20 Jahre, so lange dürfte die erste LAN-Party her sein, die ich damals im Freundeskreis in der Kleinstadt gefeiert habe. Die Nullerjahre also und deswegen das "spät" im Titel: Es ist zwar eine Weile her, aber die frühen LANs dürften ganz andere Probleme gehabt haben. Unsere war eine Endzeit – Breitbandinternet kam damals sogar nach Deutschland und zu uns. Auf den ersten LANs gab es bei uns meiner Erinnerung nach gar kein Internet, auf den späteren wurde zwischendurch etwas heruntergeladen, etwa vier Jahre später verlagerte sich das gemeinsame Spielen völlig ins Internet. Selten in der gleichen großen Gruppe, aber wenn zusammengespielt wurde war es danach vom eigenen Zuhause aus, mit viel geringerem Aufwand. Aber auch mit etwas Verlust.
War das wirklich eine Periode von nur etwa 4 Jahren, von 2003 bis 2007? Dass mein erster eigener PC einen Athlon XP 2700+ hatte, der 2002 raus kam, spricht für 2003 als Beginn. Und es kann nicht viel länger gewesen sein: Es war in der Schulzeit, bevor ich wegen der Uni nach Darmstadt zog. Ganz exakt ist das aber nicht, es gab danach noch die eine oder andere LAN mit anderen Leuten. Und möglich, dass etwas vorher schonmal eine LAN mit dem vereinnahmten Familien-PC bestritten wurde. Aber 2003 bis 2007 müsste die Kernzeit gewesen sein.
Organisation geschleppter Monitore
An vier Orte erinnere ich mich: Das Haus von B., der Keller von D., zwei Wohnungen von mir. Mit einer Ausnahme fanden die LANs statt, wenn die Eltern am jeweiligen Ort nicht da waren. LANs waren aufsichtsfreie Zonen, wobei die Eltern gerade anfangs natürlich vorher gebraucht wurden, um das schwere Gerät zum jeweiligen Ort zu fahren (nicht immer, manchmal wurde alles geschleppt, manche von uns wohnten in Laufreichweite). Die PCs waren schwer, die Röhrenmonitore waren schwerer. Wir bauten also daheim PC und Monitor ab. Maus, Tastatur und Kopfhörer (der war aber beileibe nicht Standard, glaube ich) kam in den Rucksack, das Netzwerkkabel durfte nicht vergessen werden, die anderen Kabel auch nicht, die oft vergessene Mehrfachsteckdose war besser dabei, wer hatte packte noch einen Switch ein. Am Ende ging das recht routiniert. War aber natürlich der große Vorteil, wenn die LAN bei mir war, dann gab es für mich nichts zu schleppen, nichts zu vergessen.
Dann wurden wo immer möglich die Computer wieder aufgebaut. Küchentische, Schreibtische, Wohnzimmertische – sie alle wurden belegt. Nicht alle dieser Orte waren komfortabel. Wenn man bedenkt, wie riesig die Monitore waren und wieviel Platz Tastatur und Maus verbraucht wird auch klar, dass wir selten mehr als zehn gewesen sein können. Vielleicht außer bei B., das mehrstöckige Haus bot viel Platz. Jeder brauchte mindestens zwei Steckdosen, deswegen die Mehrfachsteckdosen, die mit einem Ausschalter waren Fallen und schalteten mehr als einmal versehentlich reihenweise PCs ab. Mit den Switches und Netzwerkkabeln wurden die PCs dann verbunden.
Das Verbinden klappte nicht immer. Natürlich hatten wir damals Windows. Die meisten Windows XP, aber M. nutzte lange Windows 2000, D. litt unter dem unbrauchbaren Windows ME. Aber selbst Rechner mit Windows XP sahen sich manchmal einfach nicht im Netzwerk. Die IP-Adresse musste manuell zugewiesen werden, wir wussten, dass die ersten drei Sektionen der IP-Adresse gleich sein muss und die letzte sich nicht doppeln darf. Aber Windows XP hatte auch noch Arbeitsgruppen, die da irgendwie reinspielten. Dazu kamen die Zugriffsrechte, die Windows Netzwerken zuwies. Das alles zu konfigurieren fraß Zeit, wurde aber mit den Jahren besser (durch SP1 und SP2?). Und dann mussten ja noch die Spiele starten, sich ihre Multiplayermodi im Netzwerk sehen. Mehrfach klappte das nicht, wurde der PC neu installiert (wie es bei uns hieß, wenn Windows neu installiert wurde).
Die Spiele
Wo kamen die Spiele überhaupt her? Es waren natürlich anfangs meist Schwarzkopien. Niemals hätten wir uns alle alle Spiele kaufen können, nicht, dass wir es gedurft hätten: Viele unserer Spiele waren ab 18. Oder gar indiziert, wie Command & Conquer: Generals. Unreal Tournament 99 und 2003, Warcraft 3, StarCraft, Counterstrike (meist in Version 1.5) waren andere Kandidaten, dazu kam mindestens einmal Diablo 2, das auf einer kleineren LAN tatsächlich alle besaßen. Deutschlands Zensurwahn traf uns bei dieser Auswahl also voll. Ich habe noch heute einen Hass auf Deutschlands immer noch tätige Zensoren, zeigt unsere Erfahrung doch wie unbegründet die Ängste der Ahnungslosen waren, zum Glück auch wie ineffektiv ihre Kontrollversuche.
Irgendjemand hatte diese Spiele auf der Platte, gab seinen Ordner frei, die Leute zogen den Installer und installierten dann das Spiel. Im Ordner war meist direkt ein Keygen oder Crack mit dabei, je nach Spiel. Manchmal war das Spiel auch von der letzten LAN noch auf der Platte. Eher selten, Festplatten waren klein (meine erste: 80GB).
Das waren außer Diablo 2 daher Spiele, die zumindest ich damals fast nie außerhalb von LANs spielte. UT hatte ich wohl mal via dem Solomodus gegen Bots geübt, bei WC3 den Großteil der Kampagne gespielt. Von CS spielte ich später die Steamversion gelegentlich im Internet, nachdem mir die via Half-Life 2 geschenkt wurde, aber nicht davor. Da war also keine große Erfahrung mit Multiplayer. Das war aber nicht bei allen so, so war J. durch Spielen im Internet richtig gut in StarCraft – so gut, dass durch Training von ihm ein Ausflug ins Battle.net später eben nicht in Niederlage endete. Aber natürlich war es ein Problem, dass man in diesen Spielen ohne Übung wenig Chance gegen erfahrene Spieler hatte. Gekontert wurde das durch Allianzen, sodass dann alle anderen sich spontan gegen den besten Spieler verbündeten. Das führte manchmal zu den besten Spielen, aber manchmal auch zu den frustigsten, gerade für den im Fadenkreuz stehenden. Keine einfache Balance, gerade später nicht, als einzelne Spieler immer besser wurden, andere stehenblieben (so wie B., der trotz Riesentalent später außerhalb LANs höchstens Minispiele spielte).
Command & Conquer: Generals spielten wir auf einer großen Wüstenkarte. Später sogar mit der Erweiterung. Jeder wählte frei seine Fraktion, ich hielt mich gerne an die terroristische GLA, die mit Selbstmordbombern und zusammengebastelten Fahrzeugen etwas untypischer war als China mit seinen regulären Panzern und die USA mit ihren High-Tech-Flugzeugen. Leere Plätze wurde durch KI aufgefüllt. Gab es viele KI-Spieler, wurde es zu einer Art Tower-Defence: Die KI schickte permanent neue Einheiten auf immergleichen Routen an Klippen vorbei, da oben mussten unbedingt Türme und Raketenwerfer stehen. Gebaute Superwaffen mussten vor Ablauf des Timers zerstört werden. Ob mit eigenen Superwaffen oder mit den Generalsfähigkeiten, die bei der GLA z.B. einen Trupp Bomber an einer Stelle der Karte erscheinen lassen konnte. Ohne die KI wurde das ganze etwas flexibler, wurden die Armeen geschickter eingesetzt und gekontert. Aber wir spielten wohl meist mit der KI.
Generals lief auf dieser großen Karte leider nie lange flüssig. Manchmal lag das an einzelnen schwachen Rechnern, flog dieser Spieler dann raus war das gut, weil so der Lag aufhörte. Aber nicht immer, später las ich, dass das Spiel selbst einfach nicht mit großen Einheitenmengen umgehen konnte. Das Verlangsamen des Spielablaufs war unvermeidlich. Desynchs beendeten so einige Partien, die technischen Probleme versauerten uns das Spiel irgendwann.
Warcraft 3 war da anders: Technisch hatte das keine Probleme. Aber WC3 machte einigen im normalen Modus keinen Spaß. Ich denke, dass es zu frustrierend war: Die Skillunterschiede machten zu viel aus. Ohne Taktiken und Wissen über die Stärken und Schwächen der Einheiten hatte man in diesem Spiel keine Chance gegen bessere Spieler, anders als bei Generals, wo einigeln und Masse produzieren immer zumindest eine Weile ging. Also wurden eher Funmaps gespielt: Oft Tower-Defences, auch ein bestimmter Vorgänger von Defence of the Ancients und Abwandlungen davon. Also Karten, die Fans des Spiels gebaut hatten und die das Spiel teils komplett umkrempelten.
Das wiederum machte mir keinen Spaß, mir waren diese Maps oft zu unausgegoren. Gerade unserer DOTA-Variante nahm ich es übel, dass mein Baumheld kein Land sah. Aber auch die Tower-Defences arteten oft aus, sie dauerten lange und waren schlicht nicht immer gut.
Dann lieber ein Shooter wie Unreal Tournament und Counter Strike. Da erinnere ich mich kaum an Details. Sie wurden eben gespielt, auf verschiedenen Karten und Modi mit gemischten Teams. Skillunterschiede schlugen bei diesen Spielen natürlich voll durch, aber in langen Nächten hatten viele Spieler gute und schlechte Phasen. Wobei M. fast nie zu schlagen war. Zu lange konnte man diese Spiele nicht spielen, dafür waren sie zu anstrengend. CS 1.5 ist in diesem Video zu sehen, später wurde auch von uns 1.6 gespielt:
Bei StarCraft erinnere ich mich nicht an Funmaps. Sondern es wurden die regulären Multiplayerkarten gespielt. J. gewann, die Frage war nur wie. Ich erinnere mich an eines der letzten Spiele, als wir anderen endlich gut genug geworden waren ihn beinahe zu schlagen, bis er dann doch unsichtbare Einheiten erreichte und wir gegen die nicht ankamen, die sie enthüllenden Spezialeinheiten nicht parat hatten, er mühsam die große Welle an einströmenden Einheiten zerstörte und doch gewann. Da waren alle stolz auf ihre Leistung. Sowas war ein Erlebnis, ein Höhepunkt der Nacht.
Diablo 2 spielte ich nur einmal mit und habe es bis heute als negative Erfahrung im Kopf. So schnell wie möglich aufs Loot klicken, ohne Lesen einer einzelnen Zeile durch die Kampagne hetzen. Ich mochte D2 und hatte es vorher alleine gespielt, da macht es Spaß, mit einzelnen Leuten war es auch im Multiplayer okay, als LAN-Spiel fand ich es ungeeignet. Es bot einem nichts, was man nicht auch alleine hätte haben können, im Gegenteil, es wurde schlechter. Zeitverschwendung. Bis heute spiele ich Hack'n Slays nicht in Gruppen.
Drumherum
Jugendliche in einer südhessischen Kleinstadt ohne Aufsicht – genau, wir hatten Alkohol und Zigaretten. Die Gruppe hatte es ansonsten nicht mit Drogen, nichtmal Gras. Es waren gute Lerngelegenheiten: Dass etwas Alkohol okay ist und manchen Spielen sogar einen kleinen Schub gibt, aber ansonsten dem Spielen schadet. Die LANs waren meist mehrtägig, sonst lohnte sich der Aufwand nicht, gingen also die Nacht durch und am nächsten Tag weiter, auch kein Argument fürs Trinken. Mehr noch: Viel besser zumindest ein bisschen zu schlafen, von 4 bis Sonnenaufgang, und dann den nächsten Tag halbwegs fit zu sein, als durchzuzocken und dann am nächsten Tag einfach nur kaputt zu sein.
Manche LANs waren jedoch echte Feiern. Dann waren Leute außerhalb des Kerns zusätzlich da, tranken und hörten Musik, waren die Freundinnen dabei und spielten manchmal sogar mit. Andere LANs waren nur wir, fokussiert ganz aufs gemeinsame Spielen.
Aber es waren nicht nur Spiele: Da wir sowieso für die Image-Dateien Ordner freigeben mussten, konnte man auch direkt Musik und Filme mit freigeben. Und von den anderen auf die eigene Platte kopieren. Bei uns war das weniger ein Fokus, als es auf anderen LANs gewesen sein soll. Vielleicht gerade, weil DSL für uns bald schon existierte?
Man sollte meinen, durch diese Abende hätten wir über PC-Technik gelernt, aber dem war nicht so. Es schien nicht wichtig welcher Prozessor in den Maschinen steckte, welche Grafikkarte, wir kannten höchstens die eigene Hardware. Und die konnte meines Wissens keiner von uns ohne weiteres ändern, dafür war neue Hardware viel zu teuer. Spiele funktionierten oder sie funktionierten eben nicht, entsprechend wurde gewählt. Was gelernt wurde war, was für die Situation vor Ort gebraucht wurde: Das Konfigurieren von Windows, das Anbringen von Cracks bei den Spielen. Plus die Spiele selbst – und auch wie wir uns auf Spiele einigen konnten, das war wohl am wichtigsten (kleinste gemeinsame Nenner, oder das eine Spiel und danach das andere, da jeder etwas anderes lieber spielte, manche Spiele von einzelnen ganz geblockt wurden).
Was mir technisch hängenblieb: Dass Kabeltrommeln ausgerollt werden müssen. Als die im Keller von D. überhitzte zerfetzte es einen Monitor, wenn ich mich richtig erinnere meinen. Kaufte ich danach einen neuen? Und das war dann der, der bis zum Umzug nach Siegen hielt? Krieg ich nicht mehr zusammen.
Fast vergessen hatte ich, dass ich einen Pullover speziell diesen LANs gewidmet hatte. Er kam mit, weil es nachts kalt werden konnte. Ein schwarzer Adidas-Pulli, ich habe ihn heute noch. Wie Verpflegung gelöst wurde ist weg – Tiefkühlpizzas, Chips und Süßigkeiten? Kam ich damals schon drauf, dass Bananen für solche Situationen praktisch sind?
Ich habe andere einzelne Bilder im Kopf, von denen ich jetzt gerne Fotos haben würde. Von zugestellten Esstischen, die unter der Last von 100 Kilo an Monitoren bestimmt ächzen mussten. Von Kabelsträngen unterm Tisch, vom die Treppe hochgehenden Netzwerkkabel, von zigfach in Reihe geschalteten Mehrfachsteckdosen – ein Glück, dass PCs damals weniger Strom fraßen. Und klar, von den Freunden, wie sie damals aussahen. Aber es gibt keine Bilder davon, die Telefone hatten keine oder nur unbrauchbare Kameras. Das erste iPhone kam direkt danach, 2007, bis die Technik in Androidtelefonen uns erreichte würde nochmal Zeit vergehen. Und wir hätten damals auch gar keine Fotos machen wollen, dafür war es zu deutlich unser eigener, selbstkontrollierter Raum. Da passten keine Beweisfotos.
Anlass für diesen Artikel war Memories from old LAN parties, was ich nicht lesen wollte bevor meine eigenen Erinnerungen nicht niedergeschrieben waren.
LANs wie die unseren waren ein Phänomen ihrer Zeit. Die Technik musste weit genug sein, um es einfach zu machen und Spiele leicht verfügbar zu haben, sonst wären wir gescheitert. Aber das Internet durfte noch nicht verbreitet genug sein, sonst hätte es keinen Sinn gemacht die PCs und Röhrenmonitore durch die Gegend zu schleppen. Und wir selbst mussten genau unser Alter haben, sonst wären wir zu jung oder zu alt gewesen um die Chance zu nutzen (mit ein bisschen Spiel nach vorne, natürlich hatte es schon vor uns LANs gegeben). Außerdem brauchte es eben diesen Freundeskreis, in dem alle einen PC hatten und spielten.
Ich würde mich gerne an mehr Details erinnern: Wie kamen wir darauf, wer trieb diese Treffen? War es, weil LANs einen Boom hatten und wir es über die Medien aufschnappten? Oder weil wir die Idee von älteren Freunden und Geschwistern der anderen übernahmen? Oder war es einfach, weil Spiele diesen Netzwerk-Multiplayer hatten und wir ihn nutzen wollten, wofür sich dann durch die sturmfreie Bude eine Chance bot? Das werde ich wohl nicht mehr rausfinden.
Aber auch ohne alle Details: Diese Abende und Nächte sind mir wichtige und positive Erinnerungen.