Als das Fairphone 5 vor einer kurzen Weile von dem Linus des Youtube-Channels Linus Tech Tips (LTT) ausführlich besprochen wurde, war das eine große Chance für die Firma. Fairphone ist bisher eher ein europäisches Ding und auch hier sicher nicht Mainstream, die zweite Vorstellung vor Millionen von Zuschauern (LTT hatte vorher schonmal das Fairphone 4 besprochen) konnte der Reichweite für das sympathische Konzept eines fair produzierten und reparierbaren Telefons nur guttun. Dann war das Fazit im Video aber leider durchwachsen:
Es passte nicht zu den Anforderung von Linus, der das Gerät wohl wirklich eine ganze Weile für sich selbst getestet hatte, und zeigte sich technisch deutlich schwächer als andere Telefone in der Preisklasse.
Aber darum soll es hier gar nicht gehen. Dass das Fairphone 5 nicht perfekt ist weiß jeder, der sich den fehlenden Kopfhöreranschluss ins Gedächtnis ruft. Viel schlimmer als ein eher negatives Review war die Reaktion von Fairphone, die sie in ihrem Youtube-Channel als Reaktionsvideo veröffentlichten:
Mitgründer und Produktmanager Miquel Ballester Salvà zeichnet in dem Video leider das Bild einer Firma, die Kritik weder versteht noch mit ihr umgehen kann. Nun ist Ballester Salvà wahrscheinlich kein Medienprofi wie Linus und Fairphone für eine Telefonfirma (trotz Millioneninvestition) immer noch eine kleinere, überbewerten muss man ein Verfehlen des richtigen Tons nicht. Aber man kann sich schon fragen, ob die feindselige Reaktion ein gutes Zeichen für den Nutzerfokus des Projekts ist. Und auf jeden Fall kann man sich anschauen, welche Reaktionen besonders daneben waren, wie es besser gegangen wäre. Ich werde da im Folgenden ein paar Beispiele diskutieren.
Einschub zur Positionierung bzw meinen Prämissen: Das Fairphone 5 ist die Topempfehlung meiner Filterseite für nachhaltige Telefone, sustaphones, gefolgt vom Fairphone 4. Ich unterstütze die erklärten Ziele der Firma von nachhaltigerer, reparierbarer Hardware ausdrücklich. Allerdings besitze ich kein Fairphone, halte mich schon wegen des hohen Preis lieber an gebrauchte Hardware, und der fehlende Kopfhöreranschluss ist für mich ein Ausschlusskriterium. Seit dessen Entfernung in den neueren Modellen sehe ich das Projekt kritischer.
Reaktionen im Detail
Ich werde die ausgesuchten Stellen beschreiben oder direkt zitieren, immer mit Links zu den jeweiligen Abschnitten.
Ignorieren von Fehlern direkt zu Beginn
Es beginnt direkt holprig. Gezeigt wird der Beginn des LTT-Videos, in dem Linus sich zum Fan der Nachhaltigkeitsziele des Projekts erklärt. Durch eine lange Unterstützung von Softwareupdates habe Fairphone auch viel Zeit, Probleme auszubessern – was gut sei wegen "solchen Dingen", dabei zeigt die Bildspur, wie das Fairphone mehrfaches Tippen auf den Bildschirm beim Abspielen eines Videos ignoriert.
Ballester ignoriert diesen Fehler einfach. Er geht nur auf den Abschnitt zuvor ein. Dass er sich noch an den gleichen Lobgesang aus dem Review des FP4 erinnere, dass sie immer noch hier seien, mit 150 Leuten. Mit dem FP5 habe man nun ein Telefon geliefert, das leichter sei, eine bessere Kamera habe und genauso reparierbar. "Aber jetzt weiter mit dem Video".
Das ist ein denkbar ungünstiger Einstieg. Der Zuschauer fragt sich, was es mit dem Fehler bei dem Video auf sich hatte. Ballester hätte das hier ansprechen können, hätte mindestens erwähnen müssen, dass er zum Fehler später noch komme. Da er das aber nicht erklärt, entsteht direkt zu Beginn der Eindruck, dass er eben nicht da ist um unangenehme Probleme zu erklären, sondern sie zu ignorieren versucht.
Die Position der SD- und Simkarte
Kurz darauf kritisiert Linus die Position der Sim- und der SD-Karte. Um die zu wechseln muss man nämlich den Akku des Telefons entfernen. So cool es sei, dass der Akku leicht zu wechseln ist, warum müsse das so positioniert sein?
Ballester entgegnet:
Wie oft wechselst du die Simkarte und die SD-Karte? [Jemand schmunzelt hörbar hinter der Kamera.] Ich glaube, ich habe das nur einmal gemacht.
Das ist die falsche Antwort. Linus hatte nach dem Warum gefragt, diese Frage zu beantworten hätte hier gut gepasst. Dass Nutzer die Karten so selten wechseln könnte dabei ein Teil der Antwort sein. Vielleicht ist die Positionierung auch besser für die Reparierbarkeit. Oder sogar geschickt, weil so sichergestellt ist, dass das Telefon beim Wechseln der Karten aus ist. Ich weiß es nicht, aber eine Erklärung wäre auf jeden Fall besser gewesen als diese ausweichende Antwort. Denn so entsteht wieder der Eindruck, dass Kritik nicht angenommen wird.
Mich persönlich hätte die Begründung für die Positionierung auch wirklich interessiert. Sie ist ja schon auffällig unpraktisch, aber das Fairphone ist mit dieser Designentscheidung nicht allein. Ich erinnere mich daran, selbst schon Telefone mit dieser Platzierung der Kartenslots besessen zu haben.
Die Akkulaufzeit
Im Review wurde die Akkulaufzeit verglichen, wie solche Tests es oft machen. Linus sagt:
Einmal geladen, hielt der Akku des Pixel-Telefons doppelt so lange, bis es vollständig entladen war.
Wieder sucht Ballester eine Ausflucht:
In einem sehr speziellen Szenario, richtig? Da steht Youtube-Playback. Ich meine, das Fairphone 5 gibt dir 10 Stunden Youtubezeit. Möchtest du 10 Stunden Youtubevideos sehen?
Das ist eine fürchterliche Antwort (und war für mich der Anlass, diesen Artikel zu schreiben). Nutzern ist die Akkulaufzeit wichtig, es ist so ziemlich der Faktor beim Auswählen eines Telefons – oder zumindest ist eine schlechte Akkulaufzeit der Grund, ein Telefon nicht zu nehmen oder das alte auszuwechseln. Ob das jetzt 10 oder 40 Stunden hält, der Punkt ist, dass das getestete Pixel-Telefon doppelt so lange durchhielt. Und das ist in vielen Situationen praktisch, denn normalerweise schlägt sich sowas nicht nur bei Youtube nieder, sondern z.B. auch auf die generelle Akkulaufzeit während einer Reise, im Zweifel ganz ohne Youtube. Die Kritik ist niederschmetternd, sie aber als unberechtigt darzustellen… mehr kann man sich in dieser Situation eigentlich gar nicht schaden.
Dabei, und das ist das frustrierende, ist eine gute Antwort so einfach. Das FP5 hat einen auswechselbaren Akku. Braucht ein Nutzer eine längere Laufzeit, kann er problemlos einen vollen Akku in das Telefon schieben. Das ist neben der Reparierbarkeit der große Vorteil des ganzen Konzepts! Aber der Produktmanager(!) des Telefons kommt da nicht drauf. Unfassbar.
Es hätte auch noch andere akzeptable Antwortmöglichkeiten gegeben. Dass für die Modularität der Akku kleiner sein müsse. Dass die Software-Optimierung noch nicht perfekt sei, dafür Ressourcen fehlten, aber man es verbessern wolle. Oder dass es wirklich nur die Youtube-Situation betreffe, wegen eines fehlenden Hardwaredekodierers des dafür besonders langlebigen Prozessors. Könnte ja alles durchaus sein, aber irgendeine Erklärung hätte es hier unbedingt gebraucht, selbst wenn die Auswechselbarkeit des Akkus spontan nicht in den Kopf kam.
Ein halbes Positivbeispiel: Die Bildschirmränder
Ballester kann auch anders, und das zeigt dann direkt, wie das Video hätte laufen können. Das will ich als abschließendes Positivbeispiel (mit Einschränkung am Ende) bringen. Linus kritisierte die Vorderseite des FP5:
Wie beim Fairphone 4 sind die Bildschirmränder [Bezels] so groß wie sie uneinheitlich sind. Dabei sind die oberen und unteren Ränder mindestens ein ganzes k dickker als die Seitenränder.
Hier funktioniert die Erklärung des Projektmanagers, denn er gibt eine. Im Verlauf der Produktionsplanung müsse für die Antenne der Bildschirm herumgeschoben werden, damit die mit den verschiedenen Providern getestete Empfangsqualität erreicht wird. Dabei entstünden diese ungleichen Ränder.
Diese Erklärung ist glaubhaft, man kann sich das Prozessproblem gut vorstellen, und vor allem wird hier erstmals im Video die Kritik nicht als illegitim dargestellt. Die ihr zugestandene Erklärung validiert sie, aber sie validiert auch für einen Moment Ballester. So eine Begründung kann der Kritik durchaus ihren Stachel nehmen. Und so hätte auch der Rest des Videos laufen sollen.
Allerdings: Diese Erklärung wird erst nach einem weiteren Ausweichversuch gegeben. Ballester beginnt so:
Linus, du hättest auch sagen können, dass die Ränder viel gleichmäßiger sind als beim Fairphone 4, denn daran haben wir sehr gearbeitet.
Das wiederum war direkt die falsche Richtung, ein klares Eingeständnis, dass die Kritik persönlich genommen wurde. Als ob es Linus Aufgabe gewesen wäre, die Gefühle des Fairphone-Teams zu schonen, statt seine Zuschauer zu informieren. Dieser Start macht die darauf folgende ordentliche Erklärung deutlich schwerer wertzuschätzen. Selbst bei dem einen Positivbeispiel ging also noch etwas schief.
Es gab auch noch andere akzeptable Entgegnungen. So hat Ballester auch auf Kritik mit "Das sehe ich auch so, das kommt auf die Liste" geantwortet. Das ist etwas, aber eine Erklärung zu geben warum das Problem besteht wäre besser gewesen.
Generell aber war dieses Youtube-Antwortvideo ein furchtbares Desaster. Es zeichnet das Bild eines kritikunfähigen Projekts, das Nutzerfeedback negativ sieht. Dabei ist das FP5 ein Luxusprodukt, das primär über Zuneigung zu der Mission und ethischer Überzeugung zu rechtfertigen ist, zu stark ist die günstige Konkurrenz des Massenmarkts. Und das ist generell ein Knackpunkt solcher Produkte: Ob es jetzt um alternative Linuxtelefone oder fair produzierte geht, wieviele Einschränkungen sollte der Kunde hinnehmen? Wo sind hoher Preis und geringere Qualität noch die unvermeidbaren Auswirkungen der Marktrealität und der kleinen Produktionsmenge, und wo zahlt man ohne echte Rechtfertigung für ein schlechteres Produkt durch die Nase, nur wegen einer Darstellung als sich besonders kümmernde Firma? Bei solchen Fragen muss Fairphone für einen Erfolg unbedingt auf der richtigen Seite landen, wobei gezeigte Nutzerorientierung und Kritikfähigkeit neben allen ethischen Positionierungen sicher einen großen Einfluss haben kann.
Ich frage mich, ob sich bei der Kritikfähigkeit aber gerade die ethische Mission der Firma negativ auswirkt. Fairphone muss es gewohnt sein, gelobt zu werden. Ihr ganzer Ansatz ist darauf ausgelegt, sich mit Kunden zu umgeben, die das ideologische Ziel (Faire Produktion oder Reparierbarkeit) höher schätzen als mögliche praktische Einschränkungen im Alltagsbetrieb im Vergleich zu den nunmal günstigeren Wegwerfprodukten. Auch in der europäischen Presse sah ich über Fairphone bislang kaum ein schlechtes Wort. Gibt es mal Kritikpunkte, wie im Review von Computerbase, wurde das immer mit der Wichtigkeit der Mission ausbalanciert und am Ende das Telefon darüber doch empfohlen. Da war die Herausstellung der technischen Defizite durch LTT vielleicht zu ungewohnt, zu viel für das gehobene Selbstbild?
Fairphone sollte jetzt lernen und zukünftig besser reagieren. Kritik ist nicht wegzuwischen, sondern Kritikpunkte sollten ernstgenommen und erklärt werden. Vor allem, wenn sie aus einer Ecke kommt, die so positiv zu den Zielen der Firma zu stehen scheint – Linus Sebastian ist immerhin einer der Investoren in Framework, der Firma hinter dem (kürzlich auch bei GNU/Linux.ch gelobten) modularen reparierbaren Laptop, und hat auf seiner Plattform schon oft eindringlich für das Recht auf reparierbare Hardware getrommelt.
Durch den Fehlschlag wirkt Fairphone hier unsympathisch, einfach bräsig. Wieder einmal, leider, denn schon die Entfernung des Kopfhöreranschlusses beim FP4 bei gleichzeitigem Release eines Bluetooth-Ohrhörers ohne auswechselbaren Akku(!) hatte bei vielen Leuten in der Szene für Kopfschütteln gesorgt. Eine Rechtfertigung kam spät, war nicht überzeugend und Kritik dazu in Youtube-Kommentaren beispielsweise bleibt immer noch grundsätzlich unbeantwortet. Und beim FP5 fehlte der Kopfhöreranschluss dann direkt immer noch.
Die ungeschickten Kritikreaktion jetzt ist also nicht der erste Ausrutscher der Firma. Sondern leider beginnt sich da langsam ein negatives Bild zu verfestigen.