Der große Unterschied zwischen Deus Ex 1 und Human Revolution/Mankind Divided
Monday, 23. August 2021
Der große Unterschied zwischen dem originalen Deus Ex und seinen Prequels ist nicht die Grafik, zumindest meine ich die hier nicht. Es sind auch nicht die modernisierten Spielmechaniken. Sondern es ist die Konsistenz der Story, welche Geschichte erzählt und wie sorgsam die Welt mit den Hintergrundinformationen aufgebaut wird.
Leichte Spoilerwarnung.
Die Story in DX1
Das erste Deus Ex ist eine Cyberpunk- und Verschwörungstheoriegeschichte. Auf der einen Seite ist da der Transhumanismusaspekt: JC Denton ist nicht einfach ein Agent, er ist ein Agent mit Nanoaugmentierungen. Noch dazu einer der ersten, genetisch dafür befähigt. Das wird im Spiel für viele Spielmechaniken genutzt, aber es ist auch ein Aspekt der Story.
Allerdings ist es der kleinere Aspekt der Story. Das übergeordnete Thema sind die Verschwörungstheorien der Neunziger. Das steht nicht im Gegensatz zu Cyberpunk, sondern ist ganz im Gegenteil elementarer Bestandteil des Genres. Die große technikgestützte Verschwörung findet sich zum Beispiel bei so prominenten Genrevertretern wie Neal Stephensons Snow Crash.
DX1 nimmt diese Verschwörungstheorien und lässt sie alle wahr werden. Viren aus dem Labor, die von den Illuminati zur Machtergreifung genutzt werden, gestützt von den Notstandsgesetzen der FEMA und absoluter Internetüberwachung – und das sind nur die Elemente aus dem Intro. Wie sich Menschen in einer solchen Welt verhalten würden, wie der Spieler sich verhalten muss, das wird dann zum Hauptthema des Spiels.
Die Story in HR/MD
Human Revolution und Mankind Divided wurden viele Jahre nach DX1 veröffentlicht, natürlich ist dann spielerisch vieles anders. Dass sie trotzdem das Gefühl vermitteln, Deus-Ex-Spiele zu sein, war ihre große Leistung. Aber die aufgebaute Welt und wie die Story funktioniert ist tatsächlich sehr anders.
Wieder ist es Cyberpunk mit Verschwörungstheorien als Träger der Handlung, aber der Fokus der Geschichte liegt da nicht. Sondern er liegt auf Rassismus. Augmentierung und der Rassismus gegen Cyborgs ist das einzige Thema, das neben den Spielereignissen in den Nachrichten vorkommt, es ist selbst worüber die Leute auf der Straße reden. Die (mechanisch) augmentierten werden diskriminiert und gefürchtet, was in HR sogar Motivation des Antagonisten ist sie zu vernichten. Während es bei DX1 bei der Verschwörung um die Gesellschaft und Politik ging, oder kurz um Macht, wird sie bei den Nachfolgern vermischt mit dieser Rassismus-Einordnung.
Das macht alles aber leider viel uninteressanter. Rassismus mag ein bestimmendes Thema in den USA sein, aber er hat keine verschiedenen validen Seiten. Es ist einfach ein zu lösendes Problem. Während man bei DX1 noch mit den verschiedenen Gesellschaftssystemen sympathisieren oder zumindest ihre Auswirkungen durchdenken konnte, geht es vor allem bei MD mehr darum eine Parabel zu erzählen. Die dann soweit geht, dass in Mankind Divided im wesentlichen ein Nazi-Konzentrationscamp besucht wird. Die Botschaft wird mit Holzhammer transportiert, was wenig ansprechend ist selbst wenn man ihren Inhalt wertschätzt.
Die gescheiterte Konsistenz
Drei statt zwei Hauptthemen in eine Geschichte zu packen macht die Sache nicht einfacher. Die beiden moderneren Spielen machen dabei viel sehr gut, vor allem füllen sie ihr Universum dicht mit Hintergrundinformationen. Das blendet, HR und MD wirken beide beim Spielen überzeugend. Doch bei all der Arbeit haben es die Entwickler übersehen, dass ihr Kernszenario blödsinnig ist. Und so unrealistisch DX1 mit seinen Nanoaugmentierungen und Roswell-Aliens auch gewesen sein mag: Es erzählte immer eine konsistente und folgerichtige Geschichte, wovon später keine Rede mehr sein kann.
In Deus Ex 1 sind Augmentierungen selten. Sie sind kaum ein Thema in den Gesprächen mit der Bevölkerung oder in den Nachrichten, da geht es stattdessen um den Virus und die politische Krise. Mechanische Augmentierungen (und die neue Nanotechnologie) ist dem Militär vorbehalten. Das passt: Niemand würde sich in echt die Beine abhacken, um sich danach mechanische einzusetzen. Oder Hände, die dann zwar schneller und stärker greifen, aber die nicht fühlen. Günther Hermann und Anna Navarre, die Kollegen-Cyborgs der Unatco, werden im Spiel explizit als außergewöhnliche Menschen präsentiert, die große Opfer gebracht haben.
Nicht so in HR/MD, obwohl beide Spiele weit vor DX1 und in einer sehr nahen Zukunft spielen. Hier sind Augmentierungen allgegenwärtig. Überall in der Spielwelt laufen Leute mit mechanischen Körperteilen herum. Es sei sogar ein Problem, wird erzählt, dass Nicht-Augmentierte keine Jobchancen mehr haben. Und man sieht Straßengangs, die sich mechanische Körperteile zusammenstehlen und einsetzen. Und all das, obwohl – und hier wird es komplett affig – mechanische Augmentierung in diesem Universum die regelmäßige Einnahme eines sehr teuren Medikaments brauchen, um nicht vom Körper abgestoßen zu werden.
Superteures Medikament als Abhängigkeit geht natürlich überhaupt nicht zusammen mit den Millionen von Cyborgs und der postulierten Zwang zur Mechanisierung der einfachen Arbeiterschaft. Stattdessen gibt es sogar Cyborg-Prostituierte als Storyelement! Denn die Spiele bemerken und adressieren dieses Problem nicht. In einer solchen Welt wären cybernetische Modifikationen außergewöhnlich selten: Das Militär würde sie Soldaten aufzwingen, die kapitalistische Elite könnte sich vielleicht bestimmte ihnen nützliche erlauben, und versehrte Menschen würden – wenn finanzierbar – Defekte beheben. Aber das wars, es wäre ein Nischenthema, nicht der allesbestimmende politische Diskurs der in den Spielen gezeigt wird. Aber HR/MD fehlt dafür die Selbstreflexion.
Und deswegen funktioniert die "Alle Verschwörungstheorien sind wahr"-Welt mit der ihr eigenen Konsistenz in DX1, während die "Jeder zweite hackt sich freiwillig Körperteile ab, macht sich von einer Droge abhängig und wird danach leider diskriminiert"-Geschichte in HR/MD nicht im Ansatz glaubwürdig ist.
Zusammenfassung
Ja, auch die Variante in HR/MD kann Cyberpunk sein, aber dieses Gore-Cyberpunk ist eine sehr andere Ausprägung des Genres. Ausgestaltet ist die Geschichte in den beiden neueren Spielen leider schwach, die Hintergrundgeschichte macht aufgrund der inneren Widersprüche überhaupt keinen Sinn. Das ist erstmal okay, weil man es beim Spielen nicht direkt merkt. Und vielleicht ist es auch okay, weil die Story keine intellektuelle Cyberpunk-Geschichte sein will, sondern eine überzeugende Anti-Rassismus-Parabel.
Den Spielen hätte es aber doch gutgetan, wenn die Nachfolger sich mehr an die Struktur des Vorgängers gehalten hätten. Die ist zwar auch unrealistisch, aber in sich konsistent und eine nur leicht verzerrte Zukunftsvision unserer Welt. Über und mit Verschwörungstheorien als Hauptfokus ließen sich noch viele weitere gute Geschichten erzählen, Politik und Macht wird als Thema auch nie langweilig werden. Stattdessen Rassismus zu thematisieren hat sicher seinen Platz, seinen Wert und seine Berechtigung, aber so wie es hier gemacht wurde übersetzt sich das nicht in eine überzeugende Geschichte. Und genau da liegt für mich der Unterschied zwischen Original und Prequels: Wie stimmig, überzeugend und konsistent das aufgebaute Universum ist.
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