Phantom Doctrine, ein XCOM ohne Aliens
Monday, 14. March 2022
Phantom Doctrine übernimmt viele Elemente aus der XCOM-Reihe, hat aber ein ganz anderes Setting und viele eigene Ideen. Die meisten davon sind spaßig, aber was an dem Spiel nicht funktioniert ist fast interessanter.
Verschwörung im Kalten Krieg
Erstmal zum Szenario: Es ist kalter Krieg. Wahlweise auf Seiten der UdSSR oder der USA steht man am Kopf einer Mini-Geheimorganisation, die in den Sog einer größeren Verschwörung gerät.
Das spielt sich stark wie das XCOM-Vorbild. Es gibt eine ausbaubare Basis. In ihr können auch neue Geheimagenten rekrutiert, ausgerüstet und verbessert werden. Diese Agenten übernehmen entweder Aufgaben in der Basis (wie, wichtig, das Herstellen von Falschgeld) oder reisen auf der Weltkarte umher, um dort auf Aktionen der Gegner zu reagieren. Die wollen dann zum Beispiel einen Informanten ermorden, sind genug eigene Agenten in der Nähe, können sie dies per Knopfdruck und investierter Zeit verhindern. Reicht die Zeit nicht oder soll eine feindliche Zelle ausgehoben werden bleibt nur der Angriff. Dafür wechselt das Spiel von der Weltkarte auf das jeweilige Missionsgebiet und dabei in den Rundenkampfmodus.
Auch dieser Rundenkampfmodus ist erstmal nicht groß anders als bei XCOM. Agenten haben Bewegungs- und Angriffsaktionen, wobei manche Aktionen den Zug des Agenten direkt beenden. Die Umgebung kann als Deckung dienen, Deckung ist je nach Höhe entweder halb oder vollständig und schützt dann weniger oder mehr. Anfangs wissen die Feinde nicht dass man dort ist, erst beim direkten Feindkontakt beginnt ein Gefecht. Natürlich gibt es unterschiedliche Waffen und haben die Agenten unterschiedliche Fähigkeiten, gleiches gilt für die Gegnertypen. Dazu gehört das Überwachen eines Bereiches, in dem dann Bewegungen des Gegners in seinem Zug einen Schuss auslösen. Ein typisches Missionsziel wäre das Erledigen aller Gegner oder, je nach Missionstyp, das Platzieren oder Entschärfen von Bomben.
Viele Unterschiede, mehr als im Detail
Was gerade beim Rundenkampfmodus erstmal sehr ähnlich wie das offensichtliche Vorbild klingt ist dann durch geschickte Unterschiede doch ganz anders.
Fast alle Missionen lassen sich ohne ein offenes Gefecht lösen. Die Gegner haben Sichtkegel, bleibt man ihnen fern wird man nicht erkannt. Ein offener Schuss würde das Gefecht immer auslösen, aber ein unbeobachteter und schallgedämpfter nicht, zudem haben alle Agenten die Möglichkeit Feinde lautlos umzuhauen. Das Ergebnis: Mehr als ein Rundenkampfspiel ist Phantom Doctrine ein Rundenschleichspiel, in dem man versucht die Missionen ungesehen zu erledigen. Denn Phantom Doctrine bestraft den offenen Kampf: Feindliche Verstärkung rückt nach der Entdeckung alle 6 Runden an, alternativ erfolgt gar ein Luftangriff. Kämpfe erhöhen den individuellen Gefährdungslevel der Agenten, ist er auf Maximum senkt er sich nicht mehr, ist zudem seine Identität kompromittiert und Feinde werden ihm auflauern. Nichts, was ein neuer Pass nicht reparieren kann, aber ein starker Anreiz das Schleichen zumindest zu priorisieren. So ist es zudem auch einfacher, ohne Zeitdruck beim Erledigen der Mission herumliegende Geheimdokumente abzufotografieren und Ausrüstung aufzusammeln.
Die Kämpfe selbst wirken auch anders weil Schüsse immer treffen. Was sich unterscheidet ist nur wieviel Schaden angerichtet wird, was von der Deckung bzw vom Wahrnehmungszähler abhängt. Beschuss reduziert erstmal nur Wahrnehmung mit etwas Schaden als Nebeneffekt, erst ohne Wahrnehmung wird Schaden voll vom Leben abgezogen, wobei dann noch die Deckung sich auswirken muss. Das ist ungewohnt, aber bei eigenen Angriffen der Ungewissheit des Zufallsgenerators nicht ausgeliefert zu sein ist auch angenehm. Alle Gegner haben ebenfalls Wahrnehmung, aber nur bei feindliche Agenten ist sie schon vor Gefechtsbeginn auf Maximum – was schlicht bedeutet, dass feindliche Agenten beim Schleichen nicht heimlich erschossen, sondern nur umgehauen werden können (was auf höheren Schwierigkeitsgraden nur geht, wenn der eigene Agent mehr Leben hat, immer aber eigene Wahrnehmung kostet).
Auch auf der Weltkarte und beim Basisbau ist das Spiel keine direkte Kopie. Die Basis kennt zwar Upgrades, aber die werden einfach aus einer Liste ausgewählt, brauchen keine Energie und keinen freien Raum, nur Geld. Die Basis lebt aber auch sehr viel weniger, denn es gibt keine mit einem sprechenden Abteilungsleiter, die Menüs sind also weniger schön verpackt. Immerhin, das Aussehen der Agenten ist anpassbar und ihre Werte werden durch Doping verbessert, was teils sich heftig auswirkt durch mehr Bewegungs- und Aktionspunkte. Und was auf der Weltkarte passiert ist natürlich deutlich anders, schon weil keine Kontinente unter die eigene Kontrolle gebracht werden müssen, sondern verschiedene Geheimdiensttätigkeiten der Feinde vereitelt. Im Grunde verteilt man eigene Agenten in den Städten der Welt, die dann bei Bedarf in andere Städte reisen.
Erweiterte Mechaniken
Dazu kommen einige eigenständige Spielmechaniken, die oft vom Szenario motiviert sind.
Für die zwei in den Kämpfen gilt das weniger. Stehen mehrere Agenten vor einem Raum, können sie ihn stürmen und erledigen dann darin die Gegner. Mit schallgedämpften Waffen wird so nichtmal Alarm ausgelöst, auch Überwachungsreaktionen werden verhindert. Das wird selten gebraucht, ist aber ganz angenehm. Gleiches gilt für die strategischen Aktionen wie dem außerhalb des Missionsgebietes platzierbaren Scharfschützen, der gegen Strategiepunkte einzelne Gegner ausschalten kann. Voraussetzung dabei, dass vorher mit einer Weltkartenaktion das Missionsgebiet ausgekundschaftet wurde, was etwas Zeit kostet.
Außerhalb der Rundenkämpfe sind die Szenariobezüge stärker. So hat auch die Basis einen Bedrohungszähler. Ist er voll, wird die Basis gestürmt (was leider nur ein Textboxevent ist), wodurch Agenten verlorengehen können und die Basis verlegt werden muss. Besser vorher selbst die Basis verlegen, was Geld kostet, aber den Bedrohungszähler wieder reduziert. Erfolgreiche feindliche Aktionen auf der Weltkarte können ihn erhöhen, dann führt der Gegner eine Erkundungsmission in einem Ort auf der Weltkarte durch. Werden vorher dort Agenten hingeschickt können sie das verhindern. Aber auch manche eigene Aktionen wie das Rekrutieren neuer Agenten erhöht die Gefahr.
Die Loyalität eigener Agenten ist dabei nichtmal gewährleistet. Sie könnten Schläferagenten sein, die einem beim nächsten Gefecht verraten und direkt die Seite wechseln werden. Eine Gehirnwäsche in der späteren MK-Ultra-Basiserweiterung behebt dieses Problem, kostet aber Geld. Auch feindlichen Agenten (die man in den Missionen ja umhauen und dann mit evakuieren kann) können so Gehirngewaschen werden, trifft man sie dann später wieder reicht eine Aktion und sie dienen dauerhaft der eigenen Sache. Oder alternativ kann man sie auch als Saboteur losschicken, wenn sie eine feindliche Basis erreichen wird sie zerstört, überleben tut der Agent das dann aber nicht.
Immer aber sollte man feindliche Agenten verhören. Das kann mehrere Dinge freischalten: Bislang unbekannte Perks eigener Agenten, die Identität feindlicher Agenten, den Standort von dann zerstörbaren Feindeszellen, mögliche neue Rekruten und vor allem Geheimdokumente. Die landen mit den anderen auf den Investigativtafeln. Diese zu lösen ist immer mal wieder auch die Hauptmission. Die Dokumente haben entweder sofort sichtbare Stichwörter, oder sie müssen in Texten erst markiert werden. Dann können die mit gleichem Stichwort verbunden werden. Es geht dabei immer darum, einen Ort oder eine Person einem gegebenen Startcodewort zuzuordnen, was dann beispielsweise den Standort einer feindlichen Hauptbasis verrät.
Ähnlich ist der Effekt von Informanten. Immer wieder signalisieren Orte auf der Weltkarte verdächtige Aktionen. Schickt man einen Agenten dorthin ist an dem Ort meist einfach ein Informant, der nach einer Weile auch Informationen wie Geheimdokumente preisgeben wird. Manchmal muss er, wie oben erwähnt, vor feindlichen Aktionen geschützt werden. Ultimativ dient das primär dem Füllen der Investigativtafeln.
Viel verschenktes Potential
Die Investigativtafeln sind ein gutes Beispiel für die Schwäche von Phantom Doctrine. Sie sind toll gemacht und machen Spaß – am Anfang. Da sich die Stichwörter immer wiederholen und es immer neue Geheimdokumentsammlungen gibt, wird sie zu lösen mit der Zeit nervig. Zum Glück kann man das mit ein paar Basisupgrades automatisieren, das bindet dann aber bis zu vier Agenten und ist nicht gerade schnell. Mir schien es sogar langsamer zu sein als durch fleißiges Verhören von Feindagenten neue Informationen ankommen, ich musste also immer wieder doch manuell die Verbindungen herstellen. Mir war das nie zu frustrierend, aber gelungenes Spieldesign ist das auch nicht.
An vielen Stellen merkt man, dass Phantom Doctrine mit begrenzten Mitteln umgesetzt wurde. So wiederholen sich die kleinen Zwischensequenzen dauernd, beispielsweise wenn das Fluchtauto am Missionsgebiet ankommt. Die Zwischensequenz an sich ist nett und lockert das Geschehen auf, aber weil es immer die gleiche ist wird sie später eher nervig. Bei Agenten kann aus einer Handvoll Sprecher ausgewählt werden, gleichzeitig ihrem Charakter, was ändert wie sie Befehle kommentieren. Eine Handvoll (immer englischer) Sprecher ist nicht ansatzweise genug für alle, viele klingen also gleich. Agenten haben Portraits, ihr Aussehen ähnelt dem aber selten sehr, gerade bei den Frauen fehlte da wohl Feintuning. Bei denen ist auch noch die Kleidung feindlicher Agenten immer gleich. Man kann da jeweils manuell nachbessern, aber das ist etwas mühsam, und selbst bei diesen Anpassungsoption fehlt Auswahl.
Ähnliches gilt leider auch für die Rundenkämpfe selbst. Die Einsatzorte wiederholen sich häufig - damit meine ich nichtmal den Charakter der Städte, die unterscheiden sich leider sogar gar nicht. Nein, außerhalb der Hauptmissionen laufen beispielsweise die Angriffe auf feindliche Zellen gefühlt auf einer Handvoll von Karten ab. Kleinere Variationen gibt es immer, trotzdem ist das repetitiv. Da hilft es nicht, dass die Ziele meist die gleichen sind – nur manche Missionen müssen wirklich bestritten werden. Andere, wie das Schützen von Informanten, kann auch eine Aktion auf der Weltkarte ohne Wechsel in den Rundenkampfmodus zeiteffizienter bewirken, wodurch ich diesen Missionstyp nur selten erlebte.
Selbst den Schleichfokus sehe ich als Problem. Besonders er macht aus Phantom Doctrine ein eigenständiges Spiel und ist ein großer Unterschied zu XCOM, was an sich toll ist. Aber es gibt zu wenige Missionen, die das Kämpfen erfordern – und warum rüstet man seine Agenten immer weiter mit besseren Waffen aus, wenn man die gewonnene Kampfststärke nur so selten nutzen kann? Das gilt mehr noch beim einfachen Schwierigkeitsgrad, den das Spiel neuen Spielern empfiehlt, in dem die Beschränkungen fürs heimliche Umhauen wegfallen. So zählt bei den Waffen fast nur das Upgrade der schallgedämpften Pistole, damit ein Schuss den Gegner direkt ausschaltet, wodurch der Alarm ausbleibt. Klar, man könnte entscheiden die Missionen mit Gewalt statt Heimlichkeit zu lösen, aber dann brauchen sie länger, droht die feindliche Verstärkung und steigt das Gefährdungslevel der Agenten.
Dann lieber heimlich, wobei heimliches Bewegen durch die Missionsgebiete am besten von verkleideten Agenten übernommen wird. Die können (außer durch beobachtete eigene Aktionen) nur von Agenten enttarnt werden, mit dem Schauspielerperk passiert dann sogar das nur selten. Ich habe meistens doch alle meiner Agenten versucht zu nutzen, um die Mission schnellstmöglich zu erledigen. Aber das war wahrscheinlich kontraproduktiv, weil ich dann immer mal wieder Neuladen musste wenn einer meiner Agenten entdeckt wurde. Sicherer wäre es, die anderen Agenten an ihrer Startstelle stehen zu lassen, was ja wohl nicht im Sinne des Erfinders sein kann. Generell ist das eines der Hauptprobleme: Es wäre schön, wenn es einfach okay wäre nach einer Weile enttarnt zu werden um dann die Gefechte außerhalb der wenigen Hauptmissionen erleben zu können. Weniger Schnellladen, mehr Spielen im Flow. Aber das muss das Spieldesign unterstützen, damit es nicht mit zu sehr mit dem Perfektionismus kollidiert, Phantom Doctrine patzt hier leider.
Dem Entwickler sind einige der Probleme bewusst. Es gibt eine ziemlich interessante GDC-Präsentation zu gelungenen und gescheiterten Designentscheidungen des Spiels auf Youtube:
Auf Slideshare gibt es ein Folienset eines Post-Mortem mit noch etwas mehr Lektionen. Die beschriebenen Edgecases bezüglich der Schüsse durch Wände haben mich weniger gestört, das weite Sichtfeld um Hindernisse dagegen war mir positiv aufgefallen, mit dem Kampfsystem ohne Zufallsgenerator kam ich ganz gut zurecht. Aber nach Spielen des Spiels kann man viel der Kritik und Reflexion nachvollziehen.
Probleme unter Linux
Das Spiel funktioniert nicht einwandfrei mit Proton, es gibt keine Linuxversion. Um es auch nur starten zu können brauchte es bei mir mit Proton-7.2-GE-2 Startparameter, nämlich:
PROTON_NO_ESYNC=1 taskset -c 0-15 %command%
Danach lief das Spiel selbst flüssig und stabil, aber die Haupt-Zwischensequenzen (also nicht die in Spielgrafik, sondern die gezeichneten) wurden nicht abgespielt. Die sind leider nicht ganz unwichtig, erzählen sie doch den Storyhergang weiter. Das Spiel erklärt fast alles nochmal in Texten im Ladebildschirm, aber ideal ist das nicht.
Mittlerweile gibt es einen Report in der ProtonDB, der die Installation von mf-install beschreibt. Ich habe das getestet. Es mussten ein paar fehlende Verzeichnisse angelegt werden, damit die Installation durchlief. Dann nochmal ein Ordner und eine Datei erstellt werden, damit Steam das Spiel wieder starten konnte. Tatsächlich liefen danach die Videosequenzen. Die momentane Gold-Bewertung ist angesichts dieser nötigen Nachbesserung aber ein Fehler.
Fazit: Mehr als spielbar, nur nicht perfekt
Selbst mit den Linuxproblemen ist Phantom Doctrine am Ende kein schlechtes Spiel. Es ist mehr eins mit verschenktem Potential, ein gutes Spiel mit ein paar Nervfaktoren, das ein hervorragendes hätte sein können. So bleibt beeindruckend, wieviele der Spielmechaniken gut ineinandergreifen. Und trotz aller Nervfaktoren – das Spiel unterhält durchaus bis zum Ende, weil das Fortschrittsgefühl nie ganz weggeht und mich zumindest die Auflösung der Hauptstory interessiert hat. Das ist ein ziemlicher Gegensatz zum kürzlich von mir gespielten King's Bounty: Warriors of the North, das noch vor der Hälfte der Spielzeit in sich zusammenbrach. Dabei ist Phantom Doctrine nichtmal kurz, 44 Stunden verbrachte ich laut Steam im Spiel, was circa 40 Stunden echter Spielzeit entsprechen müsste.
Vor allem aber ist Phantom Doctrine eine Anlehnung an XCOM, die eine alternative Weiterentwicklung dieser Spielereihe ausprobiert. Während XCOM 2 mit Zeitlimits, generell mit Spannung und einer besserer Inszenierung den Vorgänger verbesserte, zeigt Phantom Doctrine einen möglichen Pfad mit einem Fokus auf Agententätigkeiten und Heimlichkeit, was durchaus auch eine Option für die Vorbildreihe wäre. Das ist interessant zu sehen und meist ja auch spaßig zu spielen, selbst wenn wie oben ausführlich beschrieben nicht alle Experimente wirklich funktionieren.
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