Suzume
Suzume ist ein neues Anime von Makoto Shinkai und CoMix Wave Films. Von ihm war auch das hochgelobte Anime Your Name, dem dieser neuen Film durchaus ähnelt.
Suzume lebt in einem kleinen Ort in Japan. Als das Schulmädchen Sōta begegnet und ihm zu einer Ruine folgt findet sie dort eine Tür, die in eine andere Dimension zu führen scheint. Etwas geht schief, eine Katze tritt auf, und schnell ist Suzume auf einer Reise durch Japan und versucht Schlimmeres zu verhinden.
Der Film sieht dabei toll aus. Die Zeichnung schwankt zwischen wirklich hübsch, besonders wenn Japans Landschaften gezeigt werden, und wirklich beeindruckend, besonders wenn die Actionszenen stattfinden. Dazu kommen – und waren zumindest nicht mehr in meiner Erinnerung von zuvor – ein paar auflockernde Szenen in der Egosperspektive, das kannte ich generell von Animes nicht (und erinnerte mich an den Mode 7 des SNES).
Suzume hatte es als Roadmovie leicht bei mir, die mag ich oft, gefiel aber auch (trotz der ihnen ungewohnten japanischen Sprache) den anderen Kinobesuchern an meiner Seite. Warum auch nicht: Die Geschichte ist spannend, zwischendurch lustig und immer wieder hochtraurig, die Charaktere generell liebenswert. Die Überschneidungen mit der Struktur von Your Name störte mich nicht groß, aber ein paar Anspielungen darauf gefielen mir, auch die ungewöhnliche Jazz-Untermalung einer Actionszene am Anfang sah ich als Anspielung auf Cowboy Bebop und fand ich nett.
Wieder gefiel mir auch, mit welchen Themen das Anime spielt und wie gut diese Mischung gelingt: Eine Murakami-artige Verwebung unserer Realität mit einer überweltlichen Fantasiewelt mit (diesmal dem Ansatz) einer Erwachsenwerdung mit Japans Betroffenheit von Naturkatastrophen und dem gefühlten Niedergang eines Teils dieser Zivilisation, deutlich dargestellt durch die verlassenen Ruinen auf der einen Seite und dem unheimlich lebendigem und vollem Tokio auf der anderen. Da ist also viel intellektueller Überbau, doch ist die eigentliche Geschichte so klar und emotional, dass am Ende der halbe Kinosaal weint. Fantastisch.
Linksammlung 21/2023
Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
PyPI was subpoenaed und zeigt dabei, welches Risiko unnötig aufbewahrte Daten bedeuten.
Germany falls into recession as consumers in Europe’s biggest economy spend less, aber ich kann nicht abschätzen ob das in der Praxis irgendwas ändert.
Scheinbar kostenlos erhältlich ist World of Goo Remastered. Da der Aurora-Store derzeit nicht funktioniert habe ich es nicht getestet, aber das Original war nett.
Die MZLA Technologies Corporation hat Neuigkeiten: Introducing The Brand New Thunderbird Logo! Ich finde das neue Logo an sich zwar gelungen, aber es gleichzeitig schade, dass die Firma hier dem doch bereits veraltetem Trend immer minimalistischerer Logos hinterherrennt. Und der Blogeintrag hätte wirklich das alte Logo zeigen sollen. Daher mach ich das hier:
Linksammlung 20/2023
Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
E-Girl Is Going To Die In Poverty | Financial Audit (Video) ist ein ziemlich reißerischer Titel, aber der Einblick in die typisch US-amerikanische Schuldenkultur (richtig?) ist faszinierend. Von der Serie gibt es sehr viele Videos, irgendwann wiederholen sich aber natürlich die Themen.
Warum es für Gamer gut wäre, wenn Microsoft Activision kauft halte ich für eine Fehleinschätzung, Marktkonsolidierung hat Käufern noch nie genutzt. Aber die Perspektive ist bedenkenswert.
Die Version 2 of my solar-powered, ePaper digital photo frame fand ich interessant, zumindest die schwarz-weißen Fotos sahen gut aus und das Konzept der langen Haltbarkeit durch entsprechendes Hardwaredesign sagt mir zu – was keinen Blogleser überraschen dürfte.
Entsprechend positiv sehe ich, dass es so ein Video überhaupt gibt: Nokia Makes Its First Repairable Phone - Nokia G22 Teardown And Repair Assessment (Video) ist aber nicht so wirklich super. Das geht besser, zeigen wohl gerade Telefon wie das Fairphone.
Beim Pixel-Telefon rutscht dagegen eine Fehlentwicklung in den Fokus, denn Pixel phones are sold with bootloader unlocking disabled und brauchen fürs Freischalten eine Verbindung zu Google.
Lakritze: Lakrifun Sekoitus
Das Konzept kennt man in Deutschland, mit Zucker ummantelte Lakritzstäbchen sind für viele Kinder der erste Berührungspunkt mit Lakritze.
Diese finnische Variante aber ist besser. Die grüne (Omppu = Apfel?) und die gelbe Sorte (Mango) sind schön fruchtig, die klassische weiße Variante ist eine gute Mischung aus Süße und Lakritze, die schwarzen sind lakritziger als die anderen. Allen gemein ist ein definierterer Geschmack der süßen Hülle und der Lakritze, womit ich meine, dass die Hülle einen besseren Eigengeschmack hat und nach der Hülle die Lakritze mehr als solche zu schmecken war. Wobei ich die Haribo-Stäbchen lange nicht hatte und nur mit meiner Erinnerung vergleiche.
Mochte ich gern, wobei es natürlich mehr gewöhnliches Bonbon als Lakritze ist. Trotzdem nichts für die Laktritzhasserin im Haus.
Mein neuer PC
Dass ich kürzlich über Hardwareupgrademöglichkeiten schrieb lag natürlich an meinen eigenen Upgradeplänen. Mein PC war angestaubt, dass die Radeon RX 6600 unter 250€ fiel hatte ich mir als Signal für ein Upgrade gesetzt. Zwar reichte mein altes System noch für alles wichtige, doch ich wollte moderne Spiele wie Cyberpunk auf ordentlichen Einstellungen spielen können.
Das alte System
Vorher hatte ich im PC einen 2019 gebraucht gekauften Intel Core i5-5675C, zusammen mit einer Radeon RX 570 (4GB). Der Prozessor ist etwas besonderes gewesen, der wenig verkaufte Broadwell-Chip hat einen L4-Cache – ähnlich wie jetzt der Ryzen 7 5800X3D – und eine besonders starke Grafikeinheit, die Intel ansonsten nur in Laptops verbaute. Der Cache machte den Prozessor in manchen Spielen besonders stark, als ich zwischendurch gar keine Grafikkarte hatte war die Grafikeinheit Gold wert. Doch da der i5 nichtmal Hyperthreading hat erreichte der Vierkerner nun seine Grenze.
Die Radeon RX 570 war nichts besonderes. Bestechend war damals nur ihr absurd gutes Preis-Leistungs-Verhältnis im Vergleich zu den Nvidia-Karten, die unter Linux aber sowieso keine Option gewesen wären. Auch bei ihr war für moderne AAA-Spiele die Leistung inzwischen etwas gering.
Der alte Rechner hatte ordentliche 24GB Ram, da aber DDR3 konnte das nicht weiterbenutzt werden. Dafür sollte Gehäuse, Netzteil, SSDs und Backupfestplatte erhalten bleiben, ebenso wie der Corsair H90 als Prozessorkühler – hatte ich das alles doch gerade erst dank fan2go leise bekommen.
Die neue Hardware
Das Upgrade lief in zwei Phasen, um zu schauen ob der Prozessor nicht doch ausreichen würde.
Also fing ich mit der Grafikkarte an. Es wurde eine Radeon RX 6600, die ASRock Challenger D. Sie kostete 229€ und war damit die günstigste der verfügbaren 6600er. Ich hatte von dem Modell wenig gelesen, aber dass der Lüfter sich im Leerlauf abschalten würde beruhigte mich. Dazu kamen positive Nutzerreviews und eine ebenfalls positive Besprechung bei OCinside.
Die Intel Arc A750 wäre die Alternative gewesen. Aber dann hätte ich auf jeden Fall das Prozessorupgrade gebraucht. Und ich fand dieses Review, demnach selbst unter einem aktuellen Kernel die Intel-Karten unter Linux deutlich hinter den AMD-Optionen liegen. Das ist unter Windows anders, aber ich spiele ausschließlich unter Linux.
Die 6600 würde mehr als doppelt so schnell wie meine alte Karte sein, das war vorab klar (die Bewertung im Benchmark entspricht nicht direkt dem gesehenen FPS-Unterschied):
Tatsächlich lief schon mit dem Grafikkartenupgrade dann auch Cyberpunk 2077 auf hohen Einstellungen und war spielbar. Aber die sehr hohe Prozessorauslastung und das generell niedrige FPS-Niveau machte klar, dass ein Prozessorupgrade doch sinnvoll wäre.
Da recherchierte ich sogar nochmal, blieb aber letzten Endes bei meiner eigenen momentanen Standardempfehlung: Ein Ryzen 5 5600 auf einem B450-Board. Mein Gehäuse ist mATX, also war bei den Mainboards die Auswahl begrenzt; Ich griff zum günstigsten mit vier Ramslots, dem MSI B450M PRO-VDH Max. Das kostete 72€. Der Prozessor kostete 119€. Dazu fehlte noch der Arbeitsspeicher, das wurde das günstige G.Skill Aegis DDR4-3000 32GB Kit für 58€.
16GB hätten zum Spielen gereicht, aber als Entwickler reichte mir das schon mehrfach nicht aus und ich wollte mich bei der Speichermenge nicht verschlechtern.
Um meinen Corsair H90 weiterverwenden zu können hatte ich mir vorab eine AM4-Halterung gekauft. Die kostete nur 8€.
Als die gesamte Hardware dann da war klappte alles. Das B450-Board brauchte wie erwartet kein BIOS-Update, um mit dem Ryzen 5 5600 zu starten – dafür ist der Prozessor viel zu lange draußen, die Boards im Handel sind alle bereits aktualisiert, aber die minimale Gefahr hatte mich doch nervös gemacht. Der XMP-Modus des Arbeittsspeichers griff direkt. Nur rBar konnte ich nicht aktivieren, weil dafür Secure-Boot und der UEFI-Bootmodus gebraucht würde, womit meine alte Void-Installation nicht starten wollte. Gut, dass ich nicht doch die Arc-Karte gekauft hatte.
In Cyberpunk war der Prozessor dann ein großes Upgrade. Die Radeon RX 6600 hatte im eingebauten Benchmark und niedrigen Einstellungen mit dem i5-5675C vorher 43 FPS geliefert, mit dem Ryzen-Prozessor wurden es 74 – und da war VSYNC an.
Im Spiel verschwanden einige Ruckler bei Kameraschwenks und mit meinen optimierten, generell hohen Einstellungen liegen die FPS je nach Szene zwischen 60 und 75 FPS. Davor waren die durchaus mal auf 30 gerutscht.
Das Upgrade lief gut und ich kann es empfehlen, die bessere Performance in Spielen ist schon angenehm. Mich freut es besonders, dass sich an der Lautstärke des Systems nichts negativ verändert hat – die Grafikkarte ist unter Last wohl sogar leiser als die auch schon dezente vorherige. Außerhalb von Spielen bemerkte ich bisher aber keinen Geschwindigkeitsgewinn, dafür war der i5-5675C wohl zu stark.
Mein System ist damit auf das Niveau von 2022 gerutscht. Das dürfte jetzt wieder für ein paar Jahre reichen.
Linksammlung 18/2023
Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
Es hieße bei Google "We Have No Moat, And Neither Does OpenAI", was ein interner Zusammenschrieb eines Entwicklers sei. Absolut lesenswert nicht nur wegen der enthaltenen Google-Perspektive, sondern für die kenntnisreiche Schilderung der letzten Entwicklungen bei den Sprachmodellen.
Thema algorithmische KI: BackgroundRemover ist ein Python-Projekt, um Hintergründe von Bildern und Videos zu entfernen. Dazu gehört auch dieser Blogpost und die Seite backgroundremoverai.com.
Nicht direkt aus dieser Woche, aber es geht um XTerm: It's Better Than You Thought und dadurch um ein zeitloses Thema.
BZIP3 ist der klare Gewinner eines Vergleichs gegen xz beim Komprimieren einer Logdatei.
Zum jetzt spielbaren Cyberpunk 2077
Über Cyberpunk 2077 zu schreiben fühlt sich etwas absurd an, habe ich selbst doch nach dem ersten Video zum Spiel außer Wertungen und mancher Bugwarnungen jegliche Videos und Reviews vermieden. Zu klar war, dass ich das noch spielen wollen würde, wenn Hardwarepreise und Patches ein Spielen in akzeptabler Qualität erlauben. Dieser Zeitpunkt war jetzt, und wer ähnlich wie ich bisher noch wartete, der lese gerne nur bis zum Folgenden und besuche danach Steam: Cyberpunk 2077 ist ein großartiges Spiel, für Fans von Cyberpunk und Spielen wie Deus Ex ein wahrgewordener Traum. Es gibt keinen Grund mehr zu warten.
Aber wer sich erst überzeugen lassen oder seine Einschätzung vergleichen will, der lese gerne weiter.
Ein Leben in Night City
Man spielt als V. Diese Person ist Mann oder Frau und das Aussehen kann zu Spielbeginn angepasst werden. Wählbar ist auch der Hintergrund, z.B. eine Karriere in einer Firma, was dann zuerst den Spielbeginn beeinflusst und später in Gesprächen alternative Gesprächsoptionen freischaltet. Unabhängig des Spielstarts findet sich V bald als Söldner (man könnte auch sagen: Shadowrunner) in Night City wieder, einer dystopischen Zukunftsstadt – die wahlweise an San Francisco oder Los Angeles in Blade Runner erinnert und damit an alle anderen Cyberpunkstädte, wie gerade auch Niihama aus Ghost in the Shell.
Das Leben in Night City ist durch zügellosen Kapitalismus, Exzess, Drogen, Armut und Technik bestimmt. Gerade die technische Entwicklung ist Cyberpunk-genretypisch weiter, als wir für 2077 erwarten dürften. Insbesondere sind da die Cyberware-Implantate, mit denen V dann auf Wunsch einen Raketenwerfer im Arm hat, sehr hoch springen kann, Feinde (bzw ihre Implantate) aus der Ferne hackt usw. Auch die NPCs haben solche Implantate, oft sehr sichtbar, manche Gegner nutzen sie beispielweise um praktisch zu teleportieren und unheimlich schnell zu rennen. Aber es geht auch kleiner, Wagen die automatisch fahren, Waffen die um Ecken auf anvisierte Feinde schießen können oder Barrieren durchschlagen, Sprachassistenzsysteme, komplett-immersive VR-Brillen. Natürlich gibt es einer solchen Welt KIs, generell ist viel an Snow Crash angelehnt oder ähnelt im Ergebnis der Welt von Deus Ex.
Rollen- und Open-World-Freiheit
In der Spielwelt verteilt sind Auftraggeber für Haupt- und Nebenmissionen sowie weiteren Nebenaktivitäten. V kann für sie durch die Stadt laufen oder ein Auto fahren, auch ein Schnellreisesystem gibt es.
Die Nebenaktivitäten sind zum einen Fixeraufträge: Sie bringen Geld und sind kurze Missionen, bei denen dann zum Beispiel jemand aus den Fängen einer Gang gerettet werden soll – was eine kondensierte und weniger stark inszenierte Varianten einer ersten Hauptstorymission wäre. Daneben gibt es Polizeieinsätze: Dann stehen Kriminelle an einer Stelle herum und V kann sie ausschalten, oft einen Koffer öffnen und bekommt dafür Geld.
Nebenmissionen sind meist ausgebautere Geschichten. Manchmal sind es nur kleine Interaktionen, aber öfter sind es mehrere Handlungsstränge, die manchmal dann sogar in den Hauptmissionen neue Optionen eröffnen oder ihre Handlung weitererzählen. Die Interaktionsmöglichkeit mit den kompletteren Charakteren wie Judy Alvarez existieren via solchen Missionen.
Die Hauptmissionen sind dann die Krönung, vollständig inszenierte und spannend geschriebene Missionen, mehr noch mit Entscheidungen und unterschiedlichen Lösungswegen. Das ist was man in dem Preview-Video zum Spiel sah, frühe Hauptmissionen mit allem, was das Spiel zu bieten hat.
Besser als DXMD und Witcher 3
Gerade in den Hauptmissionen übertrumpft Cyberpunk dabei vorherige Spiele. Mir fällt dabei der Vergleich mit zwei meiner Favoriten leicht, die aber auch wirklich das Spiel als Haupt-Genrevertreter bzw als vorheriges Projekt des Entwicklers beeinflusst haben dürften.
Deus Ex: Mankind Divided (und ähnlich Human Revolution) ähnelt Cyberpunk 2077 stark. Von der Spielwelt her, mit ihren Implantaten in einer dystopischen Cyberpunk-Welt, samt KIs und Hacking und Zerstörungen des Kapitalismus. Aber mir war nicht ganz klar, wie weit die spielerischen Parallelen gehen würden. Das Schleichen, das Leveldesign, die Art der Entscheidungen. Hier ist das noch versetzt mit einem Gesprächssystem samt Skillchecks aus Fallout: New Vegas und eben generell: Fähigkeitenbäumen, die wie im ersten Deus Ex über den Implantaten eine weitere Ebene bieten (aber in ihren Effekten über die des 2000er-Spiels hinausgehen).
Cyberpunk 2077 vermeidet aber die Eigentümlichkeiten der modernen DX-Spiele. Die Welt ist hier eben nicht primär eine um Implantate gestrickte stumpfe Rassismus-Parabel, sondern eine wesentlich komplexer wirkende Kapitalismus- und Fortschrittskritik, wie sie eben auch typisch für die Dystopien des Cyberpunkgenres ist.
Die Hauptstory ist dabei auch weniger eine Verschwörungsgeschichte als bei Deus Ex und das neuere Spiel ist mehr ein Open-World-Spiel. Ersteres empfand ich als angenehm – die Verschwörungsgeschichten in beiden neuen DX waren schon ziemlich wirr –, letzteres finde ich weniger überzeugend, dazu unten mehr. Aber auf jeden Fall ist es anders.
Obwohl Cyberpunk vom Genre und Setting her viel stärker Deus Ex ähnelt, ist die Verwandtschaft mit Witcher 3 auch unübersehbar. Immerhin sind all diese Spiele Rollenspiele, aber Witcher das klassischere Rollenspiel, dessen Elemente Cyberpunk durchaus aufgreift. Spielmechanisch ist da das Ausrüstungssystem mit Kleidung und Rüstung, das es in DX nicht gab, und die Fähigkeiten. Aber mehr noch ist es die Geschichtenerzählung. Wie Entscheidungen zu treffen sind, wie diese in die spätere Geschichte hineingreifen. Das fehlte in DX:MD und HR im großen, aber es war im Witcher stark angelegt, von Yennefer bis Triss, deutlich in der Schlacht um Kaer Morhen und dem beeinflussbaren Schicksal von Ciri.
Cyberpunk 2077 nimmt diese Art der relativen Freiheit bei der Geschichtenerzählung und verbessert sie dadurch, dass wie in DX die Missionen selbst unterschiedlich gelöst werden können. Etwas, was in den Witcher-Spielen unmöglich war, konnte Geralt eben eigentlich nur Monster töten oder vielleicht mal ein Hexerzeichen weben.
Aber es merzt auch die offensichtlichen (und von der Spielerschaft generös ignorierten) Macken des Vorgängerspiels aus. Zuerst die tausenden Schatztruhen, die nicht auch nur einmal irgendeine brauchbare Ausrüstung beherbergen, weil die selbst herstellbare Hexerausrüstung immer besser ist. In Cyberpunk dagegen ist findbares immer irgendwie brauchbar; oft weil neuere Waffen und Bekleidung bessere Werte hat, ansonsten weil neue Kleidung immer besser aussehen kann als alte (und unabhängig von ihren Werten als Outfit angelegt werden kann) oder schlimmstenfalls als fast durchgehend praktisches Craftingmaterial. Zudem hat Cyberpunk auch keine klaffenden Lücken in der Story, anders als die immer noch nicht herausgepatchte Leerstelle um Iorveth im dritten Hexerspiel. Auch verschandelt es das Ende nicht mit vorher unmöglich vorherzusehenden Auswirkungen früherer Entscheidungen.
Schwächen bei Pacing und mancher Spielmechanik
Cyberpunk erbt aber eine Schwäche des Witcher-Spiels, die es so bei den Deus-Ex-Spielen nicht gab: Die Problematik um die Nebenmissionen. Die fügen sich nämlich schon beim Hexer schwer in die drängende Hauptstory ein, der eiligen Suche nach Ciri. Ähnlich gibt es in Cyberpunk eine eigentlich für V nicht aufschiebbare Problematik, was dann überhaupt nicht zu den Dutzenden Nebenmissionen passt und schon gar nicht zu den in der Spielwelt verteilten Fixermissionen (gut, die könnte man wohl ohne negative Auswirkungen bleiben lassen).
Etwas anders ist der wahrnehmbare Qualitätsunterschied: Die Nebenmissionen sind nur selten so gut wie die Hauptmissionen (das war in Witcher 3 anders). Die Fixermissionen sind sogar sehr deutlich schlechter, reduziert in Umfang und Inszenierung. Nie völlig uninteressant, hat man als Spieler doch den Eindruck sich für die Hauptmissionen durch den Rest durchzuarbeiten. Dafür ist die Anzahl der Hauptmissionen etwas gering, wäre das Spiel beim Beschränken auf die deutlich zu kurz.
Auch hatte ich nicht den Eindruck, stark von der offenen Welt zu profitieren. Letzten Endes folgt man zu oft nur den Missionsmarkern oder benutzt nach einer Weile das Schnellreisesystem, ohne die Stadt wirklich kennenzulernen. Aber eine reine Kulissenfunktion wie im ersten Mafia verhindern eben die verteilten Fixermissionen. Ich glaube, dass Cyberpunk 2077 noch stärker geworden wäre, wenn es den Open-World-Ansatz reduziert oder ganz weggelassen und dafür mehr starke Missionen gebaut hätte. Ähnlich Mafia eben. Da wäre die Energie besser aufgehoben gewesen, die stattdessen in kaufbare Autos und weitere Apartments floss.
Ich hoffe, dass die für dieses Jahr angekündigte Erweiterung Phantom Liberty da ähnlich wie die Erweiterungen von Witcher 3 dem Spiel noch viele Storymissionen hinzufügt.
Fragwürdig bleibt dann noch das Auto-Leveling. Welche Ausrüstung Gegner haben und wie stark Gegner sind scheint sich an Vs Level und nicht (nur?) am Fortschritt der Handlung bzw der Schwere des Gebietes zu orientieren. Zumindest war das mein Eindruck, angesichts des bei den Hauptmissionen angezeigten Schwierigkeitsgrad, der sich bei denen nie änderte. Das ist nicht furchtbar schlimm, weil man eben doch ein Fortschrittsgefühl bekommt, sind doch gerade in den verschiedenen Stadtteilen außerhalb der Missionen die Gegner unterschiedlich stark. Aber das hier wäre doch wirklich ein Spiel gewesen, mit all seinen alternativen Spielweisen, in denen die Gegner keine Skalierung gebraucht hätten. Wodurch das Fortschrittsgefühl nochmal besser geworden wäre (und die Fixermissionen mehr Relevanz bekommen hätten).
Sex, Silverhand, Waffen
Noch ein paar Beobachtungen, die sonst nicht passten.
Wie das Spiel Sex und Nacktheit verwendet wirkt etwas seltsam. Es ist erst sehr offensiv damit, wenn schon bei der Charaktererstellung Vs blanker Busen zu sehen und bei der groß im Gameplay-Trailer gezeigten Mission die später zu tragende Frau im Eisbad komplett nackt ist, während jedes andere Spiel hier Unterwäsche platziert hätte. Im späteren Verlauf wird das Spiel hier aber konservativer und zeigt Nacktheit fast nur noch bei zumeist vermeidbaren Sexszenen. Eine gewisse Sexualität bleibt im Spiel (und welches andere Story-Spiel hat abseits von Fan-Mods eine Brust- und Hinternphysik für NPCs?), aber der Eindruck bleibt, dass hier nachträglich heruntergeregelt wurde. Vielleicht schadet das der Erwachsenheit des Spiels, vielleicht hätte es ansonsten geschmacklos gewirkt, absolut trittsicher ist Cyberpunk da aber nicht.
Die Einbindung von Silverhand dagegen ist eindeutig gelungen. Keanu Reeves Rekrutierung für die Rolle wurde initial mit atemloser Freude aufgenommen, tatsächlich gibt seine Stimme und Sympathie hier einem moralisch grauen Charakter eine Dimension, die er sonst wahrscheinlich nicht gehabt hätte. Generell ist Silverhand und Vs Interaktion und die Geschichte drumherum eine der großen Stärken des Spiels, die zugehörigen Nebenmissionen habe ich besonders gerne gespielt.
Ein schwieriges Spieldesignproblem scheinen Waffen zu sein. Denn Cyberpunk reiht sich ein in eine Reihe illustrer Spiele, bei denen Pistolen und Revolver unerwartet stark sind. So wie bei Alpha Protocol nach ein paar Skills die Pistole die stärkste Waffe war, bei Mass Effect Pistolen die interessantesten Varianten hatten und bei Deus Ex Pistole wie Revolver für jeden Gegner ausreichten bzw schon durch den knappen Inventarplatz bevorzugt waren, ist nun bei Cyberpunk ein Revolver wohl die stärkste Waffe im Spiel. Immerhin haben die anderen Waffengattungen auch ihre Vorteile und der Revolver braucht wahrscheinlich passende Skills wie Ausrüstung, aber ich finde dieses Phänomen doch überraschend.
Technik und Bugs
Das wenig überraschende, aber positive zuerst: Das Spiel sieht großartig aus. Die Technik der Grafik ist unheimlich beeindruckend, aber auch das mit ihr umgesetzte Design ist verblüffend gut. Von der Gestaltung der Charaktere (samt ihrer Animationen und Mimik), der Spielwelt bis zu den Ausrüstungs- und Kleidungsstücken sieht das alles einfach toll aus. Selbst ohne Raytracing. Aber das war vorab klar, deswegen ja das Warten auf akzeptable Preise für eine moderne Grafikkarten.
Cyberpunk lief mit dieser und meiner übrigen Hardware unter Linux dann ordentlich. Ich spielte mit GE-Proton7-55, womit das Spiel immer stabil lief. Drei Fehler würde ich Proton anlasten:
- Ein manchmal eintretender FPS-Einbruch, den immer ein Neustart beheben konnte,
- ein sich als blaue Haut zeigender seltener Grafikfehler, den ebenfalls ein Neustart des Spiels beheben konnte,
- und ein etwas häufigeres leichtes Klackern oder Rauschen im Sound, bei dem ein Neustart nicht immer half.
Bei der Performance im Normalfall wurde meine Radeon RX 6600 durch die hohen Einstellungen auf 1080p nicht voll ausgelastet, weil der i5-5675C als Vierkernprozessor zu sehr bremste - die FPS schwankten zwischen 30 (Stadtgebieten) und 50 FPS (Innenräume, außerorts). Das war spielbar, wenn nicht gerade der FPS-Einbruch zuschlug (und dann eben nach dem Neustart), ein besserer Prozessor mit mehr Kernen würde aber helfen.
Bugs und Auffälligkeiten gab es in dieser Version des Spiels (v1.62) überraschenderweise immer noch. Wohl nicht mehr repariert werden die Spiegel, die man als Smart-Spiegel einschalten muss, wohl um zu übertünchen dass V im regulären Spiel keine eigene Reflexion hat. Einfach peinlich. Aber die echten Bugs sind schlimmer.
Einmal sah ich sogar einen schwebenden Passanten, Meme-Material aus der Anfangszeit des Spiels. In einer der ersten Szenen des Spiels, in der Garage von Vs Appartmentkomplex, aktivierte sich das Fahstuhlbedienfeld nicht (ein Neustart half). Im Nachrichten-Interface war einmal die erhaltene Nachricht ob der großen Antwortmöglichkeiten nicht lesbar, als ob sie das nur mit 4K-Auflösungen getestet hätten. Mehrmals schoss ich auf Gegner, die in diesem Schusswinkel permanent unverwundbar blieben, da stimmten die Hitboxen nicht. Ein gestohlenes geparktes Auto verschwand einfach, obwohl ich in ziemlicher Nähe blieb, generell verschwinden manchmal andere Autos im Verkehr nach einem Kameraschwenk – was man aber ausblenden kann, wenn man sich an solchen Simulationsfehlern nicht stören will.
Fazit
Das ist Cyberpunk 2077 eben entgegen der Versprechungen nicht geworden, eine Simulation. Die Spielwelt fühlt sich nur durch Inszenierung und Erzählung lebendig an.
Aber das tut sie eben, es ist mehr als ausreichend. Cyberpunk webt seine dichte Erzählung einer dystopischen Cyberpunkwelt und erzählt darin eine spannende Geschichte mit coolen Charakteren und schwierigen Entscheidungen, bietet aber auch spielerisch mit den alternativen Lösungsansätzen, Rollenspielmechaniken und Feuergefechten ein tolles Spiel. Besser geht immer, aber nur im Detail.