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Die Argumentation im Video ist nicht unbedingt neu, wenn man etwas im Thema ist. Aber gerade deswegen ist es ein anschauliches Beispiel für Planungsfehler, die möglicherweise dem Spiel geschadet haben.
Vorab: Sie ist auch kritisierbar. Ein Spiel wie Cyberpunk kann man nicht von Anfang an in einem veröffentlichbaren Zustand halten. Auch die verlinkte Präsentation zu Sea of Thieves ist da kein echtes Gegenargument, da wurde dieses Entwicklungsmodell nur teilweise adoptiert (immerhin!), und das Spiel ist viel kleiner und war am Ende wohl auch nicht besonders gut. Das geht mit Werkzeugen, bei denen schon ein kleiner Teil des geplanten nützlich wäre. Vielleicht bei Spielen mit einer sehr simplen Grafik, Mechanik und Frust-Spaß-Schleife (dass die bei Sea of Thieves zu simpel ist war in Tests der größte Kritikpunkt). Aber es geht nicht mit storygetriebenen echten AAA-Spielen, die bei ihrer Vollständigkeit eine hohe Messlatte erreichen müssen um auch nur ein bisschen spaßig zu sein.
Außerdem hatte CD Projekt ja ursprünglich kein Releasedatum genannt, ist also anfangs der im Video vertretenen Theorie gefolgt. Das war sicher eben um flexibel sein zu können. Interessant wäre eher ein Blick auf die Dynamik, die das Entwicklerstudio trotz dieses Starts zum verfrühten und auf alten Konsolen wohl nahezu ungetesten Release verleiteten. Alternativen gab es nicht viele, die angesprochene, nur auf den alten oder neuen Konsolen zu veröffentlichen, war in dem Moment keine Option mehr als einmal etwas anderes angekündigt worden war, auch ohne die Ankündigung wäre es nach dem Release der neuen Konsolen nicht machbar gewesen. Denn: Zu wenige Leute haben die neuen Konsolen bereits, aber die neuen nicht zu beliefern wäre für jedes AAA-Spiel ein PR-Desaster. Tatsächlich war die veröffentlichte Version auch die, die auf die Last-Gen-Konsolen zugeschnitten sein sollte. Was wirklich schiefging werden erst später gute Reportagen wie der zu Andromeda erklären können, bis jetzt gibt es nur Erklärungsansätze.
Die Argumentation des Youtubers ist also völlig daneben. Faszinierenderweise ist sie gleichzeitig völlig richtig. Denn die Grundargumentation im Video passt. Zumindest im letzten Jahr der Entwicklung sind die Entwickler nach allem was bekannt ist genau in die beschriebene Planungsfalle gelaufen. Gleichzeitig einen festen (fast, einmal wurde es ja nochmal verschoben) Termin treffen zu wollen ohne das Spiel nach all den Trailern deutlich verschlanken zu können war keine gewinnbare Situation. Entwicklerteams vergrößern ist, richtig, keine Hilfe. Da ging also etwas wie vom Youtuber beschrieben komplett schief. Das zeigt der Crunch: Scheinbar wurde wider besseren Wissens gehofft, Entwickler länger als 4 bis 5 Tage lange Stunden arbeiten zu lassen verkürze die Entwicklungszeit. Eine Verzweiflungsentscheidung, die offensichtlich verkehrt ist, denn ausgebrannte Entwickler werden höchstens grantig aber keinesfalls schneller. Das weiß eigentlich jeder, es trotzdem zu versuchen ist genau das kritisierte Wunschdenken.
Wenn das anfängliche Scheitern Cyberpunks dazu führt, dass mehr Firmen die Unsinnigkeit von Crunchentwicklung erkennen, hätte das ganze nochmal was gutes.