Es ist überraschend, wie dünn sich dieses Spiel inzwischen manchmal anfühlt. Als es rauskam war es wegweisend, in 3D mit dieser Grafik und tollen Sprechern ein Sci-Fi-Abenteuer zu erleben war 2009 noch wie ein spielbarer Film. Heute wundert man sich teils etwas über diese Bewertung.
Was Mass Effect war
Aber erstmal einen Schritt zurück. Mass Effect ist ein Computerrollenspiel mit einem Science-Fiction-Szenario und von der damals besten Rollenspielfirma Bioware. Der Spieler schlüpft in die Rolle von Commander Shepard, der eine hohe Rolle im Militär innehat und bald mit Sonderrechten ausgestattet das ganze Universum retten soll. Dafür rekrutiert er – Bioware-typisch – eine Handvoll Gefährten, die dann als Begleiter mit auf die Missionen gehen und ansonsten im Hub (diesmal ein Raumschiff) auf ihn warten. Welchen Hintergrund Shepard hat kann der Spieler zu Spielbeginn bei der Charaktererschaffung auswählen, genauso seine Klasse (grob Soldat, Techniker oder Bioniker) wählen und – wichtig, denn man sieht das Gesicht oft – das Aussehen umfangreich anpassen. Das Geschlecht ist ebenfalls wählbar, damit wählt man auch zwischen zwei hervorragenden Sprechern und beeinflusst die Auswahl an Partnern für die Romanze.
Das Spiel ist also eine komplette Umsetzung der damals so genannten Bioware-Formel: Epische Story, der Spielercharakter ist ein auserwählter Retter, mechanische Rollenspielelemente wie Klassen und Erfahrungspunkte, Gefährten mit vielen Gesprächen, dazu Entscheidungen mit einem Moralsystem. Die Story war dabei erkennbar als Träger für mehrere Spiele angelegt, eine Trilogie sollte es werden.
Das besondere am ersten Mass Effect war die technische und visuell starke Umsetzung. Das Spiel kam 2007 heraus. Baldur's Gate 2, das damals (und in Teilen heute noch) als bestes Computerrollenspiel aller Zeiten galt, war von 2000. Nur sieben Jahre, in denen Bioware von einer hübsch gezeichneten, aber primitiven 2D-Grafik zu einer hübschen 3D-Engine wechselte, samt Kameraeinstellungen wie Close-Ups bei den Gesprächen. Klar, 3D-Rollenspiele gab es schon zuvor – man denke an Deus Ex – aber sie sahen nicht so gut aus. Und hübsche Spiele wie Doom 3 waren keine RPGs. Zudem spielte man ein Spiel wie BG2 ja nicht unbedingt bei Release, sondern manchmal auch Jahre später, was den Unterschied noch krasser machte. Bei Mass Effect stimmte dabei nicht nur die Technik, sondern die Designarbeit von allen Objekten und Figuren in der Spielwelt war auch abseits der konkreten technischen Umsetzung hervorragend.
Auch das Kampfsystem war etwas besonderes. Es spielte sich wie ein regulärer Shooter – passend zur Grafik – ließ sich aber pausieren, um die eigenen Fähigkeiten und die der zwei Begleiter einzusetzen. Eine direkte Umsetzung der pausierbaren Echtzeitschlachten der Vorgängerspiele, was vor Fallout 3s VATS-Modus noch innovativer war als es heute wirkt. Die dichte Spielwelt balancierte diesen Actionfokus zudem gut aus, mit vielen und konsistenten Hintergrundinformationen, die im Codex nachgelesen werden konnten oder auch sehr häufig in den Gesprächen platziert waren.
ME1 popularisierte zudem das Gesprächsrad, bei dem die Gesprächsoptionen nur zusammengefasst angezeigt werden und dann das Filmgespräch weiterlaufen ließen. Konventionen halfen dabei, die Übersicht zu behalten, so war oben rechts fast immer der blaue Paragon-Weg, unten rechts die Option für den roten Renegade, wobei das Gespräch anhaltende Nachfragen links in einem Untermenü platziert waren. Konsistent eine Moralseite zu wählen schaltete höhere Stufen bei den entsprechenden Gesprächsfähigkeiten frei, was wiederum in Gesprächen neue Antwortoptionen aktivierte.
Die 2021 erschienene Legendary Edition poliert die Grafik nun nochmal auf und lässt das Spiel auf modernen Systemen laufen. Versiegelt es allerdings auch mit EAs DRM, der EA App (vorher Origin), sodass es unter Linux lange unspielbar war und Windowsspieler in diverse technische Probleme liefen.
Was heute nicht mehr funktioniert
Damals war das Spiel also etwas ganz besonderes, mit vielen Stärken. Heute stechen viel mehr all die Dinge heraus, die eben nicht filmreif inszeniert sind.
Die sich wiederholenden Stationen in den Nebenmissionen insbesondere. Dabei stört das Innere der Gebäude besonders, die immer wieder kopiert werden, alle gleich hässlich aussehen und bei denen oft sogar die Gegner an den gleichen Stellen platziert wurden.
Die vorher zu durchreisenden Planetenoberflächen sind zudem oft auch nicht hübsch. Die Landschaften stammen offensichtlich aus einer führen Version eines Kartengenerators, wie sie damals populär waren, seltsamerweise mit hochgeregelten Höhenunterschieden. Bei den dann darauf platzierten Gebäuden und Einheiten wurden auch noch die Proportionen verkackt, sie sind viel zu klein für die Landschaft (und dem Mako, dem Spielergefährt). Wichtiger noch als das Aussehen, das Durchfahren dieser hügeligen Landschaften ist sehr nervig, vor allem wenn das Auto die Berge einfach nicht hochkommt.
Schmucklose Textdialogfenster erzählen in den Nebenmissionen Teile der Handlung, um sie nicht zeigen zu müssen. Das setzt dem ganzen Komplex um die Nebenmissionen die Krönung auf. Sind sie schon spielerisch repetitiv, störend als Ablenkung zur Hauptstory, wären sie wenigstens toll inszeniert wäre das verkraftbarer. Aber dem ist nicht so.
Nach diesen Missionen sind auch die Handlungsauflösungen unpassend direkt. Man verhaftet z.B. einen Sektenführer, steht gerade erst wieder auf dem eigenen Raumschiff, schon kommt ein Funkspruch rein und erzählt von dessen Reue, anklingender Therapie und dass die Sektenmitglieder verschwunden seien.
Die Taktung der Gespräche mit den Gruppenmitgliedern ist ähnlich verhunzt. Da erzählt mir beispielsweise Tali, eine der Begleiterinnen, dass wir uns wohl jetzt dem Ende nähern und den Oberbösen bald schnappen würden. Zu dem Zeitpunkt habe ich erst eine Hauptmission erledigt und bin weit weg vom Finale. Stattdessen zählen wohl die Nebenmissionen den Zähler hoch, welches Gespräch abgespult werden soll.
Genau, über den Mechanismus sind dann auch bei der später rekrutierbaren Begleiterin Liara Gespräche verpassbar, wenn man sie zu spät rekrutiert und nicht mehr genug Missionen hat, um sie in den Folgegesprächen kennenzulernen. Eine Stolperfalle.
Auch bei solchen Gesprächen stört die Wirkmächtigkeit der Überzeugungsoptionen. Hat man genug Charme oder Einschüchterung, kann man in ihnen Spezialoptionen wählen. Die dann folgende Ausgestaltung der Gespräche ist aber oft so schlecht, dass man den immer eintretenden sofortigen Gesprächsgewinn überhaupt nicht glauben kann.
Generell sind die Interaktionen zwischen den Charakteren merkwürdig und längst nicht so gut, wie ich sie in Erinnerung hatte. Warum z.B. irgendeiner der Gefährten in der kurzen Zeit und ohne eine Handlung, die das unterstützten würde, Shepard verfallen sollte, ist unerklärlich. Erst gegen Ende wirkt die Bindung der Crew erkauft, aber schon vorher wird sie behauptet.
Dabei hilft das Anbieten unklarer Alternativen im Gesprächsrad nicht. Was ist der Unterschied zwischen einem "Ja?" und "Erzähl weiter"? Dazu spricht Shepard manchmal auch genau die Worte, die als Zusammenfassung der alternativen, also der nicht gewählten Gesprächsoption angezeigt wurden. Da wirkt deutlich, dass nach all den Jahren mit Kopien des Konzepts (z.B. in Fallout 4) die Schwächen deutlicher herausstechen.
Und auch etwas verstärkt durch die verstrichenen Jahre: Das Inventarmanagement nervt. Es fehlen Komfortfunktionen wie das automatische Zuweisen der bestmöglichen Ausrüstung. Aber selbst wenn es die gäbe, man findet auch einfach zuviel Ausrüstung. Sogar so viel, dass selbst das Verkaufen sinnlos wird – kann doch die maximale Geldmenge erreicht werden, und gibt es sowieso fast nichts sinnvolles zu kaufen. Das ewige Herumkonfigurieren im wenig komfortablen Inventarmenü reißt daher unnötig aus dem Spielfluss.
Der wird auch durch die misslungene Taktung von Neben- und Hauptmissionen unterbrochen. Die fließen nämlich meist nicht natürlich ineinander, stattdessen werden früh sehr viele Nebenmissionen aktiviert, wodurch die Hauptstory in den Hintergrund rückt. Oder man macht erst die, dann bleiben aber die Nebenmissionen als abzuarbeitender Brocken über. Sie ganz zu ignorieren ist in meinen Augen keine Option, nicht in einem Spiel mit angedeuteten Beziehungen zwischen den Gefährten und angesichts der erwartbaren Auswirkungen auf die Welt.
Bei manchen dieser Nebenmissionen gibt es zudem Verbindungen zu Crewmitgliedern, aber es fehlt bei Gefährtenmissionen eine Warnung wenn die nicht im Team sind. Dadurch entgeht einem dann mindestens die Kommentare der Figur, möglicherweise auch die Chance die Loyalität des Gefährten zu gewinnen.
Teils ist auch auffällig, wie wenig bestimmte Gefährten kommentieren. Mir fiel das einmal bei Tali besonders auf, die eine ganze Mission lang praktisch stumm blieb, während der andere Begleiter immer wieder in die Gespräche eingriff. Dabei ist Tali eigentlich ein toll ausgearbeiteter Charakter. Aber in einigen Missionen scheint sehr ungleich verteilt zu sein, was die Gefährten zu sagen haben. Und meist ist diese Verteilung nicht vorhersehbar.
So wie es mich auch generell stört, dass die auf dem Schiff gebliebenen Leute sich nie über Funk einschalten oder selbständig unterwegs sind und so an kritischen Stellen auftauchen. Dadurch verpasst man durch die Auswahl der Begleiter am Anfang so viel. Dabei zeigt eine Mission des Spiels, die auf Virmire, wieviel besser das Spiel die Crew hätte einbinden können.
Bei einer solchen Liste an Schwachpunkten ist das Spiel also alles andere als perfekt.
Die Änderungen der Legendary Edition
Die Legendary Edition verpackt Mass Effect neu. Es sind alle drei Teile enthalten. Beim ersten Teil wurde die Grafik verbessert, teils dezent, teils sehr deutlich. Ich binde hier einen Vergleich ein:
Es ist einfach, diese Grafikverbesserung geringzuschätzen, nähert sie die Grafik doch nur der verklärten Erinnerung an. Das Video zeigt aber ein paar Szenen, wo der höhere Detailgrad und auch die Einfärbung viel besser ist.
Die LE entschärft daneben einige Nervfaktoren. So kann die Steuerung des Mako nun umgestellt werden, sodass sie nicht mehr von der Kamera abhängt, was das Steuern deutlich einfacher macht. Wobei – siehe oben – Planetenerkunden wegen der Hügeligkeit der Oberflächen immer noch nervig ist. Bei den die Ladezeit kaschierenden Aufzugsfahrten auf der Citadel gibt es nun die Option sie zu beschleunigen, wenn das Laden erledigt, aber die Radioansage noch nicht fertig ist. Die Durchsage wird dann abgebrochen. Mich nervten die Ladezeiten allerdings damals nicht, vielleicht war das am PC weniger ein Problem.
Zu ME1 gab es zwei DLCs, davon ist enttäuschenderweise nur einer enthalten. Er baut eine zusätzliche Nebenmission ein, die etwas besser inszeniert ist als viele andere. Toll ist sie aber nicht, und sie krankt an den gleichen Schwächen wie die anderen, nämlich dem schamlosen Recycling von Gebäuden. Der fehlende DLC wäre wohl nicht besser gewesen, vielleicht ist sein Fehlen daher nicht allzu schlimm.
Beim Spielen stolperte ich dafür über ein paar Bugs. Ob die schon im Original waren oder am Spielen unter Linux hingen kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall blieb der Mako manchmal im Boden stecken, wenn ich seinen Turbo benutzte, nur ein Neuladen half dann. Während der letzten Mission gibt es ein Energieschild als Barriere, da glitchte mein Mako einfach durch, was einen wichtigen Storypunkt verpassbar gemacht hätte (ich meine mich zu erinnern, dass mir das gleiche mit der Originalversion damals auch passierte). Nach dem zweiten Mindmeld mit Liara wurde unpassenderweise das gleiche Gespräch wie beim ersten mal abgespult – wobei ich hier vermute, dass da schon im Original geschlampt wurde.
Mass Effect hätte mehr verdient
Die Legendary Edition geht also viele Schwächen leider nicht an. Sie verbessert hauptsächlich die Grafik, aber auch nicht so sehr, dass die teils arg tristen Orte plötzlich gut aussehen. Was vorher gut aussah sieht nun besser aus, einige unschöne Orte werden deutlich aufgehübscht, aber die hässlichen Stellen werden keinesfalls alle weggebügelt.
Sie ändert also grafisch nicht genug, inhaltlich sogar viel zu wenig an diesem arg betagten Rollenspiel. Dabei sind die oben gelisteten Schwachpunkte alles welche, die man hätte überarbeiten können. Mit unterschiedlich viel Aufwand natürlich, das Neuaufnehmen von Gesprächen wäre ein viel größerer Aufwand als das Glätten der Planetenoberflächen, vor allem aber die Nebenmissionen hätten umfassend überarbeitet gehört.
Aber dieses frühe 3D-Rollenspiel hätte den Aufwand verdient gehabt, weil seine damals so faszinierenden Stärken auch heute immer wieder durchscheinen. Die Welt von Mass Effect ist immer noch eine besonders faszinierende, die originellen Alienarten sind klasse, die fantastische Citadel-Raumstation einfangend, die überepische Story schon in diesem ersten Teil der Trilogie mitreißend. Oder: Sie ist mitreißend, wird sie nicht durch die oft viel lahmeren Nebenmissionen und dem mühseligen Planetenerkunden unterbrochen, was die LE hätte verbessern können.
Auch heute noch sind die Sprecher gut! Das ist durchaus überraschend, ist doch in der Retrospektive die Inszenierung von Gesprächen in älteren Computerspielen oft nicht mehr zufriedenstellend. Und ja: Die steif inszenierten Gespräche ohne kaum eine Bewegung sind heute etwas langweilig anzusehen. Aber eben nicht langweilig anzuhören, denn die Sprecher sind gut gewählt und wohl gut angeleitet worden. Ausgerechnet bei Jennifer Hale allerdings, die Sprecherin des weiblichen Commander Shepard, wundere ich mich etwas über das später aufkommende allgemeine Lob zumindest in diesem Teil der Serie – FemShep spricht doch oft sehr neutral und kontrolliert, nur in speziellen Situationen scheint die Stärke der Sprecherin durch.
Und bei all dieser damals untypischen Inszenierung – trotz den Einschränkungen ja doch meilenweit über einem Baldur's Gate 2 – und dem tollen Universum sind da eben noch die Entscheidungsmöglichkeiten. Dieser Start ist in diesem Punkt vielleicht sogar zu gut gewesen. Man hat als Spieler wirklich das Gefühl, einen großen Einfluss auf die Geschichte nehmen zu können. Nun wissen wir heute, dass die Trilogie dieses Versprechen nicht erfüllte – der zweite und der dritte Teil werden unabhängig von allen Entscheidungen identisch ablaufen, nur ein paar Rollen werden ausgetauscht und Hintergrundszenen geändert (und inwiefern das für das missratene Ende noch gilt, um das zu bewerten spiele ich die Reihe nochmal). Aber das wussten wir damals noch nicht, und es ist auch heute nur zu leicht die Linearität beim Spielen zu vergessen, sind die im ersten Spiel gezeigten Auswirkungen doch erstmal überzeugend.
Diese Überzeugungsfähigkeit des ersten Teils gilt auch heute noch, die Wirkmächtigkeit der gebauten Welt. Bei aller Kritik: In vielerlei Hinsicht ist Mass Effect ein sehr gut geschriebenes Spiel gewesen. Bei dem die Inszenierung so tolle Ansätze zeigte, die Schwächen bei genau der aber heute nicht zu übersehen sind. Wie schade, dass bisher noch kein Versuch unternommen wurde, das Spiel tiefergehender zu überarbeiten. Wobei ich nicht behaupten kann, keinen Spaß mit dieser Nostalgiereise via der LE gehabt zu haben. Gerade die Hauptmissionen, die Story und die Begleiter sind immer noch toll. Und wenn man im Flow der Story steckt, wird die positive Erinnerung ganz leicht erklärbar. Vor allem in den letzten, besonders gelungenen Missionen. Dann ist es tatsächlich ein spielbarer Film mit teils tragischen Entscheidungen, dabei aber auch ein flotter Shooter mit Charakteren, die einem über die lange Spielzeit von etwa 40 Stunden unweigerlich ans Herz wachsen.
Aber abseits davon wirkt das erste Mass Effect auch in der Legendary Edition heute nicht mehr frisch, und dann auch oft nicht mehr überzeugend. Die Schwächen bei den so wichtigen Gesprächen, auch bei der Interaktion mit den Gefährten, tun weh. Und die oft lahmen Nebenmissionen, die so eindeutig aufwandsminimierend umgesetzt wurden, gehen heutzutage eigentlich gar nicht. Insgesamt schwächelt das Spiel dadurch sehr.
Dieses Fazit überrascht mich übrigens selbst. Weil ich das Spiel damals so mochte, war mir eine auf die Technik fokussierte dezente Überarbeitung vorab völlig ausreichend erschienen. Erst beim Neuspielen jetzt wurde mir klar, wie viel sich seitdem getan hat, wie stark die Macken dieses ersten Trilogieteils heute doch stören.
onli blogging am : Mass Effect 2 in der Legendary Edition ist immer noch eine schwer bewertbare Mischung
Vorschau anzeigen