Avernum 3 ist etwas besonderes. Es ist ein 2018 veröffentlichtes Remake eines Rollenspiels von 1997, Exile III: Ruined World. Aber es ist kein modernes Remake, sondern höchstens auf dem Stand von ~2000. Was aber ein größerer Sprung ist als es jetzt klingt, weil Exile III damals nicht sehr modern war (wobei sich die Technik damals wohl extrem schnell entwickelte). Das alles ist auch noch die Arbeit eines Mini-Entwicklerstudios, das aus einem Ehepaar besteht. Doch das Ergebnis: Ein 60 Stunden langes, spaßiges, ungeheuer klassisch und altmodisches aber doch sehr spielbares Computer-RPG.
Das Szenario
Dieses Spiel zieht viel aus seiner Story, deswegen beginnen wir am besten hier. Gleichzeitig will ich nichts spoilern. Aber Avernum 3 als dritter Teil einer Serie hat schon am Anfang so viel Stoff, um eine Geschichte ersichtlich weiter zu erzählen, dass auch ich jetzt hier genug Material haben und das kein Problem sein sollte.
Avernum ist eine Untergrundwelt. Das Imperium beherrscht die Oberwelt und verbannte alle Verbrecher, aber auch Dissidenten hierher. Nach einer Weile gründeten die ihre eigene Nation, kolonisierten die vorher von Dämonen bewohnte Höhlensysteme, und kämpften dann gegen das Imperium. Dessen finsterer Herrscher wurde bereits ermordet, der Gegenschlag abgewehrt, jetzt steht nach Jahren der Vorbereitung der nächste Schritt an: Die Oberwelt zu erforschen und einen Platz an der Oberfläche zu ergattern.
Dafür werden kleine Expeditionen ausgesendet. Der Gruppe des Spielers ist die zweite davon. Sie besteht aus vier Mitgliedern, die zu Spielbeginn erstellt oder im Standard belassen werden können. Die Klasse (grob: Krieger, Fernkämpfer, Magier, Priester) bestimmt die Startfähigkeiten, die Rasse gibt Boni – neben Menschen gibt es noch zwei Fantasierassen als Alternative.
Dass ihr die zweite Expedition seid hat einen Grund: Die erste ist spurlos verschwunden. Klar, wenn alles problemlos klappen würde gäbe es kein Spiel... Was passiert ist, sollt ihr bei der allgemeinen Erkundung am besten auch noch herausfinden. Aber bevor es an die Oberwelt geht, warum nicht erstmal im Höhlensystem bleiben? Goblins und Banditen bedrohen die Sicherheit der Expeditionsstadt, etwas Erfahrungspunkte und bessere Ausrüstung können der Mission auch nicht schaden. Diese ersten Aufgaben sind praktisch Tutorials, aber in der Unterwelt gibt es noch viel mehr zu tun wenn man will, was einen Vorgeschmack auf die Dichte des Rest des Spiels gibt.
Das Spiel
Ihr steuert also eine Vierergruppe durch diese Welt und löst Aufgaben. Dabei gibt es unterschiedliche Ebenen. Einmal die Weltkarte, auf der die Gruppe in klein herumläuft. Dort gibt es Ereignisse, die in kleinen Textboxen erzählt werden, Orte wie Dungeon und Städte, und Gegner. Bei Orten wechselt die Ebene, die Figuren werden größer und es können wie auch beim Treffen mit Gegnern rundenbasierte Kämpfe ausgetragen werden. Dabei ziehen die Spielfiguren einzeln, können angreifen oder ihre Fähigkeiten wie Zaubersprüche benutzen.
Quests und Kämpfe bringen Erfahrung, Erfahrung bringt Levelaufstiege, bei denen dann erst Attributspunkte, dann Fähigkeiten und schließlich gelegentlich moderat mächtige Perks gewählt werden können. Das muss man unbedingt nutzen um seine Charaktere zu spezialisieren. Meine Gruppe hatte zwei Nahkämpfer, Schwert und Speer, wobei der erste noch ein bisschen defensiver gebaut war, einen Priester und eine Magierin. Das ist die vorgeschlagene Standardkonfiguration. Wobei das Charaktersystem sehr frei ist, Priester wie Magier beispielsweise könnten mittels eines Perks auch Rüstung tragen und müssten dann gar nicht alternativ zur Magie auf Fernkampfwaffen zurückgreifen.
Generell geht es vor allem darum Quests zu erledigen, die sauber im Tagebuch aufgelistet werden. So wie am Anfang für den Avernum-General die Goblins und Banditen getötet werden sollen. Dabei gibt es durchaus mal Entscheidungen: Den Banditenanführer könnte man auch laufenlassen, wobei er dafür das mitgeführte Gold fordert. Diese Aufgaben führen durch das Spiel, so wie der eigene Boss anfangs auf die Oberwelt verweist, wird später von Mission zu Mission verwiesen. Gespräche gibt es also auch, sogar sehr viele davon, in denen sehr viele Informationen (manchmal repetitiv) an den Spieler getragen werden.
Dabei werden sehr oft frühere Errungenschaften beachtet: Dann greift eine Schmugglerbande nicht an, wenn die Gruppe früher mal für ihre Organisation Drogen geschmuggelt hat. Oder abgewendete Katastrophen in der einen Stadt sorgen für Respekt beim Bügermeister der nächsten Stadt. Dadurch, und weil es so viele Städte und Regionen mit jeweils eigenen Questreihen gibt, wirkt das Spiel unheimlich dicht.
Die Kämpfe sind weniger komplex. Das Magiesystem kennt Schadenszauber mit verschiedenen Elementen als Basis, Beschwörungen, Buffs und Flüche, der Priester kann zudem heilen. Die Nahkämpfer haben Spezialfähigkeiten, aber die einzige mir sinnvoll erscheinende war das Auffüllen der Aktionspunkte, wodurch er dann mehrmals angreifen kann. Magie ist für den Flächenschaden zuständig, die Kämpfer mehr zum Blockieren der Gegner, wobei ein Perk dann auch noch dafür sorgt, dass Gegner bevorzugt den Kämpfer angreifen. Wobei die Nahkämpfer gegen einzelner Gegner auch sehr gut Schaden austeilen können, sind sie ordentlich bewaffnet.
Gute Ausrüstung zu finden fühlt sich in Avernum toll an, weil das durchaus eine Weile dauert und es spürbare Unterschiede gibt. Generell ist das Fortschrittsgefühl toll, weil nach eine kurzen Weile die Anfangsgegner keine Chance mehr haben, aber immer neue Herausforderungen bereitstehen. Und das Spezialisieren der Gruppenmitglieder zum Bewältigen der vielen Kämpfe und wechselnden Gegnertypen – die auch immer wieder neue Fähigkeiten haben – macht Spaß.
Grafik und Technik
Gebaut ist das alles mit minimalen Mitteln. Oder vielleicht trifft es eher: Mit minimalem Fluff. Musik? Gibt es nur im Hauptmenü und kurz beim Betreten einer Stadt. Ah, und im Intro und Outro. Audioeffekte? Beim Drücken von Buttons, Zuschlagen und Getroffenwerden, Zaubern und wenn Gegner sterben. Animationen sind minimal, die isometrische 2D-Grafik wirkt selbst im Vergleich eines Baldur's Gate steril. Und ich meine Baldur's Gate 1, von 1998. Ausrüstungsgegenstände haben keinen Einfluss auf das Aussehen der Spielfigur. Man muss sich wirklich angucken wie Exile III damals aussah um sich zu überzeugen, dass es sich bei Avernum 3 wirklich um ein technisch modernisiertes Remake handelt. Die Engine damals war von 1995 oder älter, die des Remakes ist wohl – wahrscheinlich modernisiert, aber im Kern – von 2001. Entsprechend minimal die Hardwareanforderungen: 1,2 GHz, 512 MB Ram, 256 MB VRAM.
Andererseits haben ein paar der Zaubersprüche Effekte, die schon eher aus diesem Jahrtausend stammen. Die Welt ist riesig, die Dungeonkarten nicht zu klein und es gibt ein paar überraschend dynamische Langzeiteffekte. Wie Städte, die zerstört werden können. Oder Kleinigkeiten wie Mauern, die eingerissen werden können. Das reduzierte Interface und ein paar der Tastenkürzel wirken auch weniger altbacken.
Aber getragen wird das Spiel klar von der Größe der Spielwelt, der Anzahl der Quests, dem Rollenspiel, der Story und auch der Kämpfe, nicht von der Technik.
Bedienung
Die Bedienung ist eine wilde Mischung. Teilweise sind Spielelemente und damit ihre Bedienung hoffnungslos veraltet: So hat jeder Charakter sein eigenes Inventar, das aber hat kein Gewichtslimit, was einfach nur zu dadurch noch unnötiger wirkendem Inventarmanagement zwingt. Und herumliegende Gegenstände sammelt man mit einem Druck auf G, während F den Kampfmodus beendet, was bei Kämpfen auf der Weltkarte zurück zur Weltkarte führt und die Gegenstände verschwinden lässt. So praktisch wie fehleranfällig!
Manche der altmodischen Eigenheiten entpuppen sich aber als ziemlich nett. So können Angriffe wie Zaubersprüche immer auch mit der Tastatur statt der Maus ausgelöst werden. Ist die Magierin am Zug drücke ich M, um das Magiemenü zu öffnen, A um den Feuerball auszuwählen, dann nochmal A oder B oder C oder … um einem der entsprechend markierten Gegner mit dem Feuerball Schaden zuzufügen. Es ginge auch mit der Maus, die Menüs sind nichtmal schlecht, aber mit der Tastatur geht es eben schneller.
Und dann gibt es auch immer wieder Elemente, die ich als modern wahrnehme. Wie einen eigenen, unbegrenzt großen Ablageort im Inventar für zu verkaufende Gegenstände. Die Weltkarte hat Questmarker, echte Questmarker! Und in jedem Textfeld gibt es einen Knopf, um den Gesprächsabschnitt permanent ins Tagebuch zu übertragen und so nachlesbar zu machen, was man dank der guten Spielerführung aber relativ selten braucht. In den Ladebildschirmen werden großzügige Tipps zum Spiel präsentiert, bei den ersten Kämpfen erklärt ein Overlay die Bedienung. Es gibt eine Automap. F1 öffnet sogar ein ziemlich umfangreiches Kompendium, das weitere Spielemente erklärt.
Mit einem wirklich alten CRPG hätte ich zu kämpfen, aber mit dieser Mischung kam ich dank der gegebenen Hilfen gut zurecht. Es ist deutlich zu spüren, wie wichtig es dem Entwickler war neuen Spielern eine faire Chance zu geben.
Fazit
Wer wie ich die wirklich alten Computerrollenspiele verpasst hat, der kann mit dem ihnen angelehnten Avernum 3 trotzdem viel Spaß haben. Es fühlt sich an, als könnte man alles was man beim CRPG-Addict aufgeschnappt hat einmal selbst anwenden. Wobei man da aufpassen muss: Mir war schnell die Geschichte völlig klar, als ob ich bei ihm ein Review des Originals gelesen hätte. Das findet sich aber in dem Blog nicht. Ob Exile III und damit Avernum 3 da fröhlich Storyelement von Ultima oder anderen Spieleserien übernommen hat, wie die magieablehnende Sekte, die ich nur aus dem Blog kenne? Oder hatte ich irgendwo anders mal eine Zusammenfassung gelesen und mir damit viel der Handlung gespoilert? Doch das dürfte eine sehr individuelle Vorbedingungen gewesen sein.
So erkenne ich auch ein paar Designentscheidungen von Diskussionen über alte CRPGs wieder. Wie Trainer, die gegen Gold Skills steigern und Zaubersprüche lehren. In Mauern versteckte Schalter. Events, die in Text statt in Grafik beschrieben werden. Oder die vielen in der Welt verteilten Items, die der Spieler zwar aufsammeln kann, die aber keine Funktion haben. Kessel zum Beispiel, die haben nichtmal einen Verkaufswert. Andere haben wenigstens geringen Wert, wie Kristalle oder Lederhosen. Aber ganz selten werden einige wenige sogar für Quests gebraucht, so will einmal ein Bürgermeister drei gewöhnliche Marmorstatuen. Was mich dazu brachte, von allen Deko-Gegenständen wenigstens ein paar zu sammeln, die dann natürlich nie gebraucht wurden. Woher soll der Spieler das wissen? Manchmal schlägt das altmodische Spieldesign negativ durch.
Ansonsten ist dann doch soweit modernisiert, dass man mit ihm trotz der fehlenden Erfahrung mit dem Original zurechtkommt. Modernisiert ist dabei zwar keinesfalls modern, wie klargeworden sein sollte. Aber könnte ansonsten ein Indiespiel eine 60-stündige Rollenspielgeschichte mit einer so riesigen Welt aufziehen? Ich bezweifel es. Insgesamt fand ich Gefallen an diesem klassischen CRPG, schätzte die moderneren Elemente und hatte viel Spaß meine Gruppe stärker werden zu sehen sowie nach und nach die Quests in dieser neuen Welt zu lösen.
Ich habe Avernum 3 dabei keinesfalls zu 100% durchgespielt, aber doch 65 Stunden gebraucht um die Hauptstory und viele Nebenquests zu erleben. Es läuft perfekt mit Proton unter Linux.
Der Entwickler hat noch ein paar Tage einen Kickstarter für den zweiten Teil einer neuen Spieleserie am Laufen, Queen's Wish 2: The Tormentor. Hört sich sehr anders, aber auch durchaus interessant an.
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