Christian M. Grube am :
Danke für diesen recht leckeren Artikel.
Hier konnte ich auch einige neue Einblicke sammeln
Grüße
Wenn wir in Deutschland an mexikanisches Essen denken, ist das – zumindest deutschen Kantinen zufolge – prominenteste Beispiel Chili con Carne. Mit roten Bohnen, gelbem Mais und Namen zum Trotz ohne Chili, stattdessen sorgt Pfeffer und Paprikapulver für die Würze, die wir wegen der Chili im Namen erwarten. Wenn nicht dieses Gericht ist es anderes Essen mit diesen Zutaten, plus eventuell harte Tacoschalen, inzwischen manchmal auch Burritos, da öffneten in den letzten Jahren ein paar Läden für.
Mit mexikanischem Essen hat das wenig zu tun. Es gibt in Deutschland kaum mexikanische Einwanderer und das Land ist weit weg, aber es ist schon ein bisschen absurd, wie anders das Essen in Mexiko wirklich ist. Rote Bohnen z.B. werden nicht gegessen, stattdessen viel leckerere schwarze, statt dem süßen gelben Mais steht der neutrale weiße im Zentrum der mexikanischen Küche (und ersetzt dort unseren Weizen). Harte Weizen-Tacoschalen sind eine absolute Ausnahme und werden von vielen Mexikanern verachtet – hart gebratene Tortillas und Tortillachips gibt es zwar in anderen Gerichten, das ist aber nicht das gleiche. Was in Deutschland mexikanisches Essen genannt wird ist – mit wenigen Ausnahmen – meist Tex-Mex, eine ganz eigene Küche aus den USA mit nur wenigen mexikanischen Einflüssen, mit Spuren aus dem kulinarisch sehr eigenem Nord-Mexiko. Authentizität hin oder her, tatsächlich schmeckt es völlig anders.
Mexikanisches Essen hat, anders als bei den deutschen Abwandlungen, oft den Tortilla im Fokus, einen dünnen weichen Maisfladen primär aus weißen Mais. Der wird schonmal mitgebraten oder gar frittiert, er ist entweder erwärmte Beilage oder gefüllt Teil des Zentrums des Gerichts. Dazu kommt Fleisch, das oft mit anderen Soßen als hier kombiniert wird oder in Varianten, die hier selten sind (schonmal Gehirn gegessen? Schweinehaut?) und mit Gemüse, das es teilweise in Europa überhaupt nicht gibt. So wie es in Mexiko auch tolle Früchte gibt, die wir nicht kennen, wie die wunderbar süße Mamey. Dazu kommen viele Varianten von Chili, die keinesfalls alle scharf sind – und auch das Essen ist nicht unbedingt scharf! Scharfes Essen gibt es, meist aber nur via scharfen Soßen, die neben den Teller gestellt werden und daher optional bleiben. Wobei, das Verhältnis zur Schärfe ist in vielen mexikanischen Familien entspannter als bei uns, wie wohl auch die teils scharfen mexikanischen Bonbons für Kinder zeigen.
Ich zeige im Folgenden ein paar authentische Beispiele aus Mittel-Mexiko und wie ich sie fand.
Chiles en Nogada ist eine mit Hackfleisch gefüllte grüne Chili, die mit einer Walnuss-Soße übergossen wird. Dazu kommen süße rote Granatapfel-Samen. Zusammen sind das die Farben der mexikanischen Flagge – entsprechend ist es das offizielle Nationalgericht. Es gibt es nur um den Nationalfeiertag bzw in der Saison der Granatapfel, ~September, ist relativ teuer (vor allem in den letzten Jahren geworden) und eine Heidenarbeit. Ich habe selbst einmal bei der Zubereitung geholfen, es dauert Stunden, wie übrigens viele mexikanische Gerichte. Die Chili muss sehr sorgfältig ausgehöhlt werden, die inneren Körner und Fäden entfernt, dann die Füllung hineingeben ohne die Chili zu zerstören… haarig.
Das Ergebnis ist fantastisch. Es ist eine absurd gute Mischung aus deftigem und süßem Geschmack. Die Walnuß-Soße gibt sehr viele verschiedene Geschmacksnoten und eine leicht erdige Grundnote, die Chili dagegen ist eher süß, wo dann die gewürzte Fleischfüllung wieder gegenwirkt, was aber die Granatapfel-Samen nochmal verstärken. Jeder sollte das mal probiert haben, ich halte es für das beste Gericht, das ich je gegessen habe. Wer irgendwelche Zweifel hat, dass die mexikanische Küche ein Weltkulturerbe sein sollte, würde hiermit davon geheilt – wobei Chiles en Nogada ein relativ junges Gericht ist, das der Feier der Gründung des modernen mexikanischen Staates zugerechnet wird, während die klassischen mexikanischen Gerichte viel älter sind.
Enchiladas dürfte eines dieser klassischeren Gerichte sein. Es ist ein gefüllter Tortilla, meist mit Fleisch (regulär in Fäden gerupftes Hähnchen). Der Tortilla wird vorher in einer Chilisoße gebraten, die dann nochmal über den Tortilla gegeben wird. Dazu kommt Creme (Fraiche?), Käse (mexikanischer, der als zerbröselnder Trockenkäse ganz anders ist als deutscher) und ggf. Koriander. Es gibt verschiedene Varianten davon, Rojas und Verdes meint die Farbe der Chilisoße und damit ihren Geschmack, oder Suizas, Schweizer also, die dann mit Käse gefüllt oder sogar gratiniert sind.
Auch dieses Essen ist trotz der Chilisoße nicht unbedingt scharf! Und auch dieses Gericht mag ich sehr gerne. Der großartige Geschmack kommt durch eben diese nicht-scharfe Chilisoße, dem der Tortilla und die Fleischfüllung eine gute Grundlage geben, was dann die Creme und der recht neutrale, trockene Käse wunderbar ausbalancieren. Die Soße macht auch den Hauptteil der Arbeit aus, wobei das gekochte Hähnchenfleisch zu zerrupfen auch etwas dauert und für mich als Daheim-Vegetarier etwas schwierig war. Tortillas werden in Mexiko oft gekauft und sind als Grundnahrungsmittel nicht teuer, sie selbst zu machen geht auch, würde aber die Kocharbeit erheblich erschweren.
Enchiladas findet man in Restaurants oder daheim, Tacos dagegen oft als Imbiss auf der Straße. Tacos sind generell ein Riesenthema in Mexiko. Es ist das Haupt-Straßengericht, bestimmte Kombinationen von Tacos mit Fleisch und Gemüse sind üblich. Es ähnelt in der Hinsicht unserem Döner und historisch der Bratwurst, es gibt aber mehr Kombinationen als beim Döner, also auch verschiedene Fleischsorten. Die verbreiteste(?) Variante ist al pastor, Schweinefleisch mit Ananas.
Barbacoa ist eine altertümliche Fleischzubereitung, als Taco eine Spezialvariante. Es ist in einem Loch in der Erde über die Nacht gegartes Hammelfleisch. Das ist also von der Fleisch- und der Zubereitungsart ziemlich ungewöhnlich und sicher wegen dem Aufwand der Zubereitung ein Essen für feste Orte, weniger für Straßenstände. Durch das lange Garen wird das Fleisch sehr zart, mit dem Tortilla als Taco den Soßen, Zwiebeln und Koriander wird der immer noch durchscheinende Hammelgeschmack gedämpft. Was besonderes, was ich nicht jeden Tag essen wollte, aber Sonntags bei strahlendem Sonnenschein in einem Gartenrestaurant sehr genossen habe.
Carnitas ist ganz anders, und doch ähnlich. Auch es ist ein aufwändiges Fleischgericht, das gerne im Taco gegessen wird, das es so in Deutschland nicht geben würde. Da wird Schweinefleisch gewürzt und für Stunden in Öl oder Fett geschmort, bis auch das sehr weich ist und zerrissen werden kann. Sieht dann ähnlich aus wie Barbacoa, ist vom Geschmack als Schweinefleisch aber natürlich ganz anders als Hammelfleisch. Carnitas gefiel mir einmal sehr gut, verkauft von Fast-Nachbarn im improvisierten Gartenimbiss-Stand, als sehr zartes und geschmackvolles Fleischgericht. Ein zweites mal von einer mir unbekanntem Quelle mitgebracht war es mir zu fettig, was bei der Zubereitungsart eigentlich naheliegend ist.
Und noch ein Beispiel eines sehr authentisches Gerichts, das von vor der Kolonialzeit stammen soll. Tamales sind Fladen aus nixtamalisierten Mais, also aus zu besser verwertbarem Mehl verarbeitetem und dann wieder geformten Mais. Dieser Fladen wird mit Zusätzen versetzt, Schmalz zum einen, aber auch Fleisch und Chilisoße für die herzhaften oder Früchte für die süßen Varianten. Ummantelt wird der Fladen mit Mais- oder Bananenblättern, die mir geläufige Variante in Mittel-Mexiko nutzt Maisblätter.
Ein paar Tamales sind ein vollständiges Essen (von Mexikanern dagegen wird es als Frühstück gesehen) und ein sehr typisches Gericht, das in Mexiko an vielen Orten und von Straßenverkäufern gekauft werden kann. Mir persönlich sind die herzhaften Gerichte etwas zu neutral (obwohl manchmal durch die integrierte Soße scharf), der Maisteig ist schon sehr bestimmend. Das gilt etwas weniger, aber doch noch etwas, für die Mole-Varianten – Mole ist eine super-aufwändige und stark würzige Chili-Schokoladensoße, auch sie findet man eben in Tamales oder mit den Enchiladas von oben. Mole ist an sich immer super, aber bei den Tamales mochte ich besonders die klassische süße Variante mit dann rotem Teig und besonders tollen Rosinen.
Sopes will ich auch noch schnell zeigen, als ein weiteres Gericht, das auch vegetarisch sein kann und es auch normalerweise ist. Für Sopes kauft man den Tortilla-Maisteig und formt ihn zu festeren Fladen, mit einem Rand. Der Fladen wird in Öl gebraten. Gegessen wird er dann mit einer schwarzen Bohnenpaste, Salat, Creme und Käse. Sopes kenne ich als Hausmannskost, zwar durch das Braten des Fladens in Öl leicht fettig, aber eben ohne Fleisch und gut portionierbar.
Die vegetarischen Sopes sind die primäre Variante, aber es wäre kein Verbrechen, da noch andere Zutaten und eben auch Fleisch draufzutun und sie so aufzuwerten. Für mich war das ein geschmacklich etwas arg simples Essen, nicht schlecht, aber ich muss es nicht unbedingt nachkochen.
Die Liste dürfte einen Eindruck geben, wie die mexikanische Küche in Mexiko funktioniert. Natürlich ist sie nur ein Bruchstück, eine kleine Teilauswahl. Es gibt viel mehr Gerichte, aber auch viele Eigenheiten zu berichten. Wie zum Beispiel, dass zu jedem regulären Essen eine Vorspeise gegessen wird. Diese Suppe ist dann entweder wirklich eine Suppe, kann aber auch eine kleine Portion Spaghetti mit einer Cremesoße sein, was dann trotzdem Suppe genannt wird. Es gibt (neben Coca-Cola) eine Vielzahl an mexikanischen Softdrinks, aber auch einige klassische Aguas – Wasser mit Geschmack, wie (aus Limetten) frisch gepresste Limonade, oder mit Tamarindo versetztes Wasser, oder Horchata, was Wasser mit geriebenem Reis, Milchpulver, Zucker und Zimt und generell großartig ist. Von solchen Wassern bzw Limonaden gibt es einige Variante, die seltene mit Maracuja fand ich besonders toll.
Überrascht hatte mich auch die Verwendung von schwarzen Bohnen. Ich kannte vor Mexiko nur grüne, rote und weiße Bohnen, letztere vor allem als Salat. Schwarze Bohnen sind die schmackhaftesten. Gekocht im Schnellkochtopf geben sie eine tolle Beilage. Da kommt in Mexiko noch Salz, Zwiebeln und Bohnenpulver dazu. Das ist wirklich toll, auch für den gewöhnlichen deutschen Geschmackssinn, und bedenkt man dass Bohnen fast völlig von deutschen Tellern verschwunden sind hatte ich damit wirklich nicht gerechnet. Als Überraschung erwähnt gehört auch, dass die Essenszutaten nicht primär im Supermarkt gekauft werden, sondern in den vielen kleinen Geschäften, gerne auch der Markthalle. Und wenn die Tortillas vom Supermarkt kommen, dann weil sie dort frisch und mit weniger gelben Maismehl geformt werden. Das verbindet sich in meinem Kopf gut mit der früheren deutschen Küche, als auch hier noch Bohnen gegessen und Essen nicht im Supermarkt gekauft wurde.
Es gibt natürlich auch moderne Gemeinsamkeiten. Auch in Mexiko kennt und kocht man Schnitzel. Mit Pozole gibt es eine tolle Fleischsuppe, die dem europäischen Gulasch ähnelt. Oder es wird mal einfach ein Stück Fleisch mit Reis gegessen, statt eines komplizierten Gerichts. Aber der Reis ist dann sicher nicht einfach Reis, sondern normalerweise mit Tomaten speziell gewürzt, und das Stück Fleisch wird wahrscheinlich mit einem Stück Kaktus (Nopales) kombiniert in einen gewärmten Tortilla gesteckt werden und so einen ganz eigenen Taco-Charakter bekommen. Ich möchte nicht ausschließen, dass auch in Mexiko mal ein Tiefkühlgericht aufgewärmt wird, gesehen habe ich sowas weder in der Küche der ("nebenher" voll arbeitenden) Hausfrau noch im Supermarkt.
Speziell an der mexikanischen Küche ist eben diese Eigenständigkeit und Verankerung in der Gesellschaft, auch wie sie die Imbissstände dominiert (und wieviele es davon gibt). Auch wenn man in größeren Städten sowie in Supermärkten anderes Essen findet, gerade auch solches aus den benachbarten USA, sind mexikanische Rezepte wie die oben gezeigten doch der Standard. Das ist in Deutschland etwas anders, wo die Essenskultur mir sehr viel vermischter erscheint, mindestens mit Rezepten und Zutaten aus anderen europäischen Ländern. Schwierig genug ein Gericht zu zeigen, das wirklich typisch deutsch ist (Nudelsalat? Birnen-Bohnen-Speck? ) und auch wirklich im Alltag regelmäßig gekocht und gegessen wird. Da wirkt sich die Größe des Landes genauso aus wie die ganz andere Geschichte und die für die Zubereitung veranschlagbare Zeit.
In diesem Fall ist es toll, dank der Unterschiede diese fantastische Küche heute noch entdecken zu können. Vielleicht schaffen wir es in Deutschland mit der Zeit, mehr authentische Elemente von ihr zu übernehmen und das in Mexiko völlig unbekannte Chili con Carne auf den Nebenplatz zu verbannen, auf den es gehört.
Danke für diesen recht leckeren Artikel.
Hier konnte ich auch einige neue Einblicke sammeln
Grüße
Danke Christian, das freut mich!