Steve Jackson's Sorcery! Teil 1 und 2
Monday, 24. October 2022
Sorcery! 1 und 2 sind Umsetzungen einer Spielebuchreihe, die auf Steam als ein Spiel zusammengefügt wurden. Es überrascht dabei, weil es wesentlich komplexer ist als man von einer Spielebuchumsetzung erwarten würde. Zu einem großen Teil liegt das wohl an der (von mir nicht gespielten) ebenfalls nicht simplen Vorlage.
Prinzip Spielebuch?
Was sich einem Spielebuch gleicht ist die Erzählform: Was passiert wird per Text erzählt, hier ergänzt um viele Visualisierungen wie der Inventaransicht und der Karte. Auf dieser wird dafür die Spielfigur von einem Punkt zum nächsten bewegt – was man als Blättern zu einer Seite übersetzen könnte. An jedem Punkt erscheint eine Textbox, manchmal ergänzt um eine kleine Zeichnung, beschreibt was passiert und verlangt Entscheidungen. Welche der Antwortmöglichkeiten soll gewählt, welche Aktion durchgeführt werden? Entscheidungen haben Konsequenzen, dann geht es zum nächsten Punkt auf der Karte. Oftmals gibt es dafür mehr als eine Möglichkeit. Gefällt eine Konsequenz nicht kann frei zurückgeblättert werden.
Aber damit erschöpfen sich die Übereinstimmungen mit dem einfachen Spielebuch meiner Kindheit auch schon. So gibt es eben ein Inventar, dessen Inhalt in manchen Ereignissen neue Möglichkeiten eröffnet, ansonsten als Material für Zaubersprüche dient. Die werden aus Buchstaben zusammengeklickt, was Sternenkonstellationen symbolisieren soll, im Grunde aber nur die Zauberspruchauswahl während der Ereignisse auf ein vernünftiges Maß einschränkt. Kämpfe werden Runde pro Runde durch die Auswahl der sich langsam regenerierenden Angriffsstärke bzw einer Verteidigungshaltung bestritten, im zweiten Teil kommt ein Minispiel dazu. Vor allem aber wird Fortschritt von Spiel zu Spiel weitergetragen.
Wie es sich spielt
Doch wie genau erreicht man in solch einem Spiel Fortschritt? Die Spielmechanik lässt sich hier schwieriger als sonst beschreiben, da was im Spiel passiert aufgrund der Textform so frei ist. Doch aufs spielmechanische reduziert macht der Spieler grob etwas hiervon:
- Er zieht seine Spielfigur zu einem Punkt auf der Karte.
- Es erscheint eine Textbox, die beschreibt was passiert.
- In ihr können nicht immer, aber oft, Entscheidungen getroffen werden. Der Spiele wählt also aus einer Option eine aus, was oft weitere Entscheidungen ermöglicht.
- Manchmal führt man nach dem gleichen Prinzip Gespräche.
- Manche Begegnungen enden im Kampf, was sein eigene Minispiel ist, in dem man entweder mit einer gewählten Stärke angreift oder sich verteidigt, dabei mehr Schaden macht wenn der Gegner ebenfalls, aber schwächer angreift.
- Immer vor Kämpfen, aber auch in vielen anderen Situationen gibt es eine Option einen Zauberspruch zusammenzuklicken, dessen Effekt dann abgehandelt wird und sehr vorteilhaft sein kann.
- Zum Ende des Ereignisses wurden Statuswerte und Inventar verändert, die Textbox schließt sich, neue Punkte auf der Karte erscheinen.
Nach dieser Grundlage funktionieren beide Spiele.
Der Start mit Sorcery! 1
Im ersten dieser Spiele bricht der Analander, unser Protagonist, zu einem Abenteuer auf. Ein vorher Entsandter ist nicht zurückgekehrt vom Versuch, eine gestohlene magische Krone zurückzuergattern. Die sei so mächtig, dass sie die gesamte Realität bedrohe. Ob man selbst es besser machen wird?
Doch erstmal führt das Spiel langsam in die Spielmechaniken ein. Direkt gibt es einen ersten Trainingskampf, optional, und einige Erklärungen zur sonstigen Spielmechanik wie dem Magiesystem. Danach geht es los, durch das Tor einer steinernen Mauer, dann durch ein Niemandsland, mit der Stadt Kharé als Ziel.
Es sind die ersten Ereignisse außerhalb der Stadtmauern, die dann den Effekt der Spielmechaniken offenbaren: Es bleibt viel im unklaren, was viel mehr einem im Kopf gespielten Rollenspiel als einem Computer-Rollenspiel gleicht. Was wird passieren, wie soll man sich verhalten – wofür die Ereignisoptionen so viele Möglichkeiten geben! –, wie begrenzt sind die sich bei Kämpfen und Zaubersprüchen erschöpfenden Ressourcen? Das lädt zum Zurückdrehen der Zeit und neu ausprobieren ein. Andererseits geht es fast immer vorwärts, das Spiel sich ausspielen zu lassen ist zumindest zu Beginn eine komfortabel einnehmbare Haltung. Läuft ein Kampf mal zu schlecht oder führt eine Entscheidung zum Tod blättert man etwas zurück, sowas ist wenig frustrierend und wirkt niemals blockierend.
Die Geschichte greift dabei auf viele Motive aus Pen&Paper-Rollenspielen zurück. Ein Beispiel: Ziemlich früh lässt sich ein Höhlensystem finden, was eindeutig nicht der normale Weg vorwärts ist. Es lässt sich trotzdem erkunden und drinnen sind Gegner mit ihren eigenen Zielen. Ein Nebenquest vielleicht – aber hier entspricht das mehr dem, was ein Spielmeister sich ausdenken würden, wenn seine Spieler einfach nicht dem ausgebauten Pfad folgen wollen und Ablenkung suchend in einen Brunnen klettern. Solche eingebauten Rollenspielverweise sehe ich positiv, sie geben Struktur. Gerade im ersten Teil sind sie häufig, was das Spiel für Rollenspieler einfacher macht. Das wiederum wirkt der drohenden Unsicherheit entgegen und motiviert. Paradebeispiel dafür ist das sehr klassische Finale, was ich hier aber natürlich nicht spoilern werde.
Sorcery! 2 – Die Verkomplizierung folgt
Der zweite Teil spielt dann in der Stadt Kharé. Wie genau der Spieler hier ankam hängt von seinen Entscheidungen im ersten Spiel ab. Die werden über einen Code übertragen, der am Ende des Vorgängers angezeigt wurde und jetzt zu Spielstart eingegeben werden kann. Auch Inventar und der Charakterstatus werden so beibehalten. Natürlich ist das optional, aber direkt den zweiten Teil zu spielen wäre desorientierend und die Konsequenzen zu ignorieren viel weniger spaßig.
Im Grunde funktioniert das zweite Spiel wie das erste auf einer Stadtkarte, aber es ist weniger eine direkte Fortsetzung als es zuerst wirkt. Zuerst, noch der kleinste Unterschied, wird die Spielmechanik fast direkt zu Beginn um ein weiteres Minispiel erweitert: Diesmal wirklich ein Spiel, ein Würfelpoker, bei dem die eigenen Würfel geheimgehalten werden und trotzdem die Gesamtzahl aller gleicher Würfel einer Zahl angesagt werden muss, was durch eine höhere Prognose gekontert werden kann, wobei die Behauptung jederzeit angezweifelt werden kann und dann in dem Moment stimmen muss.
Dann ist die Spielerführung eine andere. Vorher war der Weg klar: Es ging mit wenigen Ausnahmen immer vorwärts. In der Stadt jetzt ist zuerst nichtmal klar, wo vorwärts überhaupt ist. Die Punkt auf der Karte zeigen diesmal oft in gegensätzliche Richtungen und an einigen Stellen kann man im Kreis gehen. Dazu kommen Ereignisse, bei denen man plötzlich an ganz anderer Stelle wieder auftaucht. Die Stadt ist also ein Dschungel, Orientierungslosigkeit die Folge.
Findet man sich damit erstmal ab und beißt sich durch wird irgendwann klar: Es gibt ein Ziel dieser Stadtreise, das unweigerlich erreicht wird. Auf dieser Reise gibt es ein paar Schlüsselmomente, bei denen das richtige Verhalten das Ende beeinflusst. In einem Durchlauf sind sie nicht alle erreichbar, daher kann das alles (allerdings ohne manuelles Zurückblättern nicht unbegrenzt oft) wiederholt werden und so sie alle gesammelt werden. Hier war dann irgendwann der Moment, an dem ich zur Komplettlösung griff – ohne hätte ich das perfekte Ende zu knapp verpasst, mindestens einer der Schlüsselmomente war mir zu gut versteckt um organisch gefunden zu werden. Selbst wenn man auf den kam, sie alle ohne externe Hilfe zu erwischen erscheint mir unrealistisch.
Weitere Unterschiede: Magie scheint eine etwas größere Rolle zu spielen, in mehr Momenten der richtige Zauberspruch eine größere Wirkung zu haben. Und wieder wird ein Rollenspielklischee aufgegriffen, wenn das Stadtgebiet auch dafür geeignet ist viel Geld zu verdienen und viel Ausrüstung für die kommende Spieletappe anzusammeln, was dann der dritte Teil der Spielreihe wäre. Dafür ist die erzählte Geschichte diesmal viel weniger rollenspieltypisch, wodurch die Struktur unklarer als im ersten Teil bleibt.
Dementsprechend hat mich der zweite Teil erstmal erschlagen. Es war zuerst unheimlich motivierend, mit dem Hintergrund des ersten Teils vor Kharés Stadtmauern zu stehen. Doch als dann mir zu lange völlig unklar blieb, was in der Stadt getan werden kann und mein Proviant zu schrumpfen begann, war ich ziemlich genervt – gestresst trifft es vll besser. Glücklicherweise klärt sich dann einiges auf, woraufhin sich auch meine Einstellung zum Spiel wieder verbesserte.
Wären es zwei unabhängige Spiele, würde ich den ersten Teil uneingeschränkt empfehlen und den zweiten vorsichtiger. Und dabei bedauern, dadurch den experimentelleren Ansatz zu bestrafen. Aber so fühlte es sich eben an; Orientierungslosigkeit ist nicht motivierend und wäre auch im Kharé-Setting durchaus vermeidbar gewesen. Eine für mich akzeptable Auflösung der (Teil-)Handlung zu finden war im ersten Spiel gut möglich – wobei es auch dort Ereignisse gab, in denen mir Informationsschnipsel aus vorher nicht entsprechend erlebten Ereignissen fehlten –, im zweiten brauchte es dafür das Internet als Hilfe, was einfach weniger gut ist. Andererseits werden beide Spiele zusammen verkauft und fließen Handlung und Konsequenzen vom ersten zum zweiten, wodurch sicher nahezu jeder nach dem ersten Teil auch den zweiten spielen will und spielen sollte.
Als Spielkonzept selbst finde ich sowieso beide toll. Die Idee ist großartig, simpel mit Text und Entscheidungen ein Spiel aufzubauen, es aber computerunterstützt aufzubauschen und beherrschbar zu machen. Der Kniff dabei, eben kein altes Textadventure zu erschaffen, was den Kampf mit dem Textparser vermeidet. Allerdings: Wenn ich oben von Pen&Paper-Rollenspielen schreibe und wie sehr sich Sorcery! bzw das Konzept daran anlehnt, klingt das vielleicht besser als es sich dann wirklich spielt. Weil die ständige Unsicherheit was passieren wird durchaus erschöpfend ist, genau wie das kaum unterbrochene Lesen (anders als bei selbst textlastigen CRPGs wie Baldur's Gate) englischer Texte sowie die unzähligen Entscheidungen. Das muss die Spielerfreiheit und das gebotene Erlebnis erstmal aufwiegen! Was aber andererseits bei ehrlicher Erinnerung an meine Midgard/DSA/D&D-Spielerunden mit leicht anderen Herausforderungen nicht groß anders war, gleichzeitig für die Buchvorlage ähnlich gegolten haben dürfte…
Unterm Strich sind Sorcery! 1 und 2 gute Umsetzungen eines interessanten Konzepts. Sie bieten eine ungewöhnliche Rollenspielerfahrung, versetzen in eine sehr eigene Welt und erzählen dabei eine motivierende Geschichte. Zwar bleibt die verbindende Hintergrundgeschichte vage, doch reicht sie im ersten Spiel durch das klare Ziel aus; Das zweite Spiel funktioniert dann sehr konkret als eigenes Handlungskapitel.
Gleichzeitig kämpfen beide Spiele mit den Schwächen des sie definierenden Konzepts, was gerade zu Beginn des zweiten Teils als demotivierende Unklarheit voll durchschlägt und den Gesamteindruck etwas trübt.
onli blogging am : Sorcery! Teil 3
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