Torment: Tides of Numenera ist ein echtes Rollenspiel
Monday, 6. August 2018
Ich habe Planescape: Torment vor vielen Jahren durchgespielt, nachdem ich mich von der Idee verabschiedet hatte, ausgerechnet dieses textlastige Spiel als Übung auf Französisch zu spielen. Ich erinnere mich vage an die Story um den namenlosen Unsterblichen, an den fliegenden Skelettschädel. In meiner Erinnerung war das Kampfsystem schwach, es gab wirklich sehr viele Text, ich hörte nebenbei Metal und die Geschichte in diesem sehr anderem Universum war irritierend, besonders das Ende.
Torment: Tides of Numenera ist ein spiritueller Nachfolger zu Planescape: Torment. Hat der Nachfolger schon einen sehr seltsamen Namen, stiftet noch etwas zur Verwirrung bei: Fast gleichzeitig mit dem spirituellen Nachfolger wurde der Vorgänger in einer überarbeiteten Version neu aufgelegt. Sehr viel Interesse also für dieses alte Rollenspiel, das zwar als eines der Genregrößen gilt, aber schon damals verwirrend und wenig zugänglich war. Und doch ist es wohl eine der besseren Vorlagen für diese Renaissance der Computer-Rollenspiele.
Tides of Numeneria nimmt viel von dem Vorgänger auf. Der Hauptcharakter ist kein gewöhnlicher Spielecharakter, die Begleiter sind etwas absurder als in anderen Rollenspielen, es gibt mehr Texte und Entscheidungen als üblich. Besonders aber ist es eben noch ein Spiel alter Schule: Praktisch 2D und so weit wie möglich entfernt von den actionlastigen modernen RPGs wie Mass Effect.
Wieder ist der Spielercharakter ein Gotteskind und beginnt ohne Erinnerung, nachdem er (oder sie) gestorben ist. Diesmal aber stürzte er vom Himmel. Man begegnet nach dem Aufwachen direkt zwei möglichen Begleitern und startet mit dem ersten Quest im Logbuch.
Typisch für das Spiel ist die Folgesituation: Schatzsucher kommen angerannt, angelockt vom Himmelssturz. Die kann man nun im rundenbasierten Kampf ausschalten, dabei die in der Umgebung verteilten Artefakte nutzen. Alternativ lügt man sie an, überzeugt sie so, dass der Schatz in einem anderen Bereich der Karte ist. Oder man schüchtert sie ein. Für diese Gesprächsfähigkeiten können die drei Fähigkeitspools – Macht, Geschwindigkeit, Intelligenz – genutzt werden, die sich so aber auch bis zur nächsten Rast verbrauchen. Auch in Kämpfen werden diese Pools benutzt, selbst zum Aufladen normaler Schläge, man sollte also gut haushalten.
Das Verhalten in Gesprächen bestimmt auch das Karma. Da gibt es nicht gut oder böse, sondern mehrere farbkodierte Ausprägungen, von denen zwei zugleich aktiv sein können. So steht Gold für Selbstlosigkeit, Silber für Standesbewusstsein, Blau für Interesse an Wissen. Auf dieses Karma reagieren die anderen Menschen und es gibt einen Begleiter, der sogar darüber Boni auswählt. Zudem können in manchen Gesprächen bestimmte Optionen nur Dank des richtigen aktiven Karmas gewählt werden. Doch leider erklärt das Spiel das Karmasystem schlecht und zeigt nur selten seinen Einfluss, wodurch die Funktion schwächer ausgebaut wirkt als sie eigentlich ist.
Es ist ein echtes Rollenspiel, also gibt es Erfahrungspunkte und Levelaufstiege. So kann der Charakter stark spezialisiert werden, auf Kampffertigkeiten oder einem defensiverem Spielstil. Das entscheidet auch mit welchem Fähigkeitspool er hauptsächlich arbeitet. Kämpfe können oft vermieden werden, ich glaube aber nicht immer; das zu widerlegen und pazifistisch zu spielen wäre vielleicht eine interessante Herausforderung.
Typisch: Es gibt ein Artefakt, mit dem Gedanken lesbar werden und so andere Gesprächsoptionen möglich sind. Versteckt ist das im letzten Spielabschnitt bei einem einzigen Händler. In einem normaleren Rollenspiel wäre so etwas Teil der regulären Fähigkeiten, man denke an den Gesprächsanalysator per Implantat in Deus Ex: Human Revolution. Numenera dagegen versteckt so etwas zum Spielende in einem abgelegenen Winkel. Auch andere Boni sind immer wieder in der Spielwelt verteilt, gerade Attributssteigerungen nicht auf das Aufleveln beschränkt. Das ist so seltsam irregulär wie der Vorgänger und lockert das Spiel auf, macht es aber auch nicht gerade zugänglicher.
Die Hauptstory hat mir gut gefallen. Ohne zuviel verraten zu wollen: Der vermeintliche Schöpfer des Protagonisten spielt noch eine wichtige Rolle und es gilt große Entscheidungen zu treffen, welche die ganze Welt beeinflussen werden. Diese Geschichte wird direkt am Anfang eingeführt und verliert sich auch nicht im Spielverlauf. In der Hinsicht ähnelt es Pillars of Eternity, mit dessen Engine das Spiel auch umgesetzt wurde. Leider teilt es sich dabei dessen Problem: Für eine so episch angelegte Story sind die 26 Stunden Spielzeit zu kurz. Zu dem Zeitpunkt lebt der Spieler noch nicht völlig in dieser Welt. Wobei Numenera doch sehr viel richtig macht, um den Spieler trotz der relativen Kürze so stark wie möglich in die Spielwelt eintauchen zu lassen.
Ein Teil davon und sehr schön gelungen sind manche der Nebenquests und auch die Hintergrundgeschichten der Begleiter. Eine will ich teilweise erzählen: Die von Erritis. Den von einem goldenen Schimmer umgebene Kämpfer findet man in der Stadt neben einem abgestürzten Luftschiff, was absolute Verwunderung auslöst, denn die Dinger seien nahezu unmöglich zum Absturz zu bringen. Erritis stürzt sich in jeden Kampf, aber was die Realität und was Gefahren sind scheint er nicht zu überblicken. In mehreren Situationen kann er den Tod der Gruppe verursachen, in dem er die dümmstmöglichste Aktion wählt, dann muss man neu Laden. Er scheint von etwas getrieben zu sein, wovon wird man natürlich wird im Laufe der Geschichte erfahren.
Numenera lebt auch von solchen Geschichten und von seiner ungewöhnlichen Hintergrundgeschichte. Die Welt ist nicht einfach eine magische, sondern eigentlich eine SciFi-Welt. In der aber sind so viele Zivilisationen vergangen, dass die verbliebenen Artefakte wie Magie wirken – und es gibt auch Effekte, die im Kanon der Welt magisch sind, nicht technisch, aber oft ist das gar nicht klar entscheidbar. Die Spielwelt ist über diesen riesigen Hintergrund von vielen vergangenen und auch parallel noch bestehenden Zivilisationen aufgebaut, was viele ungewöhnliche Szenarien erlaubt. Das Spiel hat so angenehmerweise keinen Grund, auf die Klischees der Hochfantasie mit edlen Elfen in Wäldern und bösen Orks zurückzugreifen.
Ich habe Tides of Numenera sehr gerne gespielt. Vielleicht spiele ich es sogar nochmal, um die Auswirkungen alternativer Handlungen zu sehen. Die Linuxversion lief an sich hervorragend, nur der Sound hatte ein Knattern, das scheint aber kein übliches Problem zu sein. Die Karten sehen wieder hübsch aus und es ist ein fesselndes Rollenspiel geworden, das sehr viele verschiedene Möglichkeiten bietet. Selbst die Kämpfe fand ich gut gelungen, sie sind gewinnbar und doch fordernd, mit den Fähigkeiten der Charakteren sind sie kein stumpfes Hauen und Stechen, aber es wird auch nicht übermäßig komplex.
Ich verstehe aber auch, dass Tides of Numenera nicht jedem gefallen kann: Zu absonderlich ist die Welt, zu altbacken der Spielablauf, und wie bei Pillars of Eternity fehlt da noch etwas, um die Großen des Genres zu erreichen. Aber keinesfalls ist es schlecht. Es sei hiermit jedem empfohlen, der gerne noch ein neues klassisches Computer-Rollenspiel erleben will. Diesmal in einem etwas anderen Universum.
onli blogging am : Baldur's Gate Enhanced Edition
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