Baldur's Gate 2 Enhanced Edition
Monday, 16. January 2023
Das zweite Baldur's Gate (damals von mir zuerst gespielt) ist immer noch ein tolles Rollenspiel. Die Enhanced Edition ändert daran nicht viel, weder positiv noch negativ.
Nach dem ersten Teil
Nach der Verschwörung im ersten Teil und direkt nach dessen neuer Erweiterung landet der Spielercharakter mit einigen seiner Begleiter in einem Kerker. Der mächtige Magier Irenicus hat ihn dort eingesperrt und möchte mit seiner Bhaal-Essenz experimentieren. Die Flucht gelingt, aber nicht allen der Begleiter. Manche sind zu Spielbeginn bereits tot, Schwester Imoen wird am Ende der Flucht mit Irenicus von einer anderen Gruppe Magier verschleppt. Klares Ziel: Imoen befreien, Irenicus aufhalten, Rache nehmen.
Wieviel hat sich ansonsten im Vergleich zum ersten Teil getan? Es ist auf den ersten Blick tatsächlich nicht viel. Das Interface ist etwas hübscher (auch jetzt noch, nach den Änderungen durch die Enhanced Edition des ersten Teils), die Grafik aber ist (mittlerweile) gleich. Wieder gibt es viele potentielle Begleiter, teils die gleichen (wie Jaheira und Minsc), teils neue wie Aerie, auf jeden Fall mehr als man in einem normalen Spieldurchlauf realistisch samt ihrer persönlichen Quests kennenlernen kann. Das Kampfsystem ist das gleiche pausierbare und auf D&D-basierende Echtzeitkampfsystem, diesem Universum entstammen auch wieder Orte, Gegner, Geschichte und Gegenstände.
Die Enhanced Edition verändert Teile des Balancing, bringt neue Klassen für einen neuen Charakter und platziert noch mehr Begleiter in der Welt, von denen ich manche schon im ersten Spiel getroffen hatte.
Veränderte Kämpfe
Schrieb ich oben, dass das Kampfsystem gleich ist, sind die Kämpfe nun doch anders geworden. Das liegt schlicht am höheren Charakterlevel der Figuren und Gegner. Das ermöglicht neue Gegner, die im ersten Teil noch unbesiegbar gewesen wären. Und es schaltet neue Zaubersprüche frei, die Magier (und magische Feinde wie Lichs) sehr mächtig werden lassen, die mit ihren vielen Schutzschilden dann nur noch von schutzschildbrechenden Magiern oder besonderen Klassen mit entsprechenden Spezialfähigkeiten (und Artefakten) besiegt werden können. Manche Kämpfe werden dadurch sehr lang, andere werden aufgrund des enormen Schadenspotentials und Zustandsattacken zu sich sehr schnell entscheidenden Begegnungen mit zufälligem Ausgang, je nach Würfelglück.
In BG2 wird man deswegen oft neuladen müssen. Und das Magiesystem muss sehr genau gelernt werden. Wobei nicht hilft, dass das Spiel aktive Schutzschilde nur leicht grafisch anzeigt, genaue Statusinformationen fehlen. Dass manche Gegner gegen bestimmte Effekte völlig immun sind muss man Wikis entnehmen, sonst erscheinen manche Kämpfe chancenlos. Eigentlich mag ich das Kampfsystem mit den vielen und oft sehr speziellen Zaubersprüchen sowie den sehr charakteristischen Gegnern, und ich kann damit leben wie wichtig Magier im späteren Verlauf werden, doch ist das Spiel durch seine Intransparenz hier auch klar kritikwürdig.
Eine volle Welt
Was das Spiel trotzdem so toll macht ist die volle Spielwelt und die darin erzählten Geschichten.
Schon die Hauptstory ist toll: Durch die Auseinandersetzung mit Irenicus landet man direkt in einer Auseinandersetzung zwischen zwei kriminellen Organisationen, die eine in der Stadt Athkatla alteingesessen, die andere neu und aggressiv. Um Irenicus nachzustellen würden beide helfen, aber sie wollen etwas Gold dafür, was durch einige Nebenquests verdient werden kann. Die sind nicht weniger spannend, wenn zum Beispiel eine Burg von Trollen eingenommen wurde und die Spielergruppe von der Fürstentocher rekrutiert wird sie zu befreien, die sich als Dieb/Magierin auf Wunsch auch direkt der Gruppe anschließt. Die Magiergruppe, die Imoen und Irenicus gefangengenommen hat, kontrolliert Magie in der Stadt und ist ziemlich mysteriös. Sie kann bestochen werden, diese Magiekontrolle am Anfang (wenn man draußen zaubert tauchen die Magier auf) ergibt bis dahin eine ganz seltsame Überwachungsatmosphäre. In der Stadt gibt es in jedem Stadtteil zusätzliche (teils sehr große) Quests und Ereignisse, zudem viele potentielle Begleiter, mit einigen Verweisen auf den Vorgänger.
Die Begleiter sprechen diesmal viel mehr als im ersten Teil. Sie reden untereinander, schalten sich in Gespräche ein (und die NPCs reagieren auf ihre Kommentare), reden mit dem Spieler. Vor allem bei den möglichen Romanzen, was bei passender Gesinnung und Geschlecht automatisch anläuft. Alle haben ihre Begleiterquests, die in einem Fall sogar dazu führen können, dass der Begleiter nicht weiter mitreisen will, die immer gewichtig und dringlich sind. Die Begleiter leben und entwickeln sich also auch durch die Story, während sie gleichzeitig Erfahrungspunkte ansammeln und bei den Levelaufstiegen durch den Spieler an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden, dazu sich immer viel magische Ausrüstung für sie findet. Die Bindung an diese Pixelfigürchen wird dadurch erstaunlich groß. Dabei ist die Sprachausgabe nichtmal komplett, immer werden nur einige Sätze gesprochen, doch für den Effekt reicht das wohl.
Die Klasse des Spiels hängt aber nicht nur daran, dass es viele Quests und Geschichten gibt, sondern was es für Quests und Geschichten sind. Wenn ein riesiger roter Drache sich gegen den Spieler verschwört, das Kind eines Questgebers entführt und in einem großen Dungeon auf ein Duell wartet, ist sogar das nur eine Nebengeschichte. Die Hauptstory führt aus der Stadt heraus in die Wildnis, übers Meer, in die Unterwelt und in Elfenstädte. Die Erweiterung Thron des Bhaals setzt da noch eins obendrauf, wenn die Geschichte über irdische Orte hinausgeht und die Gegner noch mächtiger werden. Wer möglichst viele Quests erleben will muss locker mit hundert Spielstunden rechnen; und das gilt immer noch mit Vorerfahrung, was etwas zeigt wie voll und dicht Baldur's Gate 2 ist.
Ach, und es ist ein Rollenspiel und achtet darauf. Nein, wie die Geschichte selbst verläuft ist leider nicht sehr dynamisch, abseits der Frage ob Nebenquests erfüllt werden. Aber es gibt immer wieder Entscheidungen, wie welcher der Fraktionen man sich anschließt. Schafft man sich Freunde werden diese Fraktionen aktiv in späteren wichtigen Kämpfen helfen, was wirklich gut in die Geschichte passt und hervorragend für vorheriges Verhalten belohnt (und mal wieder das Finale von Mass Effect 3 disqualifiziert). Und je nach Klasse und Werten gibt es in den Gesprächen spezielle Antwortmöglichkeiten (wobei das längst nicht so weit ausgebaut ist wie in Fallout New Vegas), immer aber die Möglichkeit gemäß D&Ds-Gesinnungssystem zu antworten, dementsprechend oft(?) unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten für die Quests. Das macht die Erfahrung noch dichter, weil man wirklich anfängt einen Charakter zu spielen der in dieser Spielwelt wichtig wird und dessen Entscheidungen fühlbare Auswirkungen haben.
Grafik-, Bedienungs- und Importmängel
Leider ist das Spiel gut, aber nicht perfekt. Generell gilt alle Kritik an der Umsetzung des D&D-Systems mit seiner Komplexität wie im Vorgänger, schon bei der Charaktererschaffung. Aber mehr noch bestimmt die Grafik den Ersteindruck. Ja, irgendwie sieht das alles immer noch hübsch aus. Aber die Figuren sind schon Pixelhäufchen, gerade wenn man ranzoomt, die Ausrüstungsgegenstände sind auch arg pixelig und sie auszurüsten ändert oft zu wenig am Aussehen der Spielfigur, die Animationen sind arg beschränkt. Selbst die an sich so hübsch gezeichneten Hintergründe sind an manchen Stellen vermurkst, dann gleichzeitig pixelig und verwaschen wirkend.
Und diese unnötigen Tücken der Bedienung! Wenn sich die Charaktere ineinander verhaken (was an der EE-Version liegen müsste, daran erinner ich mich von früher nicht), wenn Gebietswechsel einfach nicht stattfinden wollen obwohl die ganze Gruppe in der Nähe ist und die Figürchen hin- und herzucken (das Problem gab es immer schon) ist das nur nicht schön. Richtig nervig wird es später im Spiel, wenn die Figuren auch mal sterben und wiederbelebt werden, dann bleibt ihre Ausrüstung und gesamter Inventarinhalt auf dem Boden und muss einzeln, Item für Item, in die Ausrüstungs- oder Inventarslots gezogen werden, nichtmal einen Helfer wie ein Shift-Klick gibt es! Generell, das gerne überquellende und leider individuelle Inventar der Figuren ist nervig, das muss dann irgendwie durch Verteilen auf die Charaktere wie bei Packeseln organisiert werden und das macht nur Arbeit, keinen Spaß.
Und dass bei Kämpfen Statuseffekte wie Schilde nicht klar kommuniziert werden, auch nicht wie erlittene negative Statuseffekte behoben werden können, erwähnte ich ja oben schon.
Eine vertane Chance sind die Beschränkungen des Imports. Es ist sehr verlockend, Baldur's Gate 2 erst nach dem ersten Teil durchzuspielen um so eine möglichst konsistente epische Geschichte zu erleben. Aber die vermurkste Importfunktion verbaut den vollen Effekt. Sie importiert nur die Werte des Hauptcharakters und manche speziellen magischen Gegenstände werden im Introbereich und bei späteren Händlern und Gegnern verteilt. Alles andere fehlt. Getroffene Entscheidungen? Getötete Begleiter und NPCs? Die gewählten Attribute und Skills der Begleiter sowie ihre Ausrüstung? Nichts davon bleibt erhalten. Dementsprechend überlässt das Spiel dem Spieler die Reaktion, gibt dann bei wiedergetroffenen früheren Begleitern eine Antwortmöglichkeit wie "Habe ich dich nicht getötet?", was der Begleiter dann mit einem "Offensichtlich nicht" wegwischen wird. Bei der Begegnung mit Drizzt Do'Urden sei das anders, da merkt sich der Import wohl ausnahmsweise die Handlungsentscheidung, aber generell wird die Chance einer dynamischen und konsistenten Gesamterzählung unter Berücksichtigung früherer Entscheidungen nicht genutzt. Das wird das spätere Mass Effect besser machen.
Wieder hat mir Baldur's Gate 2 gut gefallen, wie damals ja auch. Wie das Spiel seine volle Welt erschafft ist unheimlich einnehmend. Die darin erzählten Geschichten nehmen den Spieler ernst, wenn ein Spiel direkt mit dem kaltblütigen Mord an zwei vorherigen Begleitern beginnt handelt es sich eindeutig nicht um eine kindliche Story. Entsprechend ist die verwitwete Jaheira wohl der interessanteste Begleiter, was die Rolle der Geschichtenerzählung im Spiel zeigt. Dem gegenüber stehen die Mängel bei Grafik und Bedienung, dass die Geschichte nicht so dynamisch ist wie sie sein könnte, die überzogene Komplexität des D&D-Magiesystems (bei gleichzeitigem Fokus auf Magier im Kampfsystem) und dass die Enhanced Edition viel zu wenig verbessert.
Das trübt zwar den Gesamteindruck und bedeutet, dass die Enhanced Edition kein Grund ist das Spiel nochmal zu spielen. Wer aber Baldur's Gate 2 noch nicht kennt und auch nur einen Funken Interesse an Rollenspielen hat, kommt angesichts all der vorhandenen Stärken an diesem Genredefinierer nicht vorbei und kann dann durchaus auch diese Version spielen.