Warum ich Hard West vergessen hatte
Monday, 12. September 2022
Ich weiß nicht mehr, wann ich Hard West das erste mal anspielte. Aber ich weiß noch, dass es nicht verfing, ich es schnell zur Seite legte. Warum? Was ich mir damals genau dachte habe ich vergessen, aber mein diesmaliges Durchspielen gibt uns ein paar Hinweise.
Rundenstrategie im okkulten Wilden Westen
Die Art des Spiels macht die damals ausbleibende Begeisterung erstmal überraschend. Denn ich mag Rundenstrategiespiele mit Rollenspielelementen. Gut, damals wusste ich nicht, dass ich Phantom Doctrine des gleichen Entwicklers später gerne spielen würde. Aber ich kannte und mochte andere Genreverteter.
Ob es am Setting gelegen hat? Tatsächlich finde ich die Mischung aus Wilden Westen mit Magie, Dämonen und Teufel nicht superspannend. Aber auch nicht besonders langweilig, und obwohl es dazu Serien wie Wynonna Earp gibt, kannte ich sie damals gar nicht. Selbst jetzt noch habe ich nicht viele solcher Szenarien gesehen.
Aber erstmal zum Spiel selbst. Hard West ist also Rundenstrategie mit Rollenspielelementen im Wilden Westen. Wie üblich steuert man von oben meist mehrere Spielfiguren, die hier zwei Aktionspunkte haben. Bewegen kostet einen, Schießen meist auch, zudem beendet ein Schuss mit vielen der Waffen direkt den Zug der Figur. Das Wildwestszenario wirft einem dabei die typischen Banditen und Gesetzeshüter entgegen, wobei immer auch magische Elemente dabei sind, manchmal bei den dann dämonischen Gegnern, ansonsten bei den eigenen Fähigkeiten.
Glück statt Zufall in Episoden
Dabei dreht sich interessant verknüpft bei Spiel wie Handlung einiges um Glück. Denn das ist im Spiel eine Ressource der Figuren. Fähigkeiten verbrauchen sie, aber auch beschossen werden. Solange noch Glück da ist wird die Kugel verfehlen, getroffen zu werden macht dann abhängig von Deckung und Waffenstärke Schaden, füllt aber auch das Glück wieder auf und verhindert so weitere direkte Treffer. Gleiches gilt aber auch für Gegner, nur aus nächster Nähe wird immer getroffen, ansonsten verhindert ihr Glück erstmal Schaden.
In der ersten Kampagne ist der Protagonistenfamilie das Glück zu Beginn hold, doch war das nur eine List des Teufels. Was im Spiel diesen Kampagnenabschnitt mit jeder Runde sinkende Glückswerte bedeutet ist in der Handlung ein Fluch, den der Familienvater loswerden will und dabei Hilfe sucht. Der Sohn hat bald andere Sorgen, weiter will ich auf die Handlung nicht eingehen.
Diese Geschichte wird in mehreren lose verknüpften Kampagnen erzählt, und es ist gut möglich, dass ich mich daran gestört hatte. Denn Hard West ist durch sie nicht wirklich ein Spiel, es besteht aus mehreren Spielen. Denn die Kampagnen sind alle unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen nur, dass es eine 2D-Karte gibt, auf der Orte angewählt werden und dann dort etwas passiert, was entweder eine Textboxentscheidung sein kann oder sich zu einem Kampf auf der jeweiligen Schlachtfeldkarte entwickelt. Aber ansonsten haben sie unterschiedliche Spielmechaniken – so ist in der ersten noch Gold zu schürfen, in einer anderen gibt es einen Tag-Nacht-Rhythmus und muss zum Überleben nachts Nahrung vorrätig sein. Außerdem haben sie teils unterschiedliche Charaktere, wobei auch die Entwicklung und Ausrüstung der konstanten Gefährten nicht zwischen den Kampagnen transportiert wird.
Die begrenzte Charakterentwicklung...
Das ist schade, denn die Charakterentwicklung macht an sich Spaß. Es gibt keine Attributspunkte wie in einem echten RPG, aber es gibt Ausrüstung zu finden – jede Figur hat Platz für zwei Pistolen oder Gewehre, zwei in den Kämpfen einsetzbare Verbrauchsgegenstände sowie ein Kleidungsstück (was alternativ auch anderes wertesteigendes wie bessere Munition sein kann) – und Spielkarten zuzuweisen. Die Karten verleihen passive Boni oder aktive Fähigkeiten, die bei Nutzung Glück verbrauchen (was also Treffer der Feinde ermöglicht), wobei das Kombinieren der Karten nach ihren Symbolen und Werten gemäß Pokerregeln weitere passive Boni gibt.
Die Kampagnen starten die Charaktere immer mit etwas Ausrüstung und Spielkarten, es macht dann Spaß in ihrem Verlauf mehr zu finden. Aber es ist schließlich irritierend, bei der nächsten Kampagne wieder von vorne anfangen zu müssen. Das bedeutet auch, dass das System etwas schmal sein muss: Es ist eben nicht darauf ausgelegt sich über die ~15 Stunden Spielzeit (es hätte noch Zusatzkampagnen gegeben) zu entwickeln. Sondern, das System soll in dieser Zeit mehrfach von 0% nach 100% laufen. Entsprechend kann es nicht zu viele Items geben, nicht zu viele Karten und diese können sich nicht über die Kombinationen zu sehr weiterentwickeln.
...begrenzt die Spielentwicklung
Das gilt dann leider auch spielerisch. So wirkt es erst so, als sei das Abprallen von Schüssen an Metallobjekten in der Landschaft ein wichtiges Spielelement und würden die Karten damit experimentieren. Tatsächlich ist es nur die Fähigkeit einer Spielkarte, die in der ersten Kampagne früh auftaucht, danach bei mir aber fast nie da war. Vielleicht wäre sie ein paarmal zu finden gewesen und ich verpasste sie. Auf jeden Fall konnte die Fähigkeit so aber nicht wichtig beim Design sein, das Spiel nicht um diese interessante Mechanik gestrickt werden.
Genauso blockieren die kurzen und nicht ineinander greifenden Kampagnen die Entscheidungen. Die wirken erst sehr wichtig und haben klaren Einfluss darauf, wie schwer das weitere Vorgehen ist. Doch ist es schlicht egal, wie gut ich Kampagne 1 löse, wenn Kampagne 2 sowieso immer den gleichen Startpunkt hat. Längerfristige Konsequenzen befürchte ich so nicht, das Aufrüsten im letzten Detail wird egal, wenn es nur zum Durchkommen reicht – wovon man eigentlich immer ausgehen kann. Das macht das Spielerlebnis leider etwas beliebig, selbst wenn es auch etwas befreiendes hat Entscheidungen nicht allzu sehr bereuen zu müssen.
Zum Glück sind ja die Rundenkämpfe selbst (und ein paar Schleichmissionen) der Kern des Spielinhalts. Und hier gefällt mir das System, das ohne Zufall funktioniert, auch wenn die Trefferwahrscheinlichkeit als Glücksverringerungsfaktor genutzt wird. Es macht die Kämpfe beherrschbarer, während die Fähigkeiten sie auflockern. Allerdings passiert es bei manchen Karten doch, dass die beste Strategie in Deckung zu bleiben ist und Runde für Runde langsam die Lebenspunkte der Gegner zu reduzieren. Das starre System mit der Glücksressource begünstigt das, weil getroffen zu werden klar absehbar ist und damit nichts riskiert werden muss, das dient aber eben nicht der Spannung.
Das positive des Systems hätte besser genutzt werden müssen, und zwar in einer einzigen langen Kampagne, für die dann auch die Entwicklungssyteme hätten ausgelegt sein sollen. So wirkt Hard West mehr wie ein Experiment, bei dem mehrere Konzepte für Rundenstrategiekampagnen zusammengeworfen wurden. Die Satansgeschichte hält das mehr schlecht als recht zusammen, denn die verschiedenen Charaktere können durch den schnellen Wechsel wenig Wirkung entfalten.
Schlecht ist das Spiel aber nicht, nur verunglückt. Wie Phantom Doctrine zeigt es viel Potential, das hier aber noch viel weniger gut genutzt wurde als beim auch noch unperfekten späterem Werk. Das ist spielenswert, aber wieder mehr als Anschauungsobjekt für nicht wirklich funktionierendes Spieledesign. Da finde ich es überraschend, dass dem kürzlich erschienen direkten Nachfolger Hard West 2 trotz dieser Schwächen so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde – anstatt dass wie bei mir das Spiel und damit die Serie aufgrund seiner Macken vergessen wurde.