Kaputten Maustaster auswechseln (am Beispiel der Cherry MW 4500)
Monday, 22. November 2021
Meine Cherry MW 4500 wollte plötzlich die mittlere Maustaste nicht mehr zuverlässig registrieren. Ich drückte, oft passierte nichts – unter Linux etwas problematisch. Vermutete ich erst ein Softwareproblem, zeigte eine Ersatzmaus: Es lag an der Maus selbst.
Aber ich hatte ja noch Garantie (laut Datenblatt, die dreijährige erweiterte Herstellergarantie). Jacob reagierte schnell und großzügig: Es gab ohne Einsendung der Maus den vollen Kaufpreis zurück. Nun hätte ich die alte Maus wegschmeißen und das Modell einfach nochmal kaufen können, oder eine bessere suchen – beides wollte ich aber nicht wirklich. Sie einfach neu zu kaufen wegen nur einem Schalter wirkte verschwenderisch, eine wirklich bessere Alternative (z.B. ähnliche Form mit einem besseren Sensor) fand ich nicht. Also war reparieren angesagt, was mir die Garantiebedingungen vorher verboten; Überraschenderweise hat das geklappt!
Dieser Zusammenschrieb soll zeigen wie ich das anging und möglichst viele hilfreiche Seiten verlinken. Teilweise sind die Informationen spezifisch für die MW 4500, aber im Grunde ist das Verfahren für jede Maus gleich, z.B. für die Logitechmäuse mit ihrem Doppelklickproblem. Praktisch eine Langform dieses Guides plus eigenen Eindrücken.
Grundidee und Material
Wenn man eine Maustaste (oder hier: das Mausrad) drückt, drückt man in Wirklichkeit einen darunter liegenden Schalter. Wie bei einer Tastatur. Die Idee ist jetzt, dass der wohl kaputt ist und man die Maus repariert, indem man den Schalter auswechselt. Dafür muss man die Maus aufmachen können, den alten Schalter ablöten und den neuen auflöten.
Es gibt zwei Arten von Schaltern in Mäusen: Optische und mechanische. Mechanisch ist normal, optische sind (derzeit?) nur in Spezial-Spielermäusen. Optische mit mechanischen zu wechseln geht nicht, aber mechanische mit anderen mechanischen geht durchaus. Es gibt einen hilfreichen Schalterguide hier. Ihmzufolge unterscheiden sich die Schalter bei Klickgefühl und Qualität, aber es spricht wenig dagegen einfach irgendwas auszuprobieren.
Da ich in Deutschland nichts gefunden habe kaufte ich zwei Schalter bei Aliexpress, genau diese hier. Also zwei blaue Huano-Schalter, was laut Guide eher schwergängige Schalter sein sollen, das erschien mir als dritte Maustaste passend. Sie kamen nach drei Wochen bei mir an und kosteten samt Versand 2,71€.
Zum Aufmachen der Maus brauchte ich einen passenden Kreuzschlitzschraubenzieher, den hatte ich. Ein (superbilliges) Löteisen samt Ablötpumpe hatte ich ebenfalls hier. Eine Zange zum Greifen des Mausschalters war auch hilfreich. Zudem half die Hausphysikerin bei dieser Aktion ungemein, auf jeden Fall würde ich ein zweites Paar Hände empfehlen.
Auseinanderbau
Das wird sich bei jeder Maus stark unterscheiden. Für die MW 4500 fand ich dieses Video:
Es zeigt den Zusammenbau, war aber auch für die Gegenrichtung sehr hilfreich, denn ich hing an ein paar Stellen, bis ich die Maus erstmal so weit aufbekam.
Das Auseinandernehmen funktioniert so:
- Zuerst die Batterien entfernen.
- Als nächstes die vier Schrauben unten abnehmen, die durch die Mausfüße versteckt sind. Dabei die Mausgleiter sorgfältig zur Seite legen, um sie wiederbenutzen zu können.
- Jetzt die Maustasten abnehmen. Das ist ein Plastikteil, das nur aufgesteckt ist. Etwas knifflig, weil es so wirkt als würde man es abbrechen. Beim ersten mal bin ich da vorsichtig mit einem Schlitzschraubenzieher als Hebel druntergegangen, das half.
- Jetzt hat man Zugriff auf vier weitere Schrauben.
- Sind die weg, kann der Körper der Maus entzweigeteilt werden. Der ist jetzt nur noch zusammengesteckt, was wieder gefährlicher wirkt als es ist.
- Das Board mit den Mausschaltern ist mit drei kleineren Schrauben befestigt, die jetzt gelöst werden müssen.
- Die beiden Ribbonkabel kann man nun auch noch abstecken.
Jetzt ist das obere Board lose und damit sind die Mausschalter erreichbar.
Entlöten des alten Schalters
Die Maus zu zerlegen war schon etwas knifflig, aber nur weil ich nicht wusste wie sie aufgebaut ist. Weiß man das erstmal ist es relativ einfach. Das Entlöten dagegen haben wir selbst zu zweit noch schwer gefunden als wir wussten wie es gehen sollte, wobei wir beide das nie gemacht hatten. Ich fand vorher diese Anleitung, sie aber nicht zu hilfreich.
Wir machten das (nach ein paar Fehlversuchen) stattdessen so: Das Löteisen heißwerden lassen. Dann erstmal mehr Lötzinn an die Lötstelle anbringen, die entfernt werden soll. Also das Lötzinn mit dem Löteisen erhitzen, es wird flüssig, dann die Masse an die bestehende Lötstelle bringen. Die waren uns sonst zu klein und wollten sich einfach nicht wegpumpen lassen.
Erst jetzt die vergrößerte alte Lötstelle zum Wegmachen direkt erhitzen. Mir war dabei vage bewusst, dass das grüne Board nicht zu heiß werden darf und vom Löteisen nicht berührt werden sollte, was aber schwer umzusetzen ist. Nach eine Weile sollte die Masse flüssig werden, das sieht man recht deutlich. Dann die Lötpumpe benutzen, um soviel wie möglich des Lötzinns zu entfernen. Das klappte leider nicht zu 100%. Wir erhitzten dann weiter die Lötstelle und zogen mit einer Zange den Mausschalter von der anderen Seite vorsichtig weg. Am Ende nochmal die Lötpumpe benutzen.
Das könnte auch anders funktionieren, wie gesagt, ich hatte da null Erfahrung. Es sieht in diesem Video zum Beispiel ganz einfach aus:
Auflöten des neuen Schalters
Das Anbringen des Ersatzschalters war im Vergleich zum Ablöten super einfach. An die alte Position bringen und das ganze festhalten. Die andere Person erhitzt den Lötzinn und bringt ihn beim Metall an, an den beiden Füßen die auch vorher eine Lötstelle hatten. Fertig.
Da kann man sich vielleicht vorher eine Anleitung wie diese hier (und den zweiten Teil) anschauen, wobei meine Ausrüstung hier viel schlechter war:
Zusammenbau
Der Schalter ist gewechselt, alles sieht gut aus:
Dass da im Bild zwei Schalter gewechselt sind war natürlich ein gewollter Test und keine Verwechslung des Zielschalters, *hust*. Der Zusammenbau ist dann nur der umgedrehte Auseinanderbau, das Video von oben hilft jetzt bei der MW 4500 direkt. Die Mausgleiter sollten sich wieder an die Füße ankleben lassen. Wobei sie bei mir vorher besser glitt. Als Ersatz kommen die Lexip Mo42 in Betracht, Mausfüße aus Keramik, die auf fast jede Maus passen sollten. Auf die meine passten sie auch.
Das Ablöten war für uns als Anfänger eigentlich zu schwer, aber es hat funktioniert! Mit dem neuen Schalter kann die Maus wieder einwandfrei mittelklicken. Ich freu mich sehr, die MW 4500 daher behalten zu können – und da ich bis auf den Mausschalter alles für die Reparatur bereits hier hatte war die Aktion sehr günstig.
Linksammlung 46/2021
Friday, 19. November 2021
Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
Apple announces Self Service Repair, was erstmal toll klingt. Denn es ist eine uneingeschränkt gute Sache Ersatzteile und Anleitungen zur Hand zu haben. Aber HN-Kommentatoren merkten direkt an, dass die Pressemeldung irreführend ist und Apple selbst eigenen Partnern kaum Ersatzteile bereitstellt.
Der Verfassungsblog schreibt sehr überzeugend zum Infektionsschutzgesetz: Besser Gesetze nicht ändern als schlecht ändern.
Wie verbinde ich mich per SSH auf einen nur über IPv6 angebundenen Server, wenn ich daheim nur IPv4 habe? Das ist fast das Szenario Server hinter Unitymedia DS-Lite Anschluss betreiben, die Lösung 6tunnel
und ein Zwischenschritt über einen Server der beides kann.
Digital Foundry fragt Grand Theft Auto 3 Definitive Edition Tech Review: Is It Really That Bad? (Video) und antwortet mit einem sehr eindeutigen Ja.
Wichtiger Hinweis: Boosterimpfungen ab jetzt (regional?) ohne Frist
Tuesday, 16. November 2021
Ich war gestern beim Arzt und wurde von einer Auskunft überrascht, die ich hier teilen will: Die Sechsmonatsgrenze für die dritte Impfung hat sich erledigt.
Die Praxis hat schon vorher Leute auch vor Ablauf der sechs Monate geimpft, wenn es ein erhöhtes Risiko gab, sei es durch die medizinische Lage oder z.B. durch den Job des Impflings. Ansonsten wurde die sechs Monate gewartet und Impfwillige abgewiesen, wie es ja auch jetzt noch die offizielle Empfehlung der STIKO ist:
Aus immunologischen und infektionsepidemiologischen Gründen ist es sinnvoll, über die genannten Risikogruppen hinaus mittelfristig auch allen anderen Grundimmunisierten eine Auffrischimpfung anzubieten. Bei einer Auffrischimpfkampagne sollte soweit wie möglich nach absteigendem Lebensalter vorgegangen werden. Die Geschwindigkeit im Vorgehen bei einer solchen Impfkampagne wird maßgeblich von den regionalen Impfkapazitäten abhängen.
Eine Auffrischimpfung soll bei immunkompetenten Personen frühestens sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung erfolgen. Die konkreten Empfehlungen zur Auffrischimpfung für Personen mit Immundefizienz wurden bereits in der 11. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung der STIKO ausführlich dargestellt.
Also nicht nur wird da die Montagsgrenze betont, sondern bedeutet die gewollte Priorisierung noch zusätzlich Warten für die Nicht-Priorisierten.
Das wird zumindest die Praxis bei der ich war aber nicht mehr so halten. Die Kassenärztliche Vereinigung habe da umgedacht. Ich war überrascht, weil ich davon (auch jetzt noch) nichts gelesen habe, aber das sei eine Entwicklung der letzten vier Tage. Jetzt soll jeder, der sich nochmal impfen lassen will, direkt geimpft werden. Klar, wenn jemand vor zwei Monaten mit Biontech geimpft wurde macht die dritte Impfung wenig Sinn, aber bei den meisten ist es ja länger her und da würde nicht mehr abgewiesen.
Ich finde das gut. Die Lage ist so mies, zudem wäre bei mir das Risiko bald nochmal erhöht gewesen, vor dem regulären Boostertermin im Januar. Meine Zweitimpfung war Ende Juli. Sie war wie die Erstimpfung im Impfzentrum, es hat also auch nichts mit Praxisloyalität zu tun. Die Drittimpfung wird jetzt am Donnerstag sein.
Louis Begley – Killer, Come Hither
Monday, 15. November 2021
Killer, Come Hither verpflanzt Begleys übliches Werk in einen Krimi. Anstatt dass der Schriftsteller sich wieder an etwas ganz neuem probiert – was bei seinem Dreyfus-Sachbuch fantastisch war – hat er viel altes beibehalten.
Der mordlösende Protagonist Jack (wirklich!) ist also nicht einfach ein Ex-Soldat, nein, Elite-Ex-Soldat, er ist gleichzeitig ein supererfolgreicher Schriftsteller von einer Eliteuni. Und hat einen Anwalt als Freund, der ihm ein Sommerhaus zukommen lässt, sodass er zwei Seiten später als Millionär im Schickimicki-Umfeld von Schmidt und Begleys anderen Hauptfiguren herumläuft. Er verhält sich sogar gleich, säuft und frisst sich durch die Geschichte, Frauen gibts auch, als ob es ein überzogener normaler Begleyroman wäre. Auch der Erzählerstil ist genau der gleiche.
Nur ist es eben keiner der normalen Romane von Begley, mit ihren faszinierenden Gesellschaftsbeobachtungen und Lebensentwürfen. Denn stattdessen gibt es einen Mord zu klären und Kämpfe zu gewinnen.
Als Idee ist das charmant. Ehrensachen und Geschichten einer Ehe waren sowieso schon halbe Krimis, warum es nicht mal durchziehen? Doch als Lektüre wirkte es auf mich lächerlich. Die üblichen Begleyelemente verschaffen den Krimielementen keine gute Umgebung, sondern sie wirken künstlich und aufgesetzt. Und schlimmer: Abschreckend. Machte es mir bei Schmidt noch Spaß, seinen Eskapaden zuzusehen, sich diesem Umfeld zu nähern und für sich abzustecken, wo Schmidt ein Arsch ist, wo er Recht hat und wann es einfach eine tragische Situation ist, ist all das bei Jack genau wie sein Name: Stumpf. Der Typ ist nämlich einfach nur ein Arsch, ein Kehrbild der üblichen bedachten Figuren des Autors, der aber alles kann und dem alles gelingt. Keine Sekunde ist das glaubwürdig, wenn es als Witz gedacht war ging er an mir vorbei.
Und die Krimielemente der Handlung sind völlig belanglos.
Nichts also rettete mir diesen Roman: Er gefiel mir nicht als Begleyroman, er funktionierte für mich nicht als Krimi, als Parodie konnte ich ihn auch nicht lesen. Begley hat so viel gutes geschrieben; hoffentlich hatte er hier wenigstens Spaß dran.
maiLab: Impfpflicht ist OK
Sunday, 14. November 2021
Linksammlung 45/2021
Friday, 12. November 2021
Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
In Linux hates me – Daily Driver Challenge Pt.1 rennt Linus von LTT in einen bösen Pop_OS!-Bug, sein Kollege dagegen hat fast keine Probleme. System76 hat direkt mit einem Patch reagiert.
Es gibt einen Public Report – WhatsApp End-to-End Encrypted Backups Security Assessment.
Phoronix sagt, The Framework Laptop Is Great For A Linux-Friendly, Upgradeable/Modular Laptop. Wussten wir schon, aber gut es nochmal bestätigt zu haben.
Die Reflections über Ebikes sind einleuchtend.
Wie Fallout 4 auf diesen Fan von New Vegas wirkte
Monday, 8. November 2021
Wieviel besser New Vegas (FNV) mir im Vergleich zu Fallout 3 gefiel war ein wichtiger Punkt in meinem Rückblick auf das Kultrollenspiel. Dementsprechend habe ich erst jetzt Fallout 4 gespielt, da ich mit dem alten Entwickler Bethesda eine Rückkehr alter Schwächen erwartete. Diese Einschätzung war nicht ganz verkehrt, tat dem neuesten – aber nicht neuen, denn Fallout 4 ist von 2015 – Teil der Serie aber auch Unrecht.
Stärken bei Grafik und Story
Fallout 4 beginnt vor der Apokalypse. Morgens vor dem Spiegel wird die Hauptfigur ausgewählt, Mann oder Frau, das Aussehen angepasst sowieso die Attributspunkte verteilt. Ein Baby schläft im Kinderzimmer und will beruhigt werden. Ein Vault-Tec-Mitarbeiter klingelt genau zum richtigen Moment und holt das Einverständnis zu einem Bunkerplatz ein, da gehen auch schon die Alarmsirenen los. Und ein paar Ereignisse später wacht der Spielercharakter im Bostoner Ödland mit einem stark motivierten Ziel auf.
Schon der Beginn der Handlung ist also spannend, kommt schneller zum Punkt als es das Aufwachsen im Bunker von Fallout 3 getan hatte, und anders als beim konfusen Beginn von New Vegas rätselt man nicht erstmal was überhaupt passiert ist. Ähnlich stark geht das weiter, mit nur ein paar Abstrichen zu denen ich weiter unten kommen werde. Die Hauptstory bleibt das ganze Spiel über spannend, sie hat ein paar Wendungen sowie toll inszenierte Momente parat. Sie behandelt typische Scifi-Themen, was Fallout zwar bisher nie so direkt tat, aber der Serie auch nicht schadet.
Dabei wird der Spieler automatisch mit den dreieinhalb Hauptfraktionen der Region in Kontakt treten und sich zwischen ihnen entscheiden müssen.
Und während man das alles erlebt sieht man die Welt in einer viel hübscheren Grafik als früher. Das hat mich der verflossenen Zeit zum Trotz am meisten überrascht. Denn Elder Scrolls Online, Fallout 76 und vielleicht auch die übliche Youtube-Videokompression von Spielaufnahmen hatten mir den Eindruck vermittelt, dass Fallout 4 gerade in den Ruinen immer noch schlecht aussehen würde. Und ich messe ja nicht gegen den Originalzustand FNVs zur Veröffentlichung, sondern gegen den Topzustand mit all den grafikverbessernden Mods, die ich damals benutzte. Aber die negative Erwartung stimmt überhaupt nicht. In Fallout 4 kommen stattdessen ganz viele verschiedene Engineverbesserungen mit einem generell besseren Objektdesign zusammen. Das Ergebnis ist meist einfach hübsch, bei den Animationen, der Beleuchtung und auch gerade bei Objekten in nächster Nähe hat sich unheimlich viel getan. Zudem sind die Gesichter der NPCs tausendmal besser gelungen als in New Vegas. Klar, es ist kein ganz aktuelles Spiel und sieht auch nicht so aus, aber trotzdem fand ich es überraschend hübsch.
Wobei, Einschub: Viel des positiven Eindrucks hängt mit den Einstellungen zusammen. Ich hatte zu Beginn länger experimentiert, weil ich einerseits Protons FSR-Unterstützung ausprobieren wollte, andererseits auf Seiten wie dem PCGamingWiki auf SMAA als Alternative zum eingebauten FXAA/TXAA hingewiesen wird. Doch letzten Endes sah reguläres 1080p mit TXAA am besten aus und ich hatte mit meiner RX 570 nur wenige Performanceprobleme oder Grafikfehler, bei denen immer Inkompatibilitäten mit Proton als Ursache angenommen werden dürfen. Es gab zudem ein paar Slowdowns, die ein Neustart behob. Ansonsten war die Bildqualität meist sehr gut und in meiner Konfiguration vor allem sehr ruhig, was bei Bethesda-Vorgängerspielen selbst mit Mods und Spezialkonfiguration fast nie zu erreichen war.
Neben der Haupthandlung gibt es natürlich viele Nebenmissionen. Manche davon sind großartig geworden, wie eine kleine Questreihe in Goodneighbours, bei der der Spielercharakter als Comicsuperheld verkleidet auf Verbrecherjagd geht und währenddessen in jedem Gespräch in dieser Rolle antworten kann.
Viele Änderungen sind Verbesserungen
Nun ist Fallout 4 aber nicht ein nur grafisch aufpoliertes Fallout 3 oder New Vegas mit einer neuen Story, sondern sein eigenes Spiel. Nicht alle der Änderungen sind positiv. Aber viele sind es.
So hat die eigene Ausrüstung keinen Reparaturzustand mehr. Selten habe ich eine Funktion weniger vermisst. Es macht das Spiel schlicht weniger nervig, nicht immer wieder die eigene Ausrüstung reparieren zu müssen. Klar, es entfernt auch etwas Anspruch, aber in meinen Augen ist diese Änderung klar positiv. Kämpfe werden so noch angenehmer, wobei es für sie auch generell mehr Ressourcen (Munition sowie Granaten und Heilung) gibt.
In diesen Kämpfen verlangsamt das VATS-System jetzt nur noch die Zeit, anstatt sie ganz anzuhalten, während die Körperteile der Gegner anvisiert werden können. Das entfernt eine spannungsminimierende Ruhepause aus den Kämpfen, ohne die Funktion nutzlos werden zu lassen. Gelungen. In dem neuen VATS-Modus werden kritische Treffer nicht mehr zufällig ausgelöst, sondern durch Tastendruck ausgewählt, nachdem sich durch erzielte Treffer die Leiste dafür aufgeladen hat – eine der wenigen Verkomplizierungen, die aber tatsächlich eine gute Entscheidungskomponente in das Spiel bringt. Wegen mir hätte es auch beim Pausenmodus bleiben können, aber der Zeitlupen-VATS hat schon was.
Nett: Radioaktivität ist nicht mehr ein eher versteckter Statuswert mit unklaren negativen Auswirkungen, sondern verkleinert einfach direkt den Lebensbalken. Schlicht und deutlich.
Eher neutral als positiv sehe ich eine der größten Neuerungen: Den Baumodus. Crafting hatte New Vegas schon und gab so dem ganzen Kram in den Ruinen ein bisschen Relevanz. Fallout 4 geht einen Schritt und lässt den Spieler mit aus dem Schrott gewonnenen Rohmaterialien überall in der Spielwelt verteilte Siedlungen erweitern. Damit die Funktion ja nicht übersehen wird gibt es direkt im ersten bereisten Dorf zu rettende Vertreter der Minutemen, einer der vier Fraktionen, bei denen der Hauptanteil der Fraktionsstory darin besteht Siedlungen auszubauen und zu verteidigen. So braucht es einen Generator um mit einem Radioturm Siedler zu gewinnen, die dann Betten, Wasser, Nahrung und Verteidigungswerke haben wollen.
Es ist schon ziemlich cool, der Spielwelt so permanente eigene Änderungen hinzuzufügen. Andererseits hat man als Spieler wenig davon, insbesondere fast keine Vorteile im weiteren Spielverlauf. Warum sollte man zum Beispiel mehr Siedler anlocken, wenn das nur mehr Arbeit und schlechtere Performance bedeutet? Der Siedlungsbau lässt sich so nur als eigenes Minispiel betreiben. Die Rohstoffe dienen zwar auch dem Bauen von Mods sowie der Reparatur von Powerarmor, aber dafür reicht gelegentliches eigenes Sammeln ebenfalls – die vielen regulären Quests schicken doch sowieso in die Ruinen. Daher ist der Siedlungsbau irrelevant und wird viel zu schnell langweilig, aber eine gewisse Faszination am Anfang will ich nicht verhehlen, weshalb die Änderung hier bei den Verbesserungen gelistet wird.
Die erwähnte Powerarmor gibt es im Spiel jetzt häufiger und früher, sogar fast direkt zu Spielbeginn. Sie muss repariert werden und braucht sogar eigene Energiezellen. Eine große Änderung gerade zu Fallout 2, wo diese Rüstungen einfach die Endklasse an Ausrüstung war – aber durch die Akkus immer noch etwas, was man sich eher fürs Endspiel aufhebt, wobei ich am Ende eine große Reserve hatte. Man kann diese verringerte Exklusivität schade finden, denn sie entwertet. Und die Rüstungen schaden dem Balancing, sie sind zu mächtig, und warum zum Teufel kann man in ihnen schleichen? Aber mir überwog der Spaß daran, die Rüstung für die kampfeslastigsten Missionen vorzuhalten und zwischendurch aufzurüsten, schließlich mit ihnen durch die Gegnermassen der Endmissionen zu gleiten.
Reguläre Rüstung gibt es auch noch, es finden sich diesmal komplette Sets und alternativ Einzelteile. Leider bekommt man viel zu früh eines der besten Rüstungssets, wodurch sich das Thema dann fast erledigt hat. Die Waffen orientieren sich an den Vorgängern, aber es gibt jetzt zufallserstellte(?) legendäre Versionen der regulären Waffen – oft Überbleibsel zufällig auftauchender legendärer Feinde, stärkeren Versionen von Standardgegnern – die dann Zusatzeffekte haben. Zum Beispiel fand ich einen Revolver mit Flächenschaden durch explodierende Kugeln. Insgesamt gibt es bei Rüstungen wie Waffen eine angenehme Varianz, was mehr noch gelten würde wenn die Rüstungen besser verteilt wären und es Rüstungsklassen (leicht, mittel, schwer) gäbe.
Schließlich ist noch das Gesprächssystem stark umgebaut. Es gibt nun immer vier Antwortmöglichkeiten, wobei nie 100% klar ist was der Spieler sagen wird, ähnlich wie bei Mass Effect. Ein Nachteil an sich, wobei die Richtung der Antwortmöglichkeit immerhin seltener überrascht. Dafür sind die Gespräche besser ins Spiel integriert, die Kamera geht fließend in einen Gesprächsmodus über und auch wieder heraus. Das hat was, hätte aber ohne die Nachteile umgesetzt werden können, wie ein beliebter Mod zeigt.
Schwächen beim Rollenspiel und durch Bethesda-Marotten
Aber natürlich mussten die Macher in ihrem Ansinnen, das Spiel zugänglicher zu machen, über das Ziel hinausschießen und haben manche Aspekte der Fallout-Reihe verschlechtert. Wieder einmal; Hier wiederholt sich dann eben doch, was damals für Fallout 3 galt.
Es gibt kein Karmasystem mehr. Man kann sich mit Fraktionen verfeinden und Begleiter mögen manchmal bestimmte Aktionen bzw. andere nicht. So will die Belgeiterin Piper nie, dass man stiehlt, freut sich aber über jedes geknackte Schloss und jeder geholfenen Seele. Aber Karma wie man es aus den Vorgängern kannte ist weg, selten auch, dass die Alternative genutzt wird und frühere Entscheidungen neue Gesprächspartner beeinflussen. Eine negative Vereinfachung.
Selbst Fähigkeitspunkte gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es nun bei jedem Levelaufstieg einen Perkpunkt. Welche Perks wählbar sind hängt nur noch von Attributen und dem Level ab, nicht mehr von den verschmähten Fähigkeitswerten oder anderen Perks, können dafür aber mehrfach gewählt werden und dann auch Zusatzeffekte haben. Das Ergebnis: Jeder Charakter kann fast alles, beispielsweise jede Waffe bedienen. Besseres Crafting und Siedlungsbau braucht bestimmte Perks, aber ansonsten sind die Perks einfach Boni. Teils sind sie an die alten Perks angelehnt und etwas interessanter, wie Bloody Mess. Aber andere erhöhen dann einfach den Schaden in einer Waffenkategorie, was zum Durchspielen noch dazu komplett unnötig ist. Hier hat Bethesda eine Schnapsidee aus Skyrim übernommen. Es kommt noch dazu: Dementsprechend gibt es auch in Gesprächen keine alternativen Skillchecks mehr, nur noch Charisma dient dem Überzeugen, ein massiver Rückschritt zu New Vegas.
Thema Skyrim: Was war am nervigsten an Skyrim? Für mich, dass jede Höhle, jede Ruine eine belanglose Geschichte erzählen musste und dass man mit Nebenquests zugemüllt wurde. Fallout 4 verbessert den einen Aspekt davon, weil die an den Orten erzählten Geschichten besser gelungen sind und weniger erzwungen wirken. Dafür übernimmt es mit Endlosquests die größte Unart von MMORPGs und verschlimmert das Zumüllen des Questbuchs tausendfach. Gerade die Minutemen (aber auch alle anderen Fraktionen haben ein Äquivalent) geben dem Spieler immer wieder die gleichen Aufträge: Gehe irgendwohin und töte alle Feinde, gehe zu einer Siedlung und verteidige die. Es ist ein endloser Strom an Langeweile. Das schlimmste: Diese Quests sind nichtmal als Endlos-Nebenquests markiert, was direkt damit konkurriert, dass die Minutemen-Quests automatisch im Questbuch erscheinen! Wer also wie ich in RPGs anstrebt, irgendwann alle Nebenquests im Log zu erledigen, der muss sich von diesem Gedanken verabschieden und hat durch diese Mechanik einen ewigen Stör- und Stressfaktor.
Störend wird auch, dass Bethesda weiterhin nur eine Art von RPG-Story erzählen kann: Die des messianischen Auserwählten. Natürlich war man auch in Fallout 1 und 2 ein wichtiger Einflussfaktor auf die Spielwelt, in fast jedem Rollenspiel ist man es, FNV betonte das sogar. Aber nicht in dem Ausmaß wie hier, nicht mit dieser kognitiven Dissonanz. In Fallout 4 läuft man der Brotherhood of Steel über den Weg, die eine elitäre und geheimniswahrende Militärorganisation ist, die üblicherweise mit dem Gesindel von außerhalb der eigenen Reihe nichts zu tun haben will und die selbst in Fallout 4 die ganze Zeit die eigene Überlegenheit betont. Im gleichen Atemzug schaut einer der Paladine dich beim ersten Treffen an und sagt "Hey, willst du nicht eine Mission mit mir machen, du bist ja so außergewöhnlich!". Dann läuft man ihm in einem Gebäude hinterher, er erledigt alle Gegner, und sagt dann: "Du warst so toll da drin, du solltest uns beitreten!". WTF.
Dass die eigene Überbefähigung so gar nicht erklärt wird, gleichzeitig aber auch so übertrieben betont wird, ist für die Immersion und Konsistenz des Spieluniversums zerstörerisch. Obwohl die anderen Fraktionen da etwas bessere Einführungen haben, war selten ein Spiel in dieser Disziplin so schlecht wie Fallout 4.
Beim Balancing ist nervig, dass Bethesda immer noch manche Gegnerarten falsch einsortiert. Zum Beispiel waren in Fallout 1+2 Radscorpions Anfangsgegner, Supermutanten gehörten mehr Richtung Endspiel. Fallout 4 aber hat wieder ein Levelsystem, bei dem Feinde in verschieden starken Varianten erscheinen, was sich wohl am eigenen Level orientiert. So weit, so schlecht, aber wenn mit diesem System ordentlich zwischen Gegnertypen unterschieden wird muss es nicht zu sehr schaden. Doch auf diesem Wege trotz des Autobalancing Konsistenz mit den Originalspielen zu wahren, daran denkt Fallout 4 gar nicht: Die einfache Form von Supermutanten ist ziemlich ungefährlich und viel zu häufig, während Radscorpions in ihrer einen mir erschienenen Variante ziemlich harte Feinde waren.
Warum Bethesda mit diesem Vorhalten von einfachen Varianten von historisch harten Gegnern immer wieder ganzen Gegnerklassen ihre Gefährlichkeit und damit ihren Charakter nehmen muss wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Warum hier grundlos mit den Konventionen der Originalreihe gebrochen wird ist mir auch unerklärlich. Da wiederholen die Entwickler nur stur Fehler von Fallout 3, es wirkt wie kindlicher Trotz. Immerhin, anders als in Oblivion gibt es in Fallout 4 wenigstens ein ziemlich gutes Fortschrittsgefühl, weil die Anfangsgegner nie komplett verschwinden. Und es gibt sogar Gebiete, die auf ein hohes bzw. ein niedriges Stärkeniveau festgelegt sind, also für Anfangscharaktere zu schwer oder für starke Charaktere ein Klacks sind – Yeah! Aber bei der Gegnereinordnung zeigt New Vegas trotzdem wie es besser geht.
Vor allem aber zeigte New Vegas, wie man in einem modernen 3D-Rollenspiel Quests so anlegt, dass sie auf mehrere Arten lösbar sind und zudem den Spieler einen Charakter spielen lassen. Davon hat Fallout 4 Ansätze, aber vergisst es oft im kleinen. Im Grunde erledigt man die Missionen immer auf der einen vorgegeben Weise und kann höchstens entscheiden, wie man sich durchkämpft und welche Missionen bzw welche Fraktion man wählt. Das macht Fallout 4 nicht zu einem schlechten Spiel, aber zu einem eindeutig schlechteren Rollenspiel.
Und schließlich ist da die Erbsünde, der große Verrat von Fallout 3: Das Spiel täuschte anfangs vor, dass es wie in den Vorgängern Entscheidungen geben würde und man mit ihnen das Schicksal der Spielwelt beeinflussen würde. Und dann gab es im Abspann keine Auswirkungen der Entscheidungen, was eine Riesenenttäuschung war. Fallout 4 wiederholt diesen Extremfehler und speist den Spieler mit einem belanglosen und kurzen Abspannvideo ab, das keine individuellen Schicksale von Orten und Personen erwähnt.
Nur dass man weiterspielen kann und auch schon davor Konsequenzen im Spiel gezeigt wurden macht das etwas erträglicher. Es bleibt aber ein massiver Fehlgriff, diese Art der weiterführenden Geschichtenerzählung bei einem Fallout zu unterlassen. Zu lange war das ein elementarer Bestandteil der Serie, zu cool wäre es gewesen, es auch hier wieder zu erleben.
Bugs
Ich spielte mit einer Radeon RX 570 unter Linux via Proton. Manche der Bugs lassen sich damit erklären, insbesondere die Grafikfehler, die Godrays auslösten. Andere sind wahrscheinlicher dem Spiel zuzurechnen: Nach ihrer Aktivierung zu Terminals zu gleiten blieb oft stecken und erforderte ein Neuladen; Bei wenigen Quests gab es Skriptfehler, die ein Neuladen erforderten; Mein Begleiter reagierte bei einer Nacherzählung in einem Questgespräch der Haupthandlung überrascht, obwohl er beim Beschriebenen selbst dabei war; Piper blieb gerne an Objekten hängen oder verschwand einfach für eine Weile. Nichts davon machte das Spiel kaputt, auch stürzte es nie ab.
Fazit
Von New Vegas kommend ist Fallout 4 eine willkommene Modernisierung. Es sieht gut aus und schleift ein paar unangenehme Kanten gelungen ab, wie die fast vollständig entfernte Ausrüstungsreparatur – und sie für Powerarmor zu behalten ist superpassend, erhöht es doch die Hürde zum Einsatz dieses mächtigen Werkzeugs. Umso cooler, dass mit Project Mojave ein ernsthaftes Projekt dabei ist, FNV mit der Engine von Fallout 4 nachzubauen. Wieviel Komplexität dann wieder hineingemodded werden muss sei dahingestellt, aber mit etwas Konfigurierbarkeit ließe sich ein guter Mittelweg finden.
Denn die zentralen Spielsysteme funktionieren sehr gut – allerdings als Lootshooter mit leichten Rollenspielelementen. Doch die erzählte Story ist cool, ich mochte Piper als Begleiter mit ihren Kommentaren zur Story, die großen Entscheidungen wirken wichtig; In diesem Aspekt wird Fallout 4 dann wieder mehr Rollenspiel als Shooter. Das gilt auch für viele der Nebenquests. Zusammen entsteht eine reizvolle Mischung.
Aber Fallout 4 ist auch unangenehm simplifizierend. Es ist unoriginell, wie der Spieler einfach nur eine Halbgottfigur ist und als solche wahrgenommen wird, ohne seine besondere Rolle in der Spielwelt sinnvoll zu verpacken. Fähigkeitspunkte zu entfernen übertreibt es massiv mit der spielmechanischen Vereinfachung, es schadet dem Spiel nur. Nochmal mehr bei der nun unmöglichen Verbindung derselben mit dem Gesprächssystem. Wenn sie stattdessen wenigstens die Perks in den Gesprächen benutzt hätten!
Das Siedlungsausbausystem verdient fast seinen eigenen Artikel. Die Entwickler haben gut erkannt, dass es nicht schlecht in die Reihe passen würde und in dieser postapokalyptischen Welt einen besonderen Reiz hat. Aber sie sind komplett daran gescheitert, es sinnvoll in das eigentliche Spiel zu integrieren. So wie das System jetzt im Spiel ist trägt es eine Stunde Spielzeit, danach ist es verschwendeter Code – und schadet aktiv den Quests, die darauf beharren die Aufbauelemente zu benutzen. Was aber meist sowieso Aufgaben aus automatisch generierte Endlosquesttypen sind, widerliche Lebenszeitfresser. Dass die im Spiel sind ist unfassbar, dass der beliebteste Mod im Nexus nicht einer ist der sie entfernt eine Enttäuschung.
Meiner Kritik zum Trotz ist Fallout 4 ein gutes Spiel und ich habe es gerne gespielt. Es ist nur gemessen an den früheren Qualitäten der Serie unter seinen Möglichkeiten, was sich dann von mir ausformuliert harsch liest. Klar, Fallout: New Vegas ist eines der besten Spiele aller Zeiten und damit harte Konkurrenz – Fallout 4 hätte es aber sogar übertrumpfen können, wenn die Entwickler neben den neuen technischen Errungenschaften etwas disziplinierter die klassischen Rollenspielqualitäten der Reihe betont und Blödsinn wie Endlosquestreihen zurückgewiesen hätten.
Um das noch deutlicher zu sagen: Gamersglobal hat Fallout 4 damals mit 9.5/10 bewertet, wovon ich höchstens einen halben Punkt abziehen würde.
Linksammlung 44/2021
Friday, 5. November 2021
Diesmal wird es politisch. Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
Die Intiative legt neues Brandgutachten zum Fall Oury Jalloh vor, weil Deutschland sich weiterhin weigert gegen Mörder in Uniform vorzugehen. Eine Klage gegen die scheinbar strafvereitelnde Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg (zumindest als Teil des wohl zuständigen Systems) soll folgen.
Ich empfinde die Fairphone True-Wireless Kopfhörer als Verrat. Es sind Wegwerfprodukte, da der Akku nicht auswechselbar ist. Damit ist Fairphone auf dem Niveau von Apple gelandet – ein bisschen Recycling bei der Produktion, das wars. Jetzt wird auch klar warum das Fairphone 4 keinen Kopfhöreranschluss mehr hat.
Das Rätsel um die Sneaker von Jan Delay ist keines, sondern eine Bestätigung: Zugunsten kurzfristiger Profite werden die Leute verarscht. Diese Modefirmen scheißen auf Umweltschutz.
Passend dazu Sie glauben nicht ans Reden: Bei Insulate Britain sind gerade ältere Menschen aktiv und wollen Aufmerksamkeit erreichen.
Und schließlich zeigt 2021 MacBook Pro Teardown: A Glimpse at a Better Timeline, wie Apple weiterhin aktiv ihre Produkte als Wegwerfschrott anlegt, sogar vermeintliche Profihardware. Wobei Apple bei früheren Produkten noch schlimmer war.
Welche Fehler Linux derzeit bei mir hat
Monday, 1. November 2021
Wie wir Software wahrnehmen ist oft Einstellungssache. Ich mag wofür Linux steht und verzeihe dem System dafür so manche Macke, während mich Windows im Laufe der Jahre so oft zur Weißglut gebracht hat und mir so unsympathisch geworden ist, dass jeder weitere Fehler des Betriebssystems den alten Zorn gleich wieder entfacht. Es gab da einen traumatischen Dateiverschiebeversuch unter Vista mit zehntausend Bestätigungsdialogen…
Aber ich werde hier mal versuchen, einen Schritt zurückzutreten und die momentan auftretenden Fehler meiner Linuxsysteme zu beschreiben, die mich wahrscheinlich mehr stören sollten als sie es derzeit tun.
Ich beschränke mich dabei auf den Desktop, wobei mir Linux einen Heimrechner und einen Arbeitslaptop betreibt, mit Void und Ubuntu.
Macke 1: Gelegentliches Einfrieren seit einem Grafikkartenwechsel
Seit meine Radeon RX 580 kaputt ist lief hier nur die integrierte Grafikeinheit meines Prozessors. Vor kurzem wollte ich ein etwas grafisch anspruchsvolleres Spiel spielen und installierte die vorher im PC der Mitspielerin fehlerfrei funktionierende, aber größtenteils unbenutzte Radeon RX 570. Und tatsächlich läuft damit mein Spiel problemlos. Aber: Außerhalb des Spiels friert jetzt manchmal der PC ein. Er fängt erst an zu stottern, als wäre bei einem Pentium-2-Rechner der Arbeitsspeicher vollgelaufen, kurz darauf bleibt er ganz stecken. Dann ist Neustart nur per Ausschalten und Anschalten möglich.
Der ansonsten tolle freie AMD-Treiber hat da wohl einen Bug, eventuell in Verbindung mit Kernel 5.13. Das passiert unter Void Linux.
Macke 2: Abstürze nach dem Aufwachen
Manchmal funktioniert das Aufwachen einfach nicht. Das passiert bei meinen beiden Hauptgeräten, dem Laptop und dem PC, hängt also nicht ausschließlich an der neuen Grafikkarte. Zwar hat der PC erst seit ihrem Einbau dieses Problem, aber der Laptop war schon vorher immer mal wieder nicht aufweckbar.
Der Bildschirm bleibt einfach schwarz, Tastendrücken hat keinen Effekt. Wieder braucht es ein hartes Ausschalten und Einschalten. Das passiert unter Void Linux und Ubuntu.
Macke 3: Wenn Standby ein Einloggen braucht
Diesmal geht es nur um den Laptop: Der will manchmal nicht Schlafen gehen. Ich bin also im Desktopbetrieb und drücke auf den Software-Powerbutton, dann auf Suspend. Daraufhin schaltet er meistens problemlos in den Ruhezustand. Manchmal aber nicht, dann geht er nur in den Anmeldebildschirm. Wenn ich mich dann dort einlogge, schaltet er sich direkt nach dem Anmeldevorgang ab.
Das passiert unter Ubuntu.
Macke 4: Firefox scheitert manchmal am Zweimonitor-Setup
Wenn ich den Laptop benutze ist dieser meist mit einem zweiten Bildschirm verbunden, wobei ich dann den Laptop auch zuklappe. Starte ich dann Firefox, kann der manchmal nicht starten. Das Firefox-Fenster geht auf, aber flackert auf der linken Bildschirmhälfte zwischen Vollbild und einem kleinen Fenster hin- und her, um sich dann in diesem Zwischenzustand aufzuhängen. Bedienung unmöglich, der Browser muss über das Dock geschlossen werden. Der folgende Neustart klappt dann immer.
Das passiert unter Ubuntu.
Das sind eigentlich alles hochärgerliche Fehler, gerade so in einem Artikel zusammengepackt gelesen. Wenn mir ein anderes System garantieren würde, die alle zu beheben, dann wäre das ein Wechselgrund. So weiß ich aber, dass z.B. Windows mindestens genauso wackelig wäre (aber in der Alltagsbedienung viel nerviger). Wir haben hier zum Beispiel einen als Videoabspielgerät genutzten Windows-Laptop, der plötzlich Audio über Bluetooth nur noch stotternd abspielen kann.
Bei anderen Linuxdistributionen hingegen gilt, dass die durchaus mal eine Weile stabiler sein könnten, dann aber genauso wahrscheinlich instabiler; Ein Wechsel lohnt sich also nicht. Nach ein paar Updates wird sich die Situation mit der Grafikkarte schon wieder verbessern, bei Void ist Warten ist angesagt. Und Ubuntu bringt ja auch irgendwann eine neue LTS raus, woraufhin der Laptop eine neue Runde Fixes und Bugs erhalten wird.
Möchte jemand die aktuellen Macken seiner Systeme teilen?
Linksammlung 43/2021
Friday, 29. October 2021
Diese Woche fand ich besonders erwähnenswert:
Framework Let Me Down :( (Video), weil das Mainboard des Framework-Laptops entgegen eindeutiger Aussagen nicht ohne die Batterie starten kann. Zumindest derzeit noch nicht.
Est-il écologique de changer de voiture pour une voiture électrique ? ist die Frage und die Antwort ziemlich eindeutig: E-Autos sind ganz schnell besser für die Natur als Verbrenner, besonders beim französischen Strommix. Beim deutschen Mix wird es wohl ein paar Jahre länger dauern.
Project NERA: State Attorneys General claim Google is planning to turn the internet into a “walled garden” ist Wahnsinn. Wobei die Vergangenheitsform wohl angemessener wäre, wie bei der ersten Quelle gewählt. Wie tief Google doch gefallen ist.
Die Idee der RSS-Linkentdeckungsmaschine von RSS is Wonderful ist nett, aber bei diesem Blog als Ziel spuckt die Seite nur einen 500er aus. Vielleicht geht es bei euch?
Eine schlechte Nachricht, aber andererseits ist EU scientists reveal long-term brain damage caused by Covid auch ein Schritt zum Finden von Gegenmitteln.
Chaos mit Zeitreisen: Super Time Force Ultra
Monday, 25. October 2021
Der ewige Traum der Zeitreise wird in Filmen und Spielen ja meist zu einem Alptraum, weil kaum eine Geschichte mit Zeitreise als Storyelement vernünftig umgehen kann und dadurch inkohärenter Quark wird. Super Time Force Ultra rennt da mit offenen Augen rein und versucht es gar nicht erst – die Story ist komplett absurdistischer Unsinn. Es gibt einen Antagonisten, der eure verschiedenen Zeitmanipulationen zu verhindern sucht. Belanglos. Es geht allein um die innovative Spielmechanik: Stirbt einer der Pixelcharaktere, kann der Spieler zu einem beliebigen Zeitpunkt zurückspulen und nochmal probieren, diesmal ohne zu sterben das Levelende zu erreichen oder den Bossgegner zu töten. Aber, und das ist das neue, der vorherige Versuch wird ab dem gewählten Zeitpunkt parallel abgespielt, die damals abgegebenen Schüsse und Schläge haben vollen Effekt.
Alle Level sind sind so angelegt, dass diese Vervielfachung der Spielfiguren genutzt werden muss um sie im kurzen Gesamtzeitlimit abschließen zu können. Wodurch auch ein riesiges Chaos und ein entprechender Kugelhagel entsteht: Praktisch ein umgedrehter Danmaku-Shooter, in dem man selbst nach und nach die vielen Projektile hinzufügt, die auch nur Gegnern schaden.
Wobei nicht alle der Spielfiguren schießen können. Eine der Startfiguren hat stattdessen ein Schild und wirft Projektile auf die Gegner zurück. Andere später freischaltbare Figuren haben Nahkampfangriffe, wie der Dino auf dem Skateboard. Durch dieses Freischalten wird das Arsenal des Spielers im Spielverlauf immer größer, wobei manche der Charaktere auch durch Einsammeln der Goldmünzen und nicht in den Level selbst aktiviert werden.
Moment, Dino? Jop, denn wie erwähnt wird es absurd. Die Zeitabschnitte sind in freier Abfolge auswählbar und führen nicht einfach in nahe Vergangenheit und Zukunft, sondern eben auch in eine Dinozeit mit humanoiden Echsen oder mal eben nach Atlantis. Neben passenden regulären Gegnern gibt es dabei auch immer einen Bossgegner. Wer besonders schnell ist kann in den vorherigen Abschnitten ohne Boss auch eine Speedrunchallenge versuchen, mir ist sie nie gelungen.
Super Time Force Ultra nimmt ziemlich erfolgreich eine nette Idee, das Wiederabspielen vorheriger Versuche, und bläst es zu einem effektvollen Spiel auf. Kombiniert mit den Spezialfähigkeiten der Charaktere sowie einem Level- und Gegnerdesign, das die effiziente Nutzung der Kernspielfunktion dauernd einfordert, wird das Spiel weder zu simpel noch zu chaotisch – selbst wenn das nach jedem Level präsentierte Video des Endergebnis der kombinierten Spielerversuche definitiv chaotisch aussieht. Mir ist die Story und das ganze Drumherum zu gewollt absurd gehalten, doch schadet das dem Spiel nicht zu sehr.
Das Spiel war im Humblebundle, wer es dadurch schon hat, dem sei ein Antesten empfohlen
Linksammlung 42/2021
Friday, 22. October 2021
Diese (und letzte) Woche fand ich erwähnenswert:
Wer wirklich noch weitere Argumente sucht: Eleven reasons to switch from Windows to Linux.
Viele kleine Informationsstückchen reichen, um Leute im Internet zu verfolgen. Auf Mobilgeräten gibt es das Problem wohl auch: How Android Wallpaper Images Can Threaten Your Privacy.
Volla startet Partner-Initiative für mehr Datenschutz und Unabhängigkeit von Big-Techs, das ist vielversprechender als man im ersten Moment vielleicht meint. Google-Dienste mit Alternativen zu ersetzen geht mit LineageOS und F-Droid ja bereits ziemlich gut, da dürfte Volla weitere Alternativen platzieren können.
David Gräber schrieb: After the Pandemic, We Can’t Go Back to Sleep. Dabei wird wohl genau das passieren. Wobei derzeit viel über die Ablehnung von prekären Jobs in den USA berichtet wird, was komplett neu ist.
Crazy Ex-Girlfriend
Monday, 18. October 2021
Crazy Ex-Girlfriend ist eine lustige Musicalserie. Ein Meisterwerk wie die FAZ sehe ich in der Serie zwar nicht, aber eine komplett sehenswerte und ziemlich einzigartige Alternative zum sonstigen Serienprogramm.
Das Setting wird im Piloten so vorgestellt: Rebecca lebt als Anwältin in New York, ist unglücklich, dann trifft sie durch Zufall Josh. Den kennt sie von früher, eine Jugendliebe. Als er ihr erzählt wie viel besser es in West Covina, Kalifornien doch sei und dass er dorthin zurückkehren wird, kündigt sie und zieht ihm hinterher – als verrückte Ex, die wieder mit ihm zusammenkommen will.
Komplette Schnulze, oder? Aber die Serie ist eben nicht einfach eine romantische Komödie mit Gesangseinlagen. Sie ist mehr die anti-romantische Komödie. Zwar ist auch hier eine gehörige Portion Fantasieerfüllung mit dabei, aber das ist mehr zum Erträglichmachen des Ganzen. Denn davon abgesehen werden die klassischen Erzählungen kritisiert. Besonders das Hauptthema: Rebecca als psychisch angeknackste Stalkerin wird hier eben nicht einfach zu einer positiven und geheilten Figur weil sie verliebt ist, sondern ganz im Gegenteil ist ihr Verliebtsein komplett destruktiv.
Das wird in absurden Humor verpackt. Statt wie bei den typischen Filmen wie Hitch eine Schnulze mit ein paar Gags anfangs zu verkleiden und danach ohne weitere Witze dem Standardrezept zu folgen, ist Crazy Ex-Girlfriend konstant witzig. Nicht immer zum losbrüllen, aber mindestens etwas absurder Humor findet sich in jeder Folge. Entsprechend schräg wird die weitere Geschichte, wie Rebecca sich in West-Covina einlebt, wie das mit Josh und den Alternativen weitergeht. Ernstere Themen gibt es auch, die psychische Instabilität der Hauptdarstellerin ist da nur eines von mehreren Einfallstoren.
Zu jeder Folge gehören eigene Musicalsongs. Alle davon wurden für die Serie geschrieben, jede Folge hat mehrere. Viele davon sind lustig, parodieren Genres, einige bleiben im Ohr. Die Mitguckerin und ich – ich soll hier anmerken, dass ich die Serie ihr vorschlug, nicht andersrum – zitierten oft und zitieren immer noch einzelne der Lieder. Ich mein, schau dir einfach im ersten Song der Serie an, wie die Passanten die singende Rebecca verdutzt angucken. Solche kleinen Witze finden sich durch die Serie zuhauf.
Wer Musicals hasst oder die Gags im ersten Song so gar nicht lustig findet, der wird mit dieser Serie nichts anfangen können. Aber wer Musik in Filmen als Storyelement (wie bei Blues Brothers) mag, der hat zu Crazy Ex-Girlfriend eigentlich gar keine akzeptable Alternative. Dann passt auch der Rest.
Deus Ex mit weiblichem Hauptcharakter spielen
Wednesday, 13. October 2021
Es war wohl ursprünglich schon für das Release vor 20 Jahren geplant, statt dem männlichen JC Denton auch eine weibliche Version der Hauptfigur spielen zu können. Doch das wurde geschnitten. Jetzt aber ist es möglich: Das Lay D Denton Project baut mit einem Mod das Originalspiel dafür um.
Und dabei macht es viel mehr, als man jetzt vielleicht im ersten Moment erwarten würde. Hier wird nicht einfach das Charaktermodell gewechselt und die Tonart der Sprache des Protagonisten erhöht. Sondern die Sprachausgabe von JC wurde von einer Sprecherin komplett neu vertont, dazu Texte und NPCs samt ihrer Spracheausgabe so angepasst, dass sie JC nicht als Mann anreden. Sogar ein paar neue NPCs wurden eingefügt (komplett vertont!) und wo es passte Situationen abgeändert.
Anfangs wirkt die weibliche JC sehr ungewohnt. Nicht nur, dass es sich mit jahrzehntelanger Gewöhnung beißt – damit der Spieler sich mit der Hauptfigur besser identifizieren kann war schon im Original die Sprache bewusst unbetont (las ich, finde aber gerade keine gute Quelle), was jetzt hier wiederholt wurde und die Sache bestimmt unheimlich schwierig machte. Auf jeden Fall ist ein Riesenaufwand betrieben worden. Das Ergebnis wirkt ziemlich professionell; Nochmal mehr mit der früher oft amateurhaften Modszene von Deus Ex als Maßstab.
Den Mod kann man auf moddb herunterladen. Zum Installieren einfach ins Deus-Ex-Verzeichnis (~/.local/share/Steam/steamapps/common/Deus Ex) entpacken. Dokumentation gibt es auch, es gibt eine Installationsanleitung und eine Projektübersicht. Und schließlich einen Trailer, den ich mir um die Änderungen nicht zu spoilern nur bruchstückhaft angesehen habe:
Der darin benutze Remix ist auch auf Youtube.
Passende Mods
Als kleine Ergänzung: Natürlich hat auch mich dieser Mod dazu gebracht, Deus Ex nochmal zu installieren und von vorne anzufangen. Fertig bin ich noch nicht, kann aber schonmal ein paar andere passende Mods und Hilfsprogramme erwähnen:
- Crispy Deus Ex skaliert die Originaltexturen hoch, ohne irgendetwas am Stil zu ändern. Für die Installation werden nur ein paar Texturdateien ersetzt.
- Joe Wintergreen's Deus Ex Lipsync Mod verbessert tatsächlich die Lippensynchronisation sehr deutlich, eine einzige Datei muss ersetzt werden.
- Da die DirectX-10-Version von Deus Ex mit Proton nicht funktioniert, habe ich für den Renderer wieder auf den Enhanced OpenGL Renderer zurückgegriffen. Auch er er verbessert die Grafik, und hat anders als der DirectX-9-Renderer keine Inkompatibilitäten mit diesem Mod
- Und schließlich benutze ich Deus Exe als Starter, was auf modernen Systemen ein paar Probleme vermeiden soll, wobei das unter Proton wahrscheinlich unnötig ist.
Gerne hätte ich Lay D Denton auch mit dem Transcended-Mod kombiniert, der einige Bugs und Inkonsistenzen aus dem Originalspielt entfernt. Aber leider bin ich daran gescheitert. Zukünftige Versionen dieses Mods sollen die Kompatibilität verbessern, vielleicht gibt es auch bald eine fertige integrierte Versionen mit Transcended als Partnermod.
Ein Jahr mit Flutter
Monday, 11. October 2021
Gut ein Jahr ist es her, dass ich angefangen habe mit Flutter zu arbeiten. Der Auftrag: Eine nutzerfreundliche Anwendung für Android und iOS mit einer gemeinsamen Codebasis zu bauen. Ich fand das Framework zur Mobilanwendungsentwicklung zu Beginn ziemlich toll. Wie sieht es jetzt aus?
Ich finde Flutter immer noch gut, aber habe inzwischen auch mehr von den Schwachstellen mitbekommen. Eine Liste der positiven und der negativen Erkenntnisse folgt.
Gut: Der Widgetbaum
Bei Flutter baut man die Oberfläche, indem die von der Sprache bereitgestellten Widgets in der Build-Funktion eigener Widgets kombiniert werden. Da hat dann eine Row zwei Columns, in denen jeweils drei Buttons sind, schon hat man ein Grid von Buttons mit zwei Spalten und drei Zeilen. Angelehnt am Material-Design gibt es alle wichtigen Widgets vordefiniert, wenn das nicht reicht können aus ihnen neue gebaut oder mit Plugins fertige eingebunden werden.
Das funktioniert einfach sehr gut. Was in anderen Programmiersprachen in den imperativen Aufrufen unweigerlich zum Chaos wird, bleibt mit diesem Prinzip mit nur wenig benötigter Disziplin gut beherrschbar. Die so entstehenden UI-Files sind viel lesbarer und doch auch mächtiger, als wenn es XML-Dateien wären, aber die Zustandsverwaltung und damit die Logik der App soll eindeutig extern definiert werden. Diese propagierte Trennung funktioniert gut, kann für einfache Screens aber trotzdem ignoriert werden, die Logik wird dann mit in die UI gepackt. Aber das macht man selten. Das ist genau die richtige Mischung aus einem guten Konzept und der benötigten Entwicklerfreiheit.
Gut: Zustandsverwaltung mit GetX
Als ich anfing war GetX bei uns umstritten. Ich hatte mir das und als Alternative Bloc angesehen und dann darauf bestanden, dass wir GetX zumindest auch benutzen. Mittlerweile hat GetX sich voll bewährt.
Mit GetX definiert man im Controller der UI spezielle Variablen. Wenn eine davon sich ändert, ändern sich auch die UI-Stelle an denen die Variable verwendet wird. Zum Beispiel hat man im Controller ein Set, baut in der UI daraus eine Liste, und wenn das Set ein Element mehr bekommt wird auch die UI-Liste länger. Das gelingt GetX auf der einen Seite mit möglichst wenig Deklarationen, aber gleichzeitig ist der Voodoo-Aspekt viel geringer als bei Bloc. Dass es keine unnötigen abstrakten Konzepte wie Cubits hat kommt noch dazu.
GetX hat ein paar Stolperfallen, so erkennt es nicht automatisch wenn sich der Inhalt eines Elements des Sets ändert. Da muss man nachhelfen, aber immerhin geht das. Insgesamt ermöglicht es eine effiziente Anwendungsentwicklung ohne Bullshit.
Gut: Die Pluginauswahl
Mit pub.dev gibt es eine klare und hilfreiche Anlaufstelle für Plugins. Dort gibt es Plugins für alles was wir bisher gebraucht haben. Einen kompletten Kalender, Kryptographie, Loginformular, Benachrichtigungen, das oben erwähnte GetX – noch viel mehr und insgesamt alles wurde abgedeckt, mit oft hochqualitativ wirkenden und konfigurierbaren Plugins.
Diese zentrale Quelle zu haben ist viel besser als die mühsame Library-Suche bei Android und auch besser als bei allen anderen Programmiersprachen bzw Frameworks, die ich kenne.
Gut: Dart
Dart hat mich nicht enttäuscht. Ich erwartete das anfangs: Zu hübsch und trotz der Typisierung Ruby-artig war diese Sprache, das konnte nicht wahr sein. Aber es ist wahr. Dart ist einfach ganz wunderbar.
Nicht so dynamisch wie Ruby zu sein schadet ihr an manchen Stellen, vor allem bei der fehlenden Serialisierbarkeit und dem immer noch äußerst umständlichen Umwandeln von Objekten nach JSON (und wieder zurück) schlägt das zu. Aber das erwartete überraschende Fehlverhalten, die frusterregenden Implementierungsfehler – all das blieb aus. Dart würde ich sogar außerhalb von Flutter verwenden, zumindest wenn Ruby nicht verfügbar wäre; vielleicht sogar wenn Ruby verfügbar wäre.
Schlecht: Respektlose Weiterentwicklung
Das größte Problem Flutters ist die respektlose Weiterentwicklung des Frameworks, daher fange ich damit an. Es fehlt den Google-Entwicklern jeglicher Respekt vor der Zeit der Frameworknutzer, was sich in unverschämten und unnötigen Änderungen und völliger Missachtung der Abwärtskompatibilität niederschlägt.
Flutter ist in diesem Jahr von 1.x auf 2.x geklettert. Die große – aber nicht die einzige – Änderung war Null–Safety, was theoretisch optional bleibt aber faktisch durch Plugins erzwungen wird. Null-Safety bedeutet, dass Variablen nicht mehr null
werden können, sind sie nicht entsprechend deklariert worden. int? x
darf ich auf null setzen – die ?-Syntax-Deklaration ist neu –, int x
nicht. Entsprechend muss all der Code der mit einem vorher definierten int x
arbeitet angepasst werden, sodass er niemals x ein null zuweisen kann, oder die Deklaration angepasst und dann der Zustand von x an den Schnittstellen zu anderem null-sicheren Code überprüft werden.
Das vermeidet Abstürze, aber es ist ein Riesenwechsel für bestehende Anwendungen. Gut, es gibt ein Migrationstool – aber es funktioniert nicht. Schon bei unserer vergleichsweise simplen App war es überfordert und quittierte nach Tausend Fehlermeldungen den Dienste. Ich habe die Migration komplett per Hand machen müssen.
Es ist auf der einen Seite verständlich, dass ein junges Framework sich noch ändert. Aber alten Code so unbrauchbar zu machen, Migrationstools beiseite zu stellen die schlicht nicht funktionieren, dafür gibt es keine Entschuldigung.
Und bei dieser einen Änderung bleibt es ja nicht. Im gleichen Atemzug wurden beispielsweise auch einfach mal die bisherigen Buttonklassen deprecated. Und die neuen haben eine völlig andere API, sie werden mit viel kompliziertem Code angepasst. Es ist okay ein neues System für Buttons dem Framework hinzufügen, aber die alten abzuschaffen ist eine völlig unnötige Gängelung.
Hier schlägt das System Google durch: Tausende Entwickler arbeiten am Framework, die kleinen frameworknutzenden Entwicklerstudios verbringen dann ihre Zeit damit den dauernden Änderungen hinterherzurennen. Das ist einerseits monopolsichernd und andererseits ein Strukturproblem der Organisation Google, aber die Ursache zu verstehen hilft in der Praxis wenig.
Schon deswegen würde ich Flutter nicht für ein FOSS-Projekt empfehlen, es ungern selbst in meiner Freizeit nutzen, sogar Firmen gegen die Nutzung raten. Wobei: Android und iOS nativ zu bespielen ist auch nicht besser, wenn eine Mobilanwendung wirklich sein muss ist Flutter immer noch besser als das. Aber was für eine vertane Chance Flutter doch ist, nur durch schlechtes Google-Projektmanagement.
Schlecht: Die Pluginweiterentwicklung
Was für die Sprache gilt, gilt für die Plugins nur noch mehr: Da wird in einem durch fröhlich alter Code kaputtgemacht. Es ist zwar alles auf dem Papier SemVer, doch in der Praxis hält das die wenigsten Entwickler davon ab mit Patch- und Funktionsupdates alten Code invalid zu machen. Migrationsguides sind dann unvollständig und versteckt in Github-Issues, eine Kryptolibrary kann den eigenen Ciphertext nicht mehr lesen, ein Router (ein Modul um die Ansicht zu wechseln) wird so vollständig umgebaut dass jeder Aufruf angepasst werden muss, ohne dass die Dokumentation das auch nur erwähnt. Und spätestens durch Null-Safety wurden die Upgrades nicht-optional, man kann sich ihnen nicht entziehen.
Wenn man es vorher wüsste würde man nur Abhängigkeiten auf Module vernünftiger Entwickler aufbauen. Aber das sieht man im Vorhinein eben nicht immer. Und im Flutterland scheinen die besonders selten zu sein. Vielleicht kommt das aus der früheren Javascript-Herkunft.
Schlecht: Kompilierzeiten und -aufwand
Meine Firma macht die Flutterentwicklung mit Visual Studio Code und hat mir ein nettes Laptop gestellt, mit einem Ryzen 7 3700U und 16GB Ram. Das reichte nicht. Ich brauchte zuerst ein Ramupgrade, um beim Kompilieren (mit Emulator und Browser offen, klar) nicht immer wieder ein einfrierendes System zu haben. Und trotz dem modernen und starken Prozessor (und natürlich einer SSD) dauert das Bauen der Androidanwendung inzwischen einfach lange. Schon eher Minuten als Sekunden. Und dabei ist die von uns gebaute App nicht riesig.
Es gibt zwar wie bei Android Studio ein Hot Reload, aber das bringt bei Änderungen der Controller wenig, denn die bleiben bei ihrem alten Zustand. Das genügt also nur in den seltensten Fällen, daher wird viel kompiliert und dabei gewartet. Ich müsste im Grunde an einer Threadripper-Workstation arbeiten. Das macht bei meiner Dauer-Heimarbeit ja sogar Sinn, nur war die ungeplant und sollte das für die Mobilanwendungsentwicklung auch einfach nicht nötig sein.
Schlecht: Webapps
Flutter kann auch Webapps bauen, aber das Ergebnis sind Javascriptmonster die sich an keine Webkonventionen halten. Nutzer können nichtmal Text kopieren, wird das Standard-Textwidget benutzt. Völlig unverständlich, solche Macken blockieren komplett die Adaption des Frameworks im Webbereich.
Ambivalent: Limitierungen der Mobilplattformen bleiben erhalten
Genug von den klar negativen Eigenschaften. So wie Flutter gute und schlechte Seiten hat, sind manche Eigenschaften des Frameworks weder klar negativ noch positiv.
So umschifft Flutter die tieferen Limitierungen der mobilen Betriebssysteme einfach genau gar nicht. Arbeiten im Hintergrund beispielsweise geht unter Android manchmal, unter iOS praktisch nicht. Aber es das Framework hat keine Infrastruktur, um das doch zuverlässig zu können, nichtmal unter dem eigenen Betriebssystem Android. Anderes Beispiel: Geplante Benachrichtigungen beschränkt iOS auf 64, Android auf mehrere Hundert, Flutter und seine Plugins lässt den Entwickler in diesen Unterschied schlicht reinrennen. Unter Android kann man aus einem Formular Zurück-Swipen und dann in einem Dialog vor verlorengehenden Daten warnen, unter iOS geht das nicht. 2018 hat ein Entwickler das Problem nicht verstanden, seitdem ist es im Kern ungefixt.
Wäre Flutter nicht von Google könnte man dem Framework solche Limitierungen nur schwer anlasten. Aber weil Google mit seiner Größe und Rolle als Androidentwickler die Möglichkeiten hätte hier Lösungen anzubieten, kann ich das dem Framework nicht einfach durchgehen lassen. Es stellt zwar in manchen Bereichen eine brauchbare gemeinsame Basis für die Entwicklung von iOS- wie Androidanwendungen her, das ist der positive Teil. Aber es übertüncht die Unterschiede ungenügend, aber macht es dabei trotzdem schwerer die Stärken von Android zu nutzen, wie dessen eigentlich funktionierende Hintergrundthreads via WorkManager oder Vorgängerlösungen. Und das macht Flutters Vorzüge etwas kaputt.
Ambivalent: Die deklarative Widgetverwaltung
In Flutter werden Widgets einmal deklariert, dabei konfiguriert, später reagieren sie nur noch auf Interaktionen vom Nutzer oder Zustandsänderungen. Das ermöglicht den oben gelobten expliziten Widgetbaum, das ist positiv. Aber Widgets so gar nicht imperativ manipulieren zu können ist manchmal hochproblematisch. Wie schließt man zum Beispiel auf Knopfdruck das geöffnete Overlay eines Autocomplete-Widgets? Nur durch einen Hack, indem man mit dem FocusManager dem Widget den Fokus entzieht.
Andere Dinge gehen manchmal einfach gar nicht. Hier müssten die Entwickler eine bessere Mischung zwischen Konzepttreue und Entwicklerbefähigung finden.
Ambivalent: Performance
Flutter will Anwendungen mit 60 FPS zeichnen, inzwischen sogar mit 120 FPS auf entsprechenden Geräten. Was ist mit 360 FPS bei Webanwendungen? Okay, bleiben wir fair. Aber auch das erklärte 60-FPS-Ziel ist illusorisch, wenn beim ersten Öffnen einer App es an allen Ecken und Enden laggt. Da müssen z.B. noch die Shader kompiliert werden, was gerade unter iOS massiv zu Einschränken führt. Erst die gerade veröffentlichte Version 2.5 schafft da vielleicht Abhilfe.
Es stimmt, dass die gebauten Oberflächen ansonsten meist performant laufen. Deswegen ist der Punkt nicht unter den schlechten Seiten eingeordnet. Aber können das nicht im Grunde alle Frameworks zur mobilen Appentwicklung? Sobald etwas im Hintergrund rennt muss das auch bei Flutter manuell in einen Thread geschoben werden, was nicht immer geht, dazu kommen dann die Shader-Stotter. Vielleicht bewerte ich hier Flutter sogar zu positiv.
Ambivalent: Die Testumgebung
Und schließlich ist da noch die Testumgebung. Flutter kann Unit-, Widget- und nun auch Integrationstests. Bei Unittests sollen einzelne Bestandteile des Codes getestet werden, mit Widgettests der gewünschte Aufbau der UI kontrolliert, mit Integrationtests der Ablauf der kompletten App. Das ist alles eingebaut und Tests zu schreiben ist mit dem System keine Qual, immerhin.
Aber andererseits sind die Testumgebungen für Unit- und Widgetttests lächerlich beschränkt. Unittests können im Grunde nichts machen außer lokal Dart-Code ausführen, aber nicht mit dem System interagieren, keine HTTP-Requests senden. Soll eine API-konsumierende Funktion getestet werden darf man die API dann mocken. Es gibt zwar Leute, die das für die richtige Art halten Unit-Tests zu schreiben. Aber ich halte das für eine irrige Position, denn es führt zu einen riesigen Aufwand und verhindert, dass Tests echte Fehlerfälle erkennen.
Bei bei den Integrationtests gibt es diese Beschränkungen zwar nicht, aber dafür gibt es sie erst seit kurzem. Integrationtests funktionieren erst seit einem Umbau des Systems, der erst jetzt fertig wurde. Davor waren sie undokumentierterweise einfach kaputt, ich zumindest kriegte sie partout nicht zum Laufen. Und das ging wohl vielen so. Sie müssen auch immer noch auf simulierten oder echten Geräten laufen, was in einer CI-Infrastruktur aufwendig und damit im Zweifel teuer ist.
Flutter ermöglicht das Testen des Codes. Vielleicht macht es das besser als andere Frameworks in dem Bereich. Aber es ist viel komplizierter als ideal.
Fazit: Die rosa Brille ist weg
Ich mag Flutter immer noch. Man muss sich vor Augen halten, wie hochproblematisch die native Anwendungsentwicklung sein kann, schon wirken die Probleme des Frameworks weniger gewichtig. Dart ist sogar toll. Insgesamt schafft mein kleines Team tolle Arbeit und auch ich fühle mich mit Flutter produktiv. Meine Nutzertests bestätigen den positiven Eindruck des Ergebnis, das war dann sogar großartig.
Aber es ist dann eben doch ein Google-Framework, seine hässlichen Seiten passen genau dazu. Serendipity versucht wahrscheinlich seit fast 20 Jahren mit einem Mini-Team Abwärtskompatibilität beizubehalten, bei Flutter kriegt ein Milliardenunternehmen es nicht mein erstes aktive Jahr hin.
Auch die Stärken passen: Cross-Plattformanwendungen mit wenig Aufwand und einem so guten Konzept bauen zu können passt zu der technischen Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens. Die sieht man am Anfang, daher damals mein erster sehr positiver Eindruck. Die Schwächen sieht man dann später, daher mein jetzt etwas durchwachsenerer.
Ich hoffe, meine Bewertung kann dem einen oder anderen Leser bei seiner Entscheidung helfen, ob er Flutter verwenden sollte oder nicht. Ich möchte wirklich nicht zu stark von abraten – die beworbenen Stärken sind ja da. Nur sollte man sich der Schwächen des Frameworks ebenfalls bewusst sein.