Mit More Perfect hat Temi Oh einen Cyberpunkroman geschrieben. Ich mochte schon ihr vorheriges Do You Dream of Terra-Two?, was statt Cyberpunk Science-Fiction war. Aber den besonderen und zum neuen Genre passenden Dreh hatte, die Musk'sche Zukunftsvision der bemannten Weltraummissionen als Dystopie zu entlarven.
Das läuft im Prinzip so ähnlich auch in More Perfect, es wirkt nur zuerst wieder alles genretypisch. So will zu Beginn die Londoner Schülerin und spätere Tänzerin Moremi ein Implantat eingesetzt bekommen, den Puls, um mit allen anderen Implantatträgern in einem Cyberspace verbunden zu sein – das ist klar angelehnt an die Augmented Reality, wie sie von Google und Meta auch in echt beworben wurde. Dem gegenüber steht Orpheus, der abseits aller Technik aufgezogen wird. Natürlich kollidieren diese beiden Schicksale, aber wie das kollidiert läuft etwas anders ab als erwartet.
Ich fand es dabei beeindruckend, wie auch gerade die utopischen Elemente des Genres aufgegriffen werden und sie noch einen Hauch ihrer Faszination behalten. Aber sie werden ansonsten von Oh als so negativ dargestellt, wie sie in unserer Realität wohl auch ablaufen würden. Ein frühes Beispiel: Moremis Implantat beeinflusst durch die vielen Eindrücke stark ihr Denken und ihre Wahrnehmung der Welt, aber ganz früh wird klar, dass das mit ihren bestehenden psychischen Problemen kollidieren wird. Auf der ersten Ebene ist das nur die Social-Media-Debatte unserer Zeit, andererseits ist es eine weitergehende ernsthafte Analyse davon, was die Weiterentwicklung zum (teils utopisch gesehenen) Cyberimplantat mit unseren Köpfen anstellen würde.
Und diese Umdrehung habe ich abseits Ohs erstem Roman so noch nicht gesehen. Man spürt dabei diesmal auch deutlicher eine von der derzeitigen Politik geformte Perspektive, ob das nun Trump oder Brexit ist, und damit, dass dieses Cyberpunkbuch in der jetzigen Zeit geschrieben wurde. Da Cyberpunk für mich sonst eher aus dem letzten Jahrhundert stammt empfand ich das als reizvoll.
Dazu kommt noch ein bisschen Fantastik (wie Otherland oder Inception) und eine über das Genre hinausgehende emotionale Geschichte. Dabei verblüffte mich die Schilderung im Nachwort, dass die Autorin frisch verheiratet war – das geht für mich schwer damit zusammen, welche Gedanken mit einer Figur wie Moremi scheinbar verarbeitet wurden. Das macht den Roman nicht schlechter, nur nochmal ungewöhnlicher.
Insgesamt gefiel mir More Perfect also durchaus. Ich will aber nicht verschweigen, dass ich das Buch zwischendurch zur Seite gelegt hatte. Er war für mich also nicht durchgängig spannend bzw war die gerade anfangs sehr gewöhnlich wirkende Zukunftsvision nicht direkt einfangend. Auf der technischen Cyberpunkebene war da eben sehr wenig neues; nur dass die Elemente dann in Teilen ungewöhnlich verarbeitet wurden. Es war daher mehr noch als sonst die Ebene der Geschichte neben der Technik, die hier verfangen musste, das Spielen mit den Genrekonventionen hätte mir sonst nicht gereicht.