Ein 3D-Rollenspiel von Obsidian, den Machern von Fallout: New Vegas, mit größerem Budget und mehr Entwicklungszeit sollte großartig sein. Auf dem Papier bietet The Outer Worlds alles, was man von einem solchen tollen RPG erwarten würde, seit Juli sogar eine grafisch verbesserte Version mit allen Erweiterungen:
Aber allen vorhandenen Stärken zum Trotz ist The Outer Worlds einfach nicht richtig gelungen.
Weltenrettung in den Kolonien
Du bist frisch aufgetaut – von einem als Terrorist gejagten Forscher. Der Kolonieschiff Hope dümpelt seit 70 Jahren nahe des Halcyonsystems herum, der diese Kolonie kontrollierende ultra-kapitalistische Vorstand hat sich gegen ein Aufwecken der Kolonisten entschieden. Davon warst du einer. Direkt nach dem Aufwachen geht es auf den ersten Planeten. Von dort wird ein Generatorteil gebraucht, die von der Firma Spacer's Choice kontrollierte nahe Siedlung hat einige Probleme. Und schon stehen Entscheidungen an: Hilft man ihr? Oder den Dissidenten? Nimmt man die Begleiter mit und vereinfacht sich so die Kämpfe, oder soll das Spiel alleine bestritten werden (was ein paar stärkende Perks aktiviert)?
Wie auch immer man sich entscheidet, danach wird es mit dem eigenen Raumschiff zum nächsten Ort im Sonnensystem gehen. Und die Story sich weiterentwickeln.
Dabei dreht sich immer viel um den Vorstand und die Firmen. Bei ihnen und ihren Gegenfraktionen wird Ansehen gewonnen oder verloren, sie kontrollieren die Kolonie. Dabei sind die Firmen, bis auf eine Ausnahme, alle Abziehbilder kapitalistischer Dystopien. Arbeiterrechte gibt es nicht, natürlich wird für den Projekterfolg über Leichen gegangen, 100%ige Loyalität wird gefordert und nicht belohnt. Verbunden wird das mit einem absurden Humor wie beim Mondkopfmaskottchen visualisiert und im Trailer angedeutet. Dieser Humor zieht sich durch das Spiel, ohne je wirklich lustig zu sein ist er mehr eine Einfärbung der Spielwelt.
Einfache Kämpfe im eigenen Rollenspielsystem
Überall gibt es Gegner. Monster, Roboter, Banditen oder Firmenschergen, sie alle sind mit Nah- oder Fernkampfwaffen zu besiegen, können manchmal alternativ umschlichen werden. Das spielt sich als ein Shooter in der Egoperspektive. Anfangs sind die Kämpfe nicht einfach. Mit den bis zu zwei Begleitern (von insgesamt sechs) und bei konsequentem Bestreiten von Nebenmissionen und entsprechendem Aufleveln werden sie es aber, auch auf dem härteren Schwierigkeitsgrad (der jederzeit im Spiel gewechselt werden kann) sind die immer KI-losen Gegner dann kein Problem mehr. Verstärkt wird das durch die integrierten Erweiterungen, nach ihnen ist das Finale des Hauptspiels ein Spaziergang.
Die verschiedenen Waffen fühlen sich dabei allesamt nicht übermäßig gut an. Es gibt immerhin sofort treffende und welche mit fliegenden Energieprojektilen, Flammenwerfer und verschiedene Nahkampfwaffen, einige können aufgerüstet werden – auch mit Elementeffekten, die dann bei verschiedenen Gegnertypen unterschiedlich gut wirken. Wichtig ist aber eigentlich nur der Schadenswert – hat der Gegner viel Rüstung, sind Waffen mit einem hohen Schaden pro Schuss nützlicher, ansonsten zählt der Schaden pro Sekunde, gelegentlich verstärkt oder negiert vom Elementtyp. Aber dafür lassen sich problemlos vier verschiedene ausrüsten. Richtig fühlbaren Wumms hat keine der Waffen, Granaten gibt es nicht, Deckung spielt keine Rolle. Auflockerung kommt nur durch die per Tastendruck auslösbaren Spezialangriffe der Begleiter und durch den an Fallouts VATS angelehnten Zeitlupenmodus.
Für die eigene Verteidigung gib es Körperrüstung und (ausblendbarere) Helme. Zusätzlich zum Rüstungswert können die auch Fähigkeiten verbessern (und manchmal verschlechtern), auch hier sind viele wieder mit Modifikationen aufrüstbar. Grafisch sehen die Rüstungen zudem oft ziemlich gut aus.
Kämpfe und gelöste Quests bringen Erfahrungspunkte. Bei der Charaktererstellung wurden die Attribute gewählt, die etwas anders heißen als üblich. Fähigkeiten lassen sich dann bei jedem Levelaufstieg weiter steigern. Alle zwei Level gibt es einen Perk zur Auswahl. Die sind nicht spielentscheidend, aber teils praktisch, wie das höhere Gewichtslimit für das Inventar.
Entscheidungen, Skillchecks
The Outer Worlds übernimmt viele positive Eigenschaften früherer Obsidian-Spiele. So sind die Gespräche wieder ein wichtiger Teil des Spiels, die zudem von guten Sprechern voll vertont sind, nur der Hauptcharakter bleibt stumm. In den Gesprächen gilt es viele Entscheidungen zu treffen, die dann auch sichtbare Auswirkungen auf die Spielwelt haben. Versöhnt man z.B. zwei Fraktionen auf einem Planeten, sind in der Hauptsiedlung dann eben Soldaten beider Fraktionen vertreten.
Auch spielen in viele Entscheidungen vorherige Aktionen rein und schalten die eigenen Attribute und Fähigkeiten neue Optionen frei. Der Klassiker: Mit einem hohen Einschüchternwert lassen mich die Banditen kampflos durch ihren Schiffsabschnitt, alternativ funktioniert auch Lügen oder Überzeugen. Habe ich am Terminal Gegenteiliges gelesen, kann ich das dem lügenden Gesprächspartner an den Kopf werfen. Zudem schalten desöfteren Konsequenzen in Nebenmissionen neue Lösungen in ganz anderen Missionen frei, wie die oben erwähnte Versöhnung zweier Fraktionen.
Diese mögliche Einflussnahme auf die Welt war es, was FNV so reizvoll machte, generell viele Spiele des Genres auszeichnet.
Die Story macht es sich zu einfach
Dass die Einflussnahme hier nicht richtig funktioniert ist gar nicht so einfach zu erklären. Aber ein klarer Faktor ist die Zeichnung der Fraktionen. Das Spiel verwendet sehr viel Zeit, die Firmen als furchtbare Ungeheuer zu beschreiben. Immer wieder verheizen sie Arbeiter grundlos, lassen die Firmen sie gestrandet auf lebensfeindlichen Planeten verhungern, schreiben Vorgesetzte in Terminals darüber, wie alle Arbeiter bei Projektmisserfolg getötet werden sollen, lassen sie nur für einen vorgetäuschten Projektfortschritt unfertige, bekannt todbringende Medikamente Sklaven spritzen. Die Schreiber haben sich in ihrer überzeichneten Kapitalismuskritik so richtig ausgetobt. Es sei ihnen gegönnt, machte sicher Spaß, nur: Wenn alles absurd ist wird alles generisch, unbedeutend, blass. Und es verbaut den meisten Entscheidungen jedweden Reiz.
Natürlich werde ich als Spieler nicht solche verräterischen Firmen unterstützen. Das ist nichtmal eigene Ethik, es wird vom Spiel eindeutig als der schlechte Weg gezeichnet, nicht nur moralisch böse, sondern auch nicht im eigenen Interesse. Genauso natürlich unterstütze ich nicht den Vorstand, wenn mir in einer (immerhin optionalen, aber prominenten) Nebenmission verraten wird, dass dessen vermeintliches Frühverrentnungsprogramm in Wirklichkeit eine Nazi-Vernichtungskammer ist. Und das ist an dem Punkt nichtmal überraschend.
Für wirkungsvolle Entscheidungen braucht es Grautöne, ein Für und Wider. An den meisten Stellen hat The Outer Worlds das vergessen.
Wo ist die Konsistenz, warum all das Loot?
Ebenso braucht es eine glaubwürdige Welt, damit Handeln in ihr reizvoll sein kann. Diese Welt gibt es hier aber nicht. The Outer Worlds schafft es, eine Hotelküche zu zeichnen, in der die Angestellten gemütlich sitzen, reden und essen. In den Kabinen zwei Meter weiter liegen mehrere Leichen, in den Gängen aggressives Getier. Vor dem Hotel greifen Verwirrte und Monster alles an was sich bewegt, die ebenfalls dort herumstehenden Hotelgäste sterben zwar zwischendurch (es gibt also NPC-Kampfinteraktionen), kommentieren das aber nicht weiter. Auch alle anderen NPCs tun so, als sei alles normal. Gut, das beschriebene entstammt einer der Erweiterungen, wo das Problem besonders durchschlägt. Aber auch die Gebiete im Hauptspiel wirken seltenst glaubwürdig.
Ebenso unpassend ist der Umgang mit Loot. Davon gibt es schlicht viel zu viel. Das Leveldesign ist gestaltet als sei es ein Lootshooter wie Borderlands. In den abertausenden Containern gibt es aber kaum brauchbare Ausrüstung, denn anders als in Borderlands gibt es eben keine zufällige Wertegenierung der Gegenstände mit lohnenswerten Ausreißern nach oben, sondern finde ich die immer gleichen Waffen und Rüstungen. Gelegentlich gibt es einzigartige Varianten, aber die meisten davon sind schwächer als reguläre Ausrüstung und nicht ebenso modifizierbar. Im Ergebnis wird das Spielen ermüdend, wenn der tausendste Container schon wieder im Grunde nur Munition und ein bisschen Geld bietet, aber zehntausend Schuss auf Lager sind und Geld generell nicht gebraucht wird. Der einzige Effekt ist ein Zumüllen des begrenzt aufnahmefähigen Inventars.
Natürlich spielt da mit rein, dass die Kämpfe zu einfach sind. Entsprechend braucht man die Heilungsgegenstände und Buffs nicht, ist das Optimieren der Ausrüstung im Detail unnötig. Oft braucht es nichtmal Munition, erledigen doch die Begleiter ohne Munitionsverbrauch die Gegner, nur gelegentlich brauchen sie dabei Unterstützung. Genauso braucht es deswegen keine große Investition in die Waffenfähigkeiten – haben die Gesprächsfähigkeiten doch auch mindestens ebenso praktische Auswirkungen auf die Kämpfe, wie bei Treffern Gegner angsterfüllt einfrieren zu lassen.
Grafische Stärken, Performanceschwächen
Bei aller Kritik soll eine weitere Stärke des Spiels nicht verschwiegen werden: Es sieht nicht schlecht aus. Die nun überarbeitete Version gefällt mir grafisch, viele schöne Szenen werden gezeichnet, ohne wie Fallout in den Ruinen im Detail grau, eintönig und detailarm zu sein. Gerade auch die NPCs sehen gut aus (auch wenn man die Mimik sicher schonmal besser gesehen hat), besonders wichtig bei solch einem Spiel. Die Performance passte auch, mit einer Einschränkung: Die nun nachträglich hinzugefügte Option "Screen Space Global Illumination" lässt die FPS in den Keller rauschen, sie gehört deaktiviert. Ich wäre davon ausgegangen, dass das eine spezielle Inkompatibilität mit Proton unter Linux ist, fand den negativen Einfluss auf die Performance aber auch von anderen Spielern bestätigt.
Da auch die Ausrüstungsgegenstände gut aussehen ist es schade, wie sich die Designer da Arbeit gespart haben. Viele der Waffen gibt es in mehreren, stärker werdenden Versionen. Die sehen aber alle komplett identisch aus, eine Spacer's Choice Pistole Mark 1 ist grafisch identisch zu einer Mark 3. Da hätte ich mir mehr erhofft.
Sich mehr erhofft zu haben beschreibt das Spiel im Ganzen. The Outer Worlds hat eigentlich wirklich alles, was ein tolles Rollenspiel auszeichnet. Und doch überzeugen die Stärken nicht, werden sie zu oft durch gravierende Schwächen verhunzt. Was ich wahrscheinlich eher verzeihen könnte, wenn die Messlatte durch die anderen Spiele – und teils eben, durch die anderen Obsidian-Rollenspiele – nicht so hoch gehängt worden wäre. Trotzdem sind da die vielen Entscheidungen, ein nicht verkehrtes Rollenspielsystem mit Attributen, Fähigkeiten und Perks, meist interessante Begleiter, die alle das Geschehen gewinnend kommentieren. Und natürlich ist das Ende besser als in Mass Effect 3, gibt es anders als in Bethesda-Fallouts ein ordentliches Outro.
Das alles lässt mich ein bisschen ratlos zurück. Manchmal geht die Mischung eben schief? Ist es so einfach, oder hat etwas spezifisches zu diesem Scheitern geführt?
Egal woran es lag: The Outer Worlds ist spielbar, hat seine Qualitäten und es wird vielen Leuten auch Spaß bringen. Als Blaupause für Entwickler künftige Spiele ist es super. Ich würde aber Spieler im Zweifel meist zu einem anderen Rollenspiel raten. Selbst bei einer Beschränkung auf RPG-Shooter in der Egoperspektive: Cyberpunk 2077 ist in allen Bereichen besser, Fallout: New Vegas machte schon vor über zehn Jahren Konsequenzen und Spielwelt überzeugender, Fallout 4 hat trotz allen Schwächen beim Rollenspiel die spaßigeren Kämpfe und trotz den misslungenen Fraktionen eine motivierendere Story.
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