonsten später feindliche Land einzunehmen. Es würde die Westfront verkürzen und die dritte Armee freischaufeln, so rechnete ich mir eine echte Chance aus.
Plötzlich Krieg
Was ich nicht beachtet hatte: Die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei wurde erst von Frankreich, dann von den Briten garantiert. Zwischendurch mal von keinem der Alliierten, aber den Moment verpasste ich. Als der Kriegsgrund vorbereitet war hatte ich keine Wahl mehr: Ich musste trotzdem angreifen, sonst wäre die Verteidigung chancenlos. Die Hoffnung: Die Briten werden das ignorieren. Sie taten es nicht. Gegen die Alliierten alleine war Polen aber auch wieder chancenlos, der Durchgang war gelaufen, dachte ich.
Stattdessen griff auf einmal Nazideutschland auf Polens Seite in den Krieg ein! Und bot dem Land den Eintritt in die Achsenfraktion ein, als nicht-faschistisches Land eine echte Überraschung. Historischer Irrsinn, aber da die Alliierten sonst zu 100% Polen vernichtet hätten blieb wieder wenig Wahl. Und so startete in dieser Variante der Geschichte Polen 1938 den zweiten Weltkrieg.
Ergebnis: Eingebautes Doomsday-Szenario
Gegen Frankreich und Großbritannien wäre er gewinnbar gewesen, vor allem mit Italien als bald dazukommenden Verbündeten. Aber dann erklärte die UdSSR von sich aus Nazideutschland den Krieg. Das Diplomatiesystem hätte es durch den freiwilligen Eintritt in die Fraktion noch gestattet, Polen da herauszuhalten, aber dann hätten die Alliierten ohne den Nachbarstaat bald freie Hand gegen Polen gehabt. Die Ostfront war eine ganze Weile zu halten, aber nicht gewinnbar (Moskau fiel nie), dann kam die USA bei den Alliierten dazu und es war vorbei.
Naja, vorbei trifft es nur so halb. Es war dann ungefähr die echte Ausgangslage von 1945, ich durfte Polen mit veränderten Grenzen, als Vasallenstaat der Sovjetunion und anfänglich ohne Armee weiterspielen; aber neue Einheiten produzieren. Weniger historisch dann der weitere Verlauf: Die UdSSR eroberte erst die baltischen Staaten, dann Finnland, und plötzlich waren die Alliierten wieder als Feinde markiert. Dritter Weltkrieg! HoI4 hat das Doomsday-Szenario des zweiten Teils scheinbar direkt mit integriert.
Mittlerweile flogen die ersten Atombomben (das Kräfteverhältnis ist ziemlich ausgewogen), aber nicht auf Japan, sondern auf London und Warschau… Und ich frage mich, ob sich dieser Krieg entscheiden wird bevor ich das Interesse verliere oder ob das Spiel einen eingebauten Endpunkt hat.
Doch egal wie das jetzt endet, diese erste Geschichtsumschreibung war toll. Das ganze Spiel folgte aus der Entscheidung die Ausgangslage anders zu lösen, die KI (oder das eingebauten Regelsystem) griff das auf und plötzlich war der ganze Verlauf der Geschichte umgeschrieben, trotz einer sich ansonsten relativ historisch korrekt verhaltenden KI, ohne dass das Spiel kaputtging. Nach all der relativen Chancenlosigkeit zuvor war das eine angenehme Überraschung. Vorher war es ein Anrennen gegen unbewegliche Mauern, auf einmal war alles im Fluss.
Und ich finde, dieser Effekt und der hier beschriebene Spielverlauf zeigt den Reiz dieser Art von Globalstrategie ganz gut.