Dass State of Mind auf der Liste mir empfohlener Spiele auftauchte war keine Überraschung. Es ist ein Adventure im Cyberpunk-Genre – hat also thematisch riesige Überschneidungen mit dem von mir sehr geschätzten Deus Ex. Aber es ist eben ein Adventure, was nicht mein Lieblingsgenre ist. Das Spiel leidet daher bei mir besonders unter den Schwächen des Genres, aber es ist mehr als das: Spielerisch ist State of Mind selbst für ein Adventure arg dünn.
Nicht viel zur Handlung
Weil das Spiel also so sehr von seiner Story lebt – ähnlich wie Dreamfall Chapters – möchte ich hier am liebsten gar nichts über sie schreiben. Doch selbst die Steam-Beschreibungsseite verrät einiges vom Handlungsrahmen. Als Minimalversion: Richard Nolan ist ein Journalist und Regierungskritiker, der im Krankenhaus aufwacht. Seine Frau und sein Sohn sind nicht da. Ausgangspunkt für eine Geschichte um die Zukunft der Menschheit, die sich an den Transhumanismus-Themen des Scifi-Genres entlanghangeln wird.
Mehr zum Gameplay
Spielerisch ist das ganze ein 3D-Spiel mit Third-Person-Kamera, die sehr nah am Charakter angedockt ist. Die Spielfigur ist direkt zu steuern, der Spieler hat an einigen vom Spiel hervorgehobenen Objekten die Möglichkeit einen Beschreibungstext anzeigen zu lassen oder mit ihnen zu interagieren. Gespräche mit anderen Personen gibt es auch, in denen verschiedene Antwortoptionen ausgewählt werden können.
Eingeteilt ist das Spiel in verschiedene kleine Karten, z.B. Richards Wohnung, deren Ausgang direkt zu einem Berliner Platz führt. Manche der Gebiete besucht man öfter, andere nur einmal. In ihnen gibt es immer verschiedene Interaktionsmöglichkeiten. Interessant dabei, wie das Spiel vorwärts getragen wird – der Spieler kann manchmal recht frei seine weitere Handlung wählen, z.B. jemanden anrufen oder nicht, aber an anderen Stellen ist der Weg fest vorgegeben. Dann kommentiert der Spielercharakter entsprechend. Die Kombination funktioniert ganz gut und wenn mal die Führung fehlt ist in der Wohnung eine Pinnwand mit Hinweisen.
Aber bisher beschrieb ich nicht viel mehr Spielinhalt als mit Objekten und NPCs zu interagieren. Viel mehr ist leider tatsächlich nicht da. Manche der Interaktionen sind in ein Telefonmenü verpackt. Es gibt ein paar Rätsel, aber mehr gegen Ende des Spiels. An zwei Stellen sind Objekte abzuschießen, es gibt ein Minispiel bei dem Bildfragmente zusammengefügt werden müssen, ein Indizienauswahlspiel und manchmal muss adventuretypisch erst ein Objekt eingesammelt werden, um es an anderer Stelle benutzen zu können. Aber das sind Auflockerungen. Der Fokus liegt nicht auf den Spielelementen, sondern auf dem Fortschreiten der Story mit ihren Zwischensequenzen.
Zu Grafik, Sprechern und Eindruck
Daher liegt der Hauptfokus auf dem Erleben der Spielwelt und der Handlung. Beides führt zu Grafik und Sprechern. State of Mind hat einen speziellen Grafikstil, der sich Low-Poly nennt. Besonders die Charaktere und ihre Gesichter sind aus wenigen Platten zusammengesetzt, was sie verfremdet. Die Umgebungen wiederum sind nur leicht verfremdet, in manchen Sequenzen wirken sie realistisch. Ich habe mir gerade nach solchen Sequenzen gewünscht, dass die ganze Grafik auf einen gewöhnlicheren Stil wechselt, denn mir fiel es schwer die Polygoncharaktere als etwas positives wahrzunehmen. Was gewinnt das Spiel dadurch?
Immerhin sind die Charaktere der von mir gespielten englischen Version fantastisch gesprochen. Ohne Ausnahme passen die Sprecher und ihre Performance. Bei Richard Nolan ist das sogar die Stimme von Doug Cockle, dem Sprecher des Witchers Geralt. Aber auch Alexa Kahn als Lydia ist beeindruckend gut. Was das Spiel dadurch gewinnt ist klar, der starke Fokus auf die Story und Charaktere konnte bei der reduzierten Grafik nur mit tollen Sprechern gelingen.
Doch obwohl das gelungen ist bleibt die Story ein Problem. State of Mind arbeitet sich an vielen Themen ab, die Fans des Genres allesamt kennen. Klar, wer einen Zugang zu diesen Themen hat, aber nie Deus Ex gespielt, Otherland und Snow Crash nicht gelesen und auch keine Filme wie Ghost in the Shell geschaut hat, den wird State of Mind umhauen. Doch wer etwas vertrauter mit dieser Art von Science-Fiction ist, für den ist in der großen Handlung wenig neues.
Es gibt dann immer noch mehrere faszinierende kleine Momente. Gerade bei der Handlung um Lydia herum gibt es eine beeindruckende Szene, die sie als VR-Camgirl zeigt. Auch bei der Beschreibung einer Affäre sind ein paar nahegehende Szenen dabei. Das Hineinversetzen in die Schicksale der Charaktere ist bei aller Vertrautheit mit den Handlungsklischees zum Trotz generell mitreißend. Und die Handlung gibt dem Spiel – Grafikstil zum Trotz? – ein paar Gelegenheiten für eindrucksvolle Szenen surrealer Zukunftsarchitektur, dystopischen Cyberpunkszenen und real wirkenden urbanen Umgebungen.
Fazit
State of Mind würde ich empfehlen, aber nur vorsichtig und mit vielen Einschränkungen. Man muss das Cyerpunk-Genre mögen und an ihm nicht übersatt sein. Man muss sich auf ein Spiel der Story wegen einlassen können, weil dieses Spiel schlicht nicht viele Spielelemente hat. Adventures und den Grafikstil nicht zu hassen hilft sicher auch.
Schließlich darf man selbst im Vergleich nur mit anderen Adventures nicht zu streng sein, sonst treten die Schwächen zu stark hervor – beispielsweise hat auch State of Mind Entscheidungen, aber nicht annähernd mit dem Spiel der Konsequenzen eines Life is Strange und ermöglicht es nur minimales Rollenspiel, weil z.B. der Charakter von Richard als Unsympath trotz verschiedener Antwortmöglichkeiten in den Gesprächen kaum beeinflusst werden kann. Im Vergleich zu Fahrenheit: Indigo Prophecy als zweites und letztes Beispiel fehlt schlicht die Ambition, die der alte Genrevertreter mit seinem Filmansatz hatte, sowie ein damals durch die Quicktime-Events gestiftetes Kernspielelement.
Trotz all dieser Einschränkungen unterhält das Spiel ordentlich für etwa 8 bis 9 Stunden, was angemessen kurz ist.