Wasteland 3
Monday, 24. July 2023
Wasteland 3 ist mehr als eine kleine Verbesserung des Vorgängers.
Ein eisiges Szenario
Im dritten Teil der Wasteland-Reihe geht es ins schneebedeckte Colorado. Dem Schauplatzwechsel zum Trotz sind wir wieder Ranger aus Arizona, aus der gleichen Gruppierung wie im zweiten Teil. Der Colorado beherrschende Patriarch hat die Ranger zu sich gerufen, als Gegenleistung für unsere Unterstützung werde er dringend benötigte Nahrungsvorräte nach Arizona senden und so die Ranger dort retten. Scheinbar ist nicht das beste Ende des Vorgängers der offizielle Ausgang der Geschichte geworden, sonst wäre das nicht nötig.
Der Patriarch will, dass wir seine drei Kinder einsammeln. Die haben sich selbständig gemacht und bedrohen seine Herrschaft. Aber Wasteland ist ein (kampflastiges) Rollenspiel – es wird durch die Gesprächsoptionen direkt klar, dass es Alternativen zu diesem Vorgehen gibt. Und dass es neben dieser Hauptquest auch Nebenmissionen geben wird, wie immer in solchen Spielen.
Charakterbau und Kämpfe
Doch erstmal müssen die eigenen Ranger erschaffen oder gewählt werden. Wie zuvor gibt es dabei Attribute, Fähigkeiten und Perks, die bei Levelaufstiegen gesteigert bzw gewählt werden können. Dazu kommen nur zu Beginn wählbare Hintergründe und Spezialeigenschaften, die mehr oder weniger große Auswirkungen haben können. Die Komplexität des Systems wurde also erfreulicherweise nicht verringert, wobei sich die Perks verändert haben und das Interface für das alles hübscher geworden ist.
Vier Ranger können so erschaffen werden, zwei weitere sind immer vorgefertigte Begleiter mit eigenem Charakter, die auch schön die Story kommentieren. Beispielsweise wird einem zu Beginn ein Cowboymädchen über den Weg laufen, das mit ihrem eigenen Revolver gut austeilen kann (aber wenig aushält) und zu den mit dem Patriarchen verbündeten 100 Familien Colorados gehört. Klar, dass auch sie beleidigt wäre, würden die Ranger sich irgendwie gegen den Herrscher stellen.
Die so erschaffene Gruppe wird sich im Spiel erstmal sehr vielen Kämpfen stellen. Manche Kämpfe können durch die richtigen Gesprächsoptionen vermieden werden, wenn die Rangergruppe denn die richtigen Gesprächsfähigkeiten hat, viele nicht. Das ist gut so, denn das Kampfsystem ist wieder gelungen. Deckung muss wie in XCOM genutzt werden, Angriffe haben eine angezeigte Trefferwahrscheinlichkeit. Nah- und Fernkämpfer sind möglich, Ranger können Gegenstände (wie Granaten oder Heildarts) einsetzen, über Perks und Ausrüstungsgegenstände kommen AP-verbrauchende Fähigkeiten hinzu. Die Waffen und Rüstungsvielfalt ist wie die Gegnervielfalt erfreulich, die Gegner in den Kämpfen auch nicht übermäßig dumm. Sind da Roboter und Tiere dabei, können Ranger mit den richtigen Fähigkeiten diese hacken bzw zähmen und auf die anderen Gegner schicken, Mechaniker Generatoren für automatisierte Gewehrtürme abschalten, sowas sorgt für Abwechslung. Und ab und an gibt es sogar Bosskämpfe.
Große Verbesserungen bei der Inszenierung
Diese Bosskämpfe sind dabei nicht besonders häufig. Aber das Spiel wertet sie durch ihre Inszenierung enorm auf. Besonders ein möglicher Kampf rund um eine Präsidentenroboterstatue hatte es mir angetan, als plötzlich ein zynisch Amerika lobpreisendes Lied erklang. Musikuntermalung für besondere Szenen, auch noch speziell für das Spiel produzierte Lieder, damit hatte ich nicht gerechnet. Ganz besonders nicht bei einem Nachfolger zu dem doch eher sprödem Wasteland 2.
Ähnlich überraschend sind manche ersten Gesprächen mit ein paar der Kernfiguren, bei denen sie auf einmal in einer Nahansicht zu sehen sind. Das erinnert an Fallout 1 und 2, bei denen die Köpfe mancher NPCs ähnlich in Szene gesetzt werden, ist hier jedoch etwas hübscher und bezieht mehr vom Körper mit ein.
Hübscher sind auch die Ausrüstungsgegenstände, die angelegt natürlich auch außerhalb der Inventargrafik an den nochmal weniger fitzeligen Rangern zu sehen sind. Und die oft originellen Umgebungen, die aufwändiger und visuell professioneller in einer neuen Engine gestaltet wurden. Krass ist der Sprung auf der Weltkarte, die mit dem gezeigten Ranger-Fahrzeug und den verschiedenen Gebäuden eben nicht mehr eine abstrahierende Karte ist, sondern wie echt durchreisbares Umland wirkt.
Verbliebene Schwachstellen
Wobei man da einschränken muss: So ziemlich direkt nach Cyberpunk gespielt ist die Grafik doch etwas enttäuschend. Wasteland 3 mag mindestens zehnmal besser als Wasteland 2 aussehen, das macht es immer noch nicht zu einem grafisch beeindruckendem Spiel, auch nicht auf höchsten Einstellungen. Dafür fehlt es an Texturqualität, am Einsatz von Effekten, an bewegten Elementen in den Einsatzgebieten.
Die Musikstücke sind auch deswegen so eindrucksvoll, weil sie so selten sind. Die reguläre Spielmusik ist mehr als kompetent, aber sie hat natürlich nicht den Effekt der im passenden Moment gesungenen Lieder. Das bedeutet, dass der Kniff mit den (auch noch tollen) Liedern zwar zieht, aber auch nicht das Kerngefühl des Spielens wiedergibt. Dafür sind sie eben zu selten.
Und die Gespräche: Bei Fallout zeigte dann jedes Gespräch mit den entsprechenden NPCs ihr Gesicht in einer Renderansicht. Wasteland 3 macht das 20 Jahre später schlechter, indem nur das erste Gespräch mit einer Handvoll von NPCs inszeniert wird. Die nächsten mit dem Patriarch z.B. sind dann wieder normale Textboxen. Das schmälert den Effekt dieser Idee wieder, wie auch Gestik und vor allem die Mimik in den Gesprächen wesentlich besser sein könnten. Die Augen wirkten teils glatt verbuggt. So wie auch das Erkennen von Fallen durch Wände und geschlossene Türen im Spiel enthaltene Bugs sind, oder dass einer meiner Ranger einen eigentlich hinter einer Absperrung unerreichbaren Computer bedienen konnte, das Radio einmal nach einem eingegangenem Funkspruch nicht verschwinden wollte, ein Ranger nach einem Kampf nicht aus dem Kampfzustand herauskonnte (ich musste neu laden). Manches davon mag an der Linuxvariante des Spiels gelegen haben, aber so oder so fehlte es da noch an Feinschliff.
Und das führt direkt passend zum Fazit. Wasteland 3 hat wesentlich mehr Feinschliff gesehen als der Vorgänger. Man merkt es an allen Ecken und Enden. Von den Charakterporträts über die noch originelleren Schauplätze hin zu eigens produziertem Songs zur Inszenierung von Schlüsselszenen. Aber an manchen Stellen merkt man eben doch die bescheidenere Herkunft des Spiels, wie wenn die Egoperspektiven-Inszenierung von Kernfiguren dann nicht durchgehalten wird, auch der Ansatz schlicht zu selten genutzt wird. Da aber der Kern des Spiels toll ist – mit seinen guten Kämpfen, der Entscheidungsfreiheit in den Quests samt dem Fokus des Spiels auf die Auswirkungen, der Fallout-artigen Welt, dem Spaß am Ausrüsten und Aufleveln der Ranger – macht das nicht viel.
Wasteland 3 ist eines der ganz großen Spiele seines Genres. Es atmet den Geist der beiden originalen Fallout-Spiele, macht vieles sogar besser als die beiden es damals konnten, ist aber auch unabhängig von der Falloutperspektive schlicht ein tolles Rollenspiel geworden.
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