Weg mit Unity, weg mit Ubuntu Touch, also weg mit dem Konvergenz-Ansatz und dem freien Ubuntu-Smartphone - es ist schon eine ziemliche Bombe, die Mark Shuttleworth angekündigt hat. Unity soll durch Gnome 3 ersetzt werden, dessen katastrophaler und nutzerfeindlicher Start damals wohl die Ursache für die Eigenentwicklung Unity war. Ubuntu Touch wird ganz gestrichen, das Telefongeschäft soll durch die funktionierenden Geschäftsfelder spezialisierter Cloudsoftware ersetzt werden, für Server und für die IoT-Blase.
Das gescheiterte Ubuntu-Smartphone
Zur Absage des Telefons ist es bemerkenswert, in welcher Tradition Canoncial hiermit steht. Es reiht sich ein in eine Serie von freien Betriebssystemen, die angeblich am Markt gescheitert sind, es aber nie wirklich auf den Endkundenmarkt geschafft haben. Zuerst wäre da das wundervolle WebOS, das von HP aufgegeben wurde bevor die Geräte verkauft wurden, nur um dann mit den auf den Markt geworfenen Geräten einen riesigen Verkaufserfolg zu verbuchen. Dann gab es Nokias Meego, das auf dem Nokia N9 lief. Von Kunden und Kritikern geliebt, wurde es wohl schon deswegen vom Microsoft-Abgesandten Elop zugunsten einer Windows-Strategie sabotiert, die dann nebenbei auch noch Nokia selbst eliminiert hat. Mozillas FirefoxOS is noch gar nicht so lange tot, aber es war schon vorher lange ein Zombie. Hier gab es zwar Geräte auf dem Markt, nicht aber auf dem heimischen und nicht auf nur ansatzweise konkurrenzfähigen Geräten, ein Fokus auf Schrottprodukte für Entwicklungsländer (statt: vernünftige Budgetmodelle für den internationalen Markt) konnte nicht funktionieren.
Und jetzt Ubuntu Touch, das es praktisch gar nicht auf den Markt schaffte. Dem Vernehmen nach waren die Hardwarehersteller nicht interessiert, definitiv aber hatten die Kunden hier kaum Einflussmöglichkeit, sieht man mal vom gescheiterten Kickstarterprojekt Ubuntu Edge ab, bei dem das Modell zu teuer ($700) und das Ziel (32 Millionen!) zu ehrgeizig war. https://www.ubuntu.com/mobile/devices zeigt 4 Geräte: BQ Aquaris E4.5, BQ Aquaris E5, Meizu MX4 und Meizu Pro 5. Das erste davon ist derzeit, so wie vorher schon andauernd, nicht auf Lager und konnte auch nur online gekauft werden. Aquaris E5? Nicht erhältlich. Meizu MX4? Da ist nichtmal mehr die Shop-Seite online. Schließlich also das Meizu Pro5? Nein, ebenfalls nicht erhältlich.
Selbst wenn die Geräte verkauft worden wären, war Ubuntu Touch wohl noch nicht bereit, wobei die Reviews neuerer Modelle immer positiver wurden. Doch um ein mobiles Betriebssystem zu etablieren braucht es Jahre. Amerikanische/Angelsächsische Firmen denken in Viermonatstakt, es ist ein Klassiker, dass ihnen der lange Atem fehlt. Aber ohne eine Langzeitstrategie funktioniert dieser Markt nicht: Die Software muss perfekt sein, die Hardware muss stimmen, die unterschiedlichen Preissegmente müssen abgedeckt werden - oder zumindest eine profitable Nische ergattert. Das hat anfangs nichtmal das konkurrenzlose iPhone hinbekommen.
Aber wie Ubuntu es versucht hat kann es halt nicht funktionieren: Wenn die Kunden keine Geräte in die Hände bekommen, können sie kein Interesse entwickeln, dann können auch keine Hardwarehersteller motiviert werden. Ubuntu Touch scheiterte hier wohl ganz am Anfang mit dem Ubuntu Edge. Wäre das durchgegangen oder die gesammelten Millionen für ein kleineres Start-Smartphone benutzt worden, wären die Erfolgschancen wesentlich größer gewesen. Jetzt aber hätten neue Betriebssysteme schon deswegen keine Chance, weil mögliche early adopter zu oft verbrannt wurden - niemand wird je wieder glauben, dass eine Firma lange genug ihr alternatives mobiles OS unterstützen wird.
Der Wegfall Unitys
Die Entwicklung auf dem Desktop ist eigentlich weniger dramatisch, aber sie betrifft mehr Nutzer. Mit Ubuntu 18.04, also schon nächstes Jahr, soll zu Gnome 3 gewechselt werden. Das heißt natürlich auch, dass die Vielzahl an nötigen Unity-Verbesserungen nicht mehr kommen werden, wobei mir nicht ganz klar ist, wie weit die schon gebaute neue Unity-Version die bisherige verbessern wird.
Zu Gnome 3 zu wechseln ist aus einer gewissen Perspektive natürlich richtig. Es stellt die Leute zufrieden, die in Ubuntus Unity eine unnötige Fragmentierung des Linux-Desktops sahen. Auch wenn Gnome 3 angepasst wird werden müssen, ist das für Canonical doch sicher weniger Arbeit als die Entwicklung des eigenen Desktops, erst recht, wenn Mir mit aufgegeben wird. Und Gnome 3 von heute ist nicht das Desaster von damals, von dessen Regressionen und der stolz vorhergetragenen Nutzerfeindlichkeit seiner Entwickler Ubuntu schreiend weglief.
Allerdings ist es kein Schritt, den man mögen muss. Ubuntu hat viel Zeit und Energie darauf verwendet, eine Nutzerbasis zu schaffen, die Ubuntu mit Unity und eben nicht Gnome 3 benutzte. Viele - wie ich - werden Unity irgendwann zu schätzen gelernt haben. Jetzt also doch zu Gnome, nach all der Abwehrarbeit? Da werden einige nicht mitmachen. Auch, weil das Vertrauen in die Gnome-Entwickler, einen vernünftigen Desktop zu bauen - ohne kaputtsimplifizierten Dateimanager, ohne auf einem PC einfach nur fehlplatzierte Elemente wie Bildschirmrotationsbuttons und Wischgesten zum Login - bei mir zum Beispiel nicht da ist.
Das große Bild
Da der Schritt zu Gnome außerdem mit der Aufgabe der Konvergenz-Idee (das Smartphone als Desktop-PC zu nutzen) verbunden ist, verliert Ubuntu heute auch sein gesamtes Zukunftspotential. Statt eigenem Desktop und eigener Zukunftsvision gibt es in Zukunft das, was die anderen Distributionen auch anbieten, nur wahrscheinlich in grau-lila, und eine Zukunftsvision für den Desktop gibt es schlicht gar nicht mehr. Das mag realistisch, das mag für ein Arbeitswerkzeug angemessen sein, aber es hat keinen Charme.
Außerdem verliert Linux hier Vielfalt zu einem Zeitpunkt, an dem es meiner Meinung nach Vielfalt bräuchte. Gnome ist hoffnungslos verwoben mit systemd, und systemd ist ein Projekt, das aktiv versucht den existierenden Linuxdesktop zugunsten einer Monokultur zu zerstören. Nun war Ubuntu sowieso schon auf diesen Zug aufgesprungen - und ich daher auf meinem Hauptsystem kein Ubuntu-Nutzer mehr. Doch hatte ein eigenständiges Ubuntu mit Unity und Konvergenz und Mir wenigstens noch die Chance, eigene Agendapunkte zu setzen, im Fall der Fälle upstart zu reaktivieren oder ein anderen Initsystem zu verwenden, oder den Desktop ganz auswechseln, gar den Zukunfts-PC zu erfinden.
All diese Möglichkeiten hat Ubuntu jetzt nur noch sehr begrenzt - und vor allem hat das Projekt klar gemacht, dass es diesen Anspruch aufgibt. Ubuntu ist jetzt nur noch eine Distribution wie die anderen.
Dirks Logbuch am : Linkdump 15/2017 ...
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